Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Gehör.


Es reitzt uns durch sich selbst ein Ton; Ein Ton verletzet
Uns gleichfalls durch sich selbst. Wir werden offt sogleich
Durch ihn betrübt, durch ihn ergötzet.
Wenn aber er das Reich
Der Wörter macht, formirt und gründet,
Und mit demselben sich verbindet;
Wenn Töne, welchen der Gebrauch
Ein festes Zeichen giebet;
Wenn unsre Seele hofft, verlanget, haßt und liebet
Durchs Werckzeug des Gehörs, auf manche Dinge denckt;
Sodann entdeckt ein Mensch dem andern, was er denckt.
Man sieht, von jenem Geist mit diesem, den Verband;
Und durch ein Wechselweis' getriebenes Erzehlen
Eröffnen, theilen mit und geben sich die Seelen
Einander glücklich den Verstand.


Man wird am kräfftigsten gerühret
Durch Töne, so die Red-Kunst führet;
Als die uns lencken und entzünden,
Besänftigen, verbinden.
Die Vergewisserung, Furcht, Freud und Traurigkeit,
Besitzen in sich eine Macht,
Durch deren Biegung allezeit
Der Geist wird in Bewegung bracht.
Ein recht gerührter Geist wird andre Geister rühren:
Er macht ihn brennen und gefrieren,
Erregt ihm seine Lust und seiner Triebe Krafft,
Und zeugt in ihm sein' eigne Leidenschafft.
Wann
F f
Vom Gehoͤr.


Es reitzt uns durch ſich ſelbſt ein Ton; Ein Ton verletzet
Uns gleichfalls durch ſich ſelbſt. Wir werden offt ſogleich
Durch ihn betruͤbt, durch ihn ergoͤtzet.
Wenn aber er das Reich
Der Woͤrter macht, formirt und gruͤndet,
Und mit demſelben ſich verbindet;
Wenn Toͤne, welchen der Gebrauch
Ein feſtes Zeichen giebet;
Wenn unſre Seele hofft, verlanget, haßt und liebet
Durchs Werckzeug des Gehoͤrs, auf manche Dinge denckt;
Sodann entdeckt ein Menſch dem andern, was er denckt.
Man ſieht, von jenem Geiſt mit dieſem, den Verband;
Und durch ein Wechſelweiſ’ getriebenes Erzehlen
Eroͤffnen, theilen mit und geben ſich die Seelen
Einander gluͤcklich den Verſtand.


Man wird am kraͤfftigſten geruͤhret
Durch Toͤne, ſo die Red-Kunſt fuͤhret;
Als die uns lencken und entzuͤnden,
Beſaͤnftigen, verbinden.
Die Vergewiſſerung, Furcht, Freud und Traurigkeit,
Beſitzen in ſich eine Macht,
Durch deren Biegung allezeit
Der Geiſt wird in Bewegung bracht.
Ein recht geruͤhrter Geiſt wird andre Geiſter ruͤhren:
Er macht ihn brennen und gefrieren,
Erregt ihm ſeine Luſt und ſeiner Triebe Krafft,
Und zeugt in ihm ſein’ eigne Leidenſchafft.
Wann
F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0479" n="449"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Geho&#x0364;r.</hi> </fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s reitzt uns durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein Ton; Ein Ton verletzet</l><lb/>
                <l>Uns gleichfalls durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Wir werden offt &#x017F;ogleich</l><lb/>
                <l>Durch ihn betru&#x0364;bt, durch ihn ergo&#x0364;tzet.</l><lb/>
                <l>Wenn aber er das Reich</l><lb/>
                <l>Der Wo&#x0364;rter macht, formirt und gru&#x0364;ndet,</l><lb/>
                <l>Und mit dem&#x017F;elben &#x017F;ich verbindet;</l><lb/>
                <l>Wenn To&#x0364;ne, welchen der Gebrauch</l><lb/>
                <l>Ein fe&#x017F;tes Zeichen giebet;</l><lb/>
                <l>Wenn un&#x017F;re Seele hofft, verlanget, haßt und liebet</l><lb/>
                <l>Durchs Werckzeug des Geho&#x0364;rs, auf manche Dinge denckt;</l><lb/>
                <l>Sodann entdeckt ein Men&#x017F;ch dem andern, was er denckt.</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ieht, von jenem Gei&#x017F;t mit die&#x017F;em, den Verband;</l><lb/>
                <l>Und durch ein Wech&#x017F;elwei&#x017F;&#x2019; getriebenes Erzehlen</l><lb/>
                <l>Ero&#x0364;ffnen, theilen mit und geben &#x017F;ich die Seelen</l><lb/>
                <l>Einander glu&#x0364;cklich den Ver&#x017F;tand.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an wird am kra&#x0364;fftig&#x017F;ten geru&#x0364;hret</l><lb/>
                <l>Durch To&#x0364;ne, &#x017F;o die Red-Kun&#x017F;t fu&#x0364;hret;</l><lb/>
                <l>Als die uns lencken und entzu&#x0364;nden,</l><lb/>
                <l>Be&#x017F;a&#x0364;nftigen, verbinden.</l><lb/>
                <l>Die Vergewi&#x017F;&#x017F;erung, Furcht, Freud und Traurigkeit,</l><lb/>
                <l>Be&#x017F;itzen in &#x017F;ich eine Macht,</l><lb/>
                <l>Durch deren Biegung allezeit</l><lb/>
                <l>Der Gei&#x017F;t wird in Bewegung bracht.</l><lb/>
                <l>Ein recht geru&#x0364;hrter Gei&#x017F;t wird andre Gei&#x017F;ter ru&#x0364;hren:</l><lb/>
                <l>Er macht ihn brennen und gefrieren,</l><lb/>
                <l>Erregt ihm &#x017F;eine Lu&#x017F;t und &#x017F;einer Triebe Krafft,</l><lb/>
                <l>Und zeugt in ihm &#x017F;ein&#x2019; eigne Leiden&#x017F;chafft.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">F f</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Wann</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0479] Vom Gehoͤr. Es reitzt uns durch ſich ſelbſt ein Ton; Ein Ton verletzet Uns gleichfalls durch ſich ſelbſt. Wir werden offt ſogleich Durch ihn betruͤbt, durch ihn ergoͤtzet. Wenn aber er das Reich Der Woͤrter macht, formirt und gruͤndet, Und mit demſelben ſich verbindet; Wenn Toͤne, welchen der Gebrauch Ein feſtes Zeichen giebet; Wenn unſre Seele hofft, verlanget, haßt und liebet Durchs Werckzeug des Gehoͤrs, auf manche Dinge denckt; Sodann entdeckt ein Menſch dem andern, was er denckt. Man ſieht, von jenem Geiſt mit dieſem, den Verband; Und durch ein Wechſelweiſ’ getriebenes Erzehlen Eroͤffnen, theilen mit und geben ſich die Seelen Einander gluͤcklich den Verſtand. Man wird am kraͤfftigſten geruͤhret Durch Toͤne, ſo die Red-Kunſt fuͤhret; Als die uns lencken und entzuͤnden, Beſaͤnftigen, verbinden. Die Vergewiſſerung, Furcht, Freud und Traurigkeit, Beſitzen in ſich eine Macht, Durch deren Biegung allezeit Der Geiſt wird in Bewegung bracht. Ein recht geruͤhrter Geiſt wird andre Geiſter ruͤhren: Er macht ihn brennen und gefrieren, Erregt ihm ſeine Luſt und ſeiner Triebe Krafft, Und zeugt in ihm ſein’ eigne Leidenſchafft. Wann F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/479
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/479>, abgerufen am 16.07.2024.