Dem weissen Rosen-Busch' ohn Laub und Dornen gleich. Willt du nun recht was zärtlichs sehn; So schau ein solches Blat Aufmerksam an, wie Wunder-schön Jn selben kleine Bäume stehn, Die sich darin mit Stämm- und Zweigen Verwunderlich und deutlich zeigen. Von diesen glaubet man, daß in den zarten Röhren Die Säfte, so die Früchte nähren, Bereitet, ausgekocht und zugerichtet werden, Ja daß so gar des Samens Geist und Kraft Jn dem geläuterten oft umgetrieb'nen Saft Jn dieser Blätter zarten Decken Geheimniß-voll verborgen stecken.
Die Bluhmen lassen durch die Spitzen Da, wo sie an dem Kelch vereinet sitzen, Ein Sternen-förmiges ein grünlich Blühmchen sehn, Jn dessen Mitte sich von kleinen Stangen Ein netter Zirkel zeigt, worauf so zart als schön Mit einem dünnen Staub bedeckte Zäser hangen, Die durch den allerkleinsten Wind Verwunderlich beweglich sind, Aus deren Mitte denn noch eine steiget, Die als ein Mittel-Punkt der zarten Frucht sich zeiget. O wunderbar Gewebe der Natur! Wer dich mit menschlichem Gemüt Und nicht mit vieh'schen Augen sieht; Der kann die Allmachts-volle Spur Von einem ew'gen Wunder-Wesen Auf deinen Blättern deutlich lesen. Demnach sey dir, mein Herz, forthin jedwede Blühte Ein kleines Lehr-reich Buch von GOTTES Macht und Güte!
Jch
Dem weiſſen Roſen-Buſch’ ohn Laub und Dornen gleich. Willt du nun recht was zaͤrtlichs ſehn; So ſchau ein ſolches Blat Aufmerkſam an, wie Wunder-ſchoͤn Jn ſelben kleine Baͤume ſtehn, Die ſich darin mit Staͤmm- und Zweigen Verwunderlich und deutlich zeigen. Von dieſen glaubet man, daß in den zarten Roͤhren Die Saͤfte, ſo die Fruͤchte naͤhren, Bereitet, ausgekocht und zugerichtet werden, Ja daß ſo gar des Samens Geiſt und Kraft Jn dem gelaͤuterten oft umgetrieb’nen Saft Jn dieſer Blaͤtter zarten Decken Geheimniß-voll verborgen ſtecken.
Die Bluhmen laſſen durch die Spitzen Da, wo ſie an dem Kelch vereinet ſitzen, Ein Sternen-foͤrmiges ein gruͤnlich Bluͤhmchen ſehn, Jn deſſen Mitte ſich von kleinen Stangen Ein netter Zirkel zeigt, worauf ſo zart als ſchoͤn Mit einem duͤnnen Staub bedeckte Zaͤſer hangen, Die durch den allerkleinſten Wind Verwunderlich beweglich ſind, Aus deren Mitte denn noch eine ſteiget, Die als ein Mittel-Punkt der zarten Frucht ſich zeiget. O wunderbar Gewebe der Natur! Wer dich mit menſchlichem Gemuͤt Und nicht mit vieh’ſchen Augen ſieht; Der kann die Allmachts-volle Spur Von einem ew’gen Wunder-Weſen Auf deinen Blaͤttern deutlich leſen. Demnach ſey dir, mein Herz, forthin jedwede Bluͤhte Ein kleines Lehr-reich Buch von GOTTES Macht und Guͤte!
Jch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="10"><l><pbfacs="#f0062"n="26"/>
Dem weiſſen Roſen-Buſch’ ohn Laub und Dornen gleich.</l><lb/><l>Willt du nun recht was zaͤrtlichs ſehn;</l><lb/><l>So ſchau ein ſolches Blat</l><lb/><l>Aufmerkſam an, wie Wunder-ſchoͤn</l><lb/><l>Jn ſelben kleine Baͤume ſtehn,</l><lb/><l>Die ſich darin mit Staͤmm- und Zweigen</l><lb/><l>Verwunderlich und deutlich zeigen.</l><lb/><l>Von dieſen glaubet man, daß in den zarten Roͤhren</l><lb/><l>Die Saͤfte, ſo die Fruͤchte naͤhren,</l><lb/><l>Bereitet, ausgekocht und zugerichtet werden,</l><lb/><l>Ja daß ſo gar des Samens Geiſt und Kraft</l><lb/><l>Jn dem gelaͤuterten oft umgetrieb’nen Saft</l><lb/><l>Jn dieſer Blaͤtter zarten Decken</l><lb/><l>Geheimniß-voll verborgen ſtecken.</l></lg><lb/><lgn="11"><l>Die Bluhmen laſſen durch die Spitzen</l><lb/><l>Da, wo ſie an dem Kelch vereinet ſitzen,</l><lb/><l>Ein Sternen-foͤrmiges ein gruͤnlich Bluͤhmchen ſehn,</l><lb/><l>Jn deſſen Mitte ſich von kleinen Stangen</l><lb/><l>Ein netter Zirkel zeigt, worauf ſo zart als ſchoͤn</l><lb/><l>Mit einem duͤnnen Staub bedeckte Zaͤſer hangen,</l><lb/><l>Die durch den allerkleinſten Wind</l><lb/><l>Verwunderlich beweglich ſind,</l><lb/><l>Aus deren Mitte denn noch eine ſteiget,</l><lb/><l>Die als ein Mittel-Punkt der zarten Frucht ſich zeiget.</l><lb/><l>O wunderbar Gewebe der Natur!</l><lb/><l>Wer dich mit menſchlichem Gemuͤt</l><lb/><l>Und nicht mit vieh’ſchen Augen ſieht;</l><lb/><l>Der kann die Allmachts-volle Spur</l><lb/><l>Von einem ew’gen Wunder-Weſen</l><lb/><l>Auf deinen Blaͤttern deutlich leſen.</l><lb/><l>Demnach ſey dir, mein Herz, forthin jedwede Bluͤhte</l><lb/><l>Ein kleines Lehr-reich Buch von GOTTES Macht und</l><lb/><l><hirendition="#et">Guͤte!</hi></l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jch</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[26/0062]
Dem weiſſen Roſen-Buſch’ ohn Laub und Dornen gleich.
Willt du nun recht was zaͤrtlichs ſehn;
So ſchau ein ſolches Blat
Aufmerkſam an, wie Wunder-ſchoͤn
Jn ſelben kleine Baͤume ſtehn,
Die ſich darin mit Staͤmm- und Zweigen
Verwunderlich und deutlich zeigen.
Von dieſen glaubet man, daß in den zarten Roͤhren
Die Saͤfte, ſo die Fruͤchte naͤhren,
Bereitet, ausgekocht und zugerichtet werden,
Ja daß ſo gar des Samens Geiſt und Kraft
Jn dem gelaͤuterten oft umgetrieb’nen Saft
Jn dieſer Blaͤtter zarten Decken
Geheimniß-voll verborgen ſtecken.
Die Bluhmen laſſen durch die Spitzen
Da, wo ſie an dem Kelch vereinet ſitzen,
Ein Sternen-foͤrmiges ein gruͤnlich Bluͤhmchen ſehn,
Jn deſſen Mitte ſich von kleinen Stangen
Ein netter Zirkel zeigt, worauf ſo zart als ſchoͤn
Mit einem duͤnnen Staub bedeckte Zaͤſer hangen,
Die durch den allerkleinſten Wind
Verwunderlich beweglich ſind,
Aus deren Mitte denn noch eine ſteiget,
Die als ein Mittel-Punkt der zarten Frucht ſich zeiget.
O wunderbar Gewebe der Natur!
Wer dich mit menſchlichem Gemuͤt
Und nicht mit vieh’ſchen Augen ſieht;
Der kann die Allmachts-volle Spur
Von einem ew’gen Wunder-Weſen
Auf deinen Blaͤttern deutlich leſen.
Demnach ſey dir, mein Herz, forthin jedwede Bluͤhte
Ein kleines Lehr-reich Buch von GOTTES Macht und
Guͤte!
Jch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/62>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.