Die Sinnen können uns durch ein Gefühl erklären, Was unserm Cörper nützt, und was ihn kan versehren. Doch täuschen sie uns offt, wenn wir sie fragen, Um uns die Wahrheit recht zu sagen. Wenn die Vernunfft dieselbigen nicht leitet, Verspüret man, wie bald der Fuß in Jrrthum gleitet. Durch starcke Vorurtheil, wohin die Sinnen führen, Statt ihnen unterthan zu seyn, Beherrschen und regieren Sie öffters unsern Geist. Es scheinet anders nicht, Als daß, erbarmenswerth geblendet, bloß allein Man sich nach ihnen richt. Die Seele, welche sich Nur gar zu starck gewöhnt an das, was cörperlich, Verspürt, daß sie durch ihre starcke Züge, Die sie berühren, sich vergnüge. Sie lässt ohn Unterlaß, sich von demselben lencken, Und recht, als litte sie in ihrem Dencken; Beraubet sie sich selbst von ihrem eignem Licht. Ja sie verwirret sich, Und hat ihr Augenmerck auf anders nichts gericht't Als auf den Druck und Trieb, die so unordentlich, Und welche ihr recht mit Gewalt verwehren Auf ihre wahre Lust den Blick zu kehren. So wie, bey einer grossen Menge, Der Zweck der künstlichsten Beredsamkeit Verfehlet wird, durch ein Getös' und Schwärmen; Und wie der Reitz der lieblichsten Gesänge Gestohret wird durch ein zu starckes Lermen.
Allein
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Von den Sinnlichkeiten insgemein.
Die Sinnen koͤnnen uns durch ein Gefuͤhl erklaͤren, Was unſerm Coͤrper nuͤtzt, und was ihn kan verſehren. Doch taͤuſchen ſie uns offt, wenn wir ſie fragen, Um uns die Wahrheit recht zu ſagen. Wenn die Vernunfft dieſelbigen nicht leitet, Verſpuͤret man, wie bald der Fuß in Jrrthum gleitet. Durch ſtarcke Vorurtheil, wohin die Sinnen fuͤhren, Statt ihnen unterthan zu ſeyn, Beherrſchen und regieren Sie oͤffters unſern Geiſt. Es ſcheinet anders nicht, Als daß, erbarmenswerth geblendet, bloß allein Man ſich nach ihnen richt. Die Seele, welche ſich Nur gar zu ſtarck gewoͤhnt an das, was coͤrperlich, Verſpuͤrt, daß ſie durch ihre ſtarcke Zuͤge, Die ſie beruͤhren, ſich vergnuͤge. Sie laͤſſt ohn Unterlaß, ſich von demſelben lencken, Und recht, als litte ſie in ihrem Dencken; Beraubet ſie ſich ſelbſt von ihrem eignem Licht. Ja ſie verwirret ſich, Und hat ihr Augenmerck auf anders nichts gericht’t Als auf den Druck und Trieb, die ſo unordentlich, Und welche ihr recht mit Gewalt verwehren Auf ihre wahre Luſt den Blick zu kehren. So wie, bey einer groſſen Menge, Der Zweck der kuͤnſtlichſten Beredſamkeit Verfehlet wird, durch ein Getoͤſ’ und Schwaͤrmen; Und wie der Reitz der lieblichſten Geſaͤnge Geſtohret wird durch ein zu ſtarckes Lermen.
Allein
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Von den Sinnlichkeiten insgemein.
Die Sinnen koͤnnen uns durch ein Gefuͤhl erklaͤren,
Was unſerm Coͤrper nuͤtzt, und was ihn kan verſehren.
Doch taͤuſchen ſie uns offt, wenn wir ſie fragen,
Um uns die Wahrheit recht zu ſagen.
Wenn die Vernunfft dieſelbigen nicht leitet,
Verſpuͤret man, wie bald der Fuß in Jrrthum gleitet.
Durch ſtarcke Vorurtheil, wohin die Sinnen fuͤhren,
Statt ihnen unterthan zu ſeyn,
Beherrſchen und regieren
Sie oͤffters unſern Geiſt. Es ſcheinet anders nicht,
Als daß, erbarmenswerth geblendet, bloß allein
Man ſich nach ihnen richt.
Die Seele, welche ſich
Nur gar zu ſtarck gewoͤhnt an das, was coͤrperlich,
Verſpuͤrt, daß ſie durch ihre ſtarcke Zuͤge,
Die ſie beruͤhren, ſich vergnuͤge.
Sie laͤſſt ohn Unterlaß, ſich von demſelben lencken,
Und recht, als litte ſie in ihrem Dencken;
Beraubet ſie ſich ſelbſt von ihrem eignem Licht.
Ja ſie verwirret ſich,
Und hat ihr Augenmerck auf anders nichts gericht’t
Als auf den Druck und Trieb, die ſo unordentlich,
Und welche ihr recht mit Gewalt verwehren
Auf ihre wahre Luſt den Blick zu kehren.
So wie, bey einer groſſen Menge,
Der Zweck der kuͤnſtlichſten Beredſamkeit
Verfehlet wird, durch ein Getoͤſ’ und Schwaͤrmen;
Und wie der Reitz der lieblichſten Geſaͤnge
Geſtohret wird durch ein zu ſtarckes Lermen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/463>, abgerufen am 16.07.2024.
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