Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite
Trost.
Jüngst dacht' ich bey mir selbst: wie kommt's, daß deine
Schriften,
Ob sie gleich noch so wahr,
Ob alles, was du schreib'st, gleich Sonnen-klar;
Doch bis daher so wenig gutes stiften?
Daß man sie lies't, und daß fast jedermann,
Wie gut du es gemeint, nachdem er sie gelesen,
Jn allen Stücken bleibt, wie er vorher gewesen?
Allein,
Fiel mir darüber ein,
Hab' ich auch Recht, mich deßfalls zu betrüben,
Da ja das schöne Buch der Welt,
Das GOttes Finger selbst geschrieben,
Das Urbild selbst, den Menschen nicht gefällt?
Wie kann mein Schatten-Riß, wie kann mein stammlend
Lallen,
Der ecklen Welt gefallen?
Zudem geh' in dich selbst! Bemüh dich, zu entdecken,
Ob Leidenschaften nicht in deinem Trauren stecken,
Und ob, statt GOttes Ruhms, wie du vermeinst, dein Leid
Nicht etwan einen starken Grad
Von Eigen-Lieb' und Eitelkeit
Zum Grunde hat!
Unmöglich ist es nicht. Jch bin ein Mensch, nichts
mehr,
Der folglich für die Lust, für Ueberfluß und Ehr

Nicht
Troſt.
Juͤngſt dacht’ ich bey mir ſelbſt: wie kommt’s, daß deine
Schriften,
Ob ſie gleich noch ſo wahr,
Ob alles, was du ſchreib’ſt, gleich Sonnen-klar;
Doch bis daher ſo wenig gutes ſtiften?
Daß man ſie lieſ’t, und daß faſt jedermann,
Wie gut du es gemeint, nachdem er ſie geleſen,
Jn allen Stuͤcken bleibt, wie er vorher geweſen?
Allein,
Fiel mir daruͤber ein,
Hab’ ich auch Recht, mich deßfalls zu betruͤben,
Da ja das ſchoͤne Buch der Welt,
Das GOttes Finger ſelbſt geſchrieben,
Das Urbild ſelbſt, den Menſchen nicht gefaͤllt?
Wie kann mein Schatten-Riß, wie kann mein ſtammlend
Lallen,
Der ecklen Welt gefallen?
Zudem geh’ in dich ſelbſt! Bemuͤh dich, zu entdecken,
Ob Leidenſchaften nicht in deinem Trauren ſtecken,
Und ob, ſtatt GOttes Ruhms, wie du vermeinſt, dein Leid
Nicht etwan einen ſtarken Grad
Von Eigen-Lieb’ und Eitelkeit
Zum Grunde hat!
Unmoͤglich iſt es nicht. Jch bin ein Menſch, nichts
mehr,
Der folglich fuͤr die Luſt, fuͤr Ueberfluß und Ehr

Nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0536" n="500"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Tro&#x017F;t.</hi> </head><lb/>
          <lg n="147">
            <l><hi rendition="#in">J</hi>u&#x0364;ng&#x017F;t dacht&#x2019; ich bey mir &#x017F;elb&#x017F;t: wie kommt&#x2019;s, daß deine</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Schriften,</hi> </l><lb/>
            <l>Ob &#x017F;ie gleich noch &#x017F;o wahr,</l><lb/>
            <l>Ob alles, was du &#x017F;chreib&#x2019;&#x017F;t, gleich Sonnen-klar;</l><lb/>
            <l>Doch bis daher &#x017F;o wenig gutes &#x017F;tiften?</l><lb/>
            <l>Daß man &#x017F;ie lie&#x017F;&#x2019;t, und daß fa&#x017F;t jedermann,</l><lb/>
            <l>Wie gut du es gemeint, nachdem er &#x017F;ie gele&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Jn allen Stu&#x0364;cken bleibt, wie er vorher gewe&#x017F;en?</l><lb/>
            <l>Allein,</l><lb/>
            <l>Fiel mir daru&#x0364;ber ein,</l><lb/>
            <l>Hab&#x2019; ich auch Recht, mich deßfalls zu betru&#x0364;ben,</l><lb/>
            <l>Da ja das &#x017F;cho&#x0364;ne Buch der Welt,</l><lb/>
            <l>Das GOttes Finger &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chrieben,</l><lb/>
            <l>Das Urbild &#x017F;elb&#x017F;t, den Men&#x017F;chen nicht gefa&#x0364;llt?</l><lb/>
            <l>Wie kann mein Schatten-Riß, wie kann mein &#x017F;tammlend</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Lallen,</hi> </l><lb/>
            <l>Der ecklen Welt gefallen?</l><lb/>
            <l>Zudem geh&#x2019; in dich &#x017F;elb&#x017F;t! Bemu&#x0364;h dich, zu entdecken,</l><lb/>
            <l>Ob Leiden&#x017F;chaften nicht in deinem Trauren &#x017F;tecken,</l><lb/>
            <l>Und ob, &#x017F;tatt GOttes Ruhms, wie du vermein&#x017F;t, dein Leid</l><lb/>
            <l>Nicht etwan einen &#x017F;tarken Grad</l><lb/>
            <l>Von Eigen-Lieb&#x2019; und Eitelkeit</l><lb/>
            <l>Zum Grunde hat!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="148">
            <l>Unmo&#x0364;glich i&#x017F;t es nicht. Jch bin ein Men&#x017F;ch, nichts</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">mehr,</hi> </l><lb/>
            <l>Der folglich fu&#x0364;r die Lu&#x017F;t, fu&#x0364;r Ueberfluß und Ehr</l><lb/>
            <l>
              <fw place="bottom" type="catch">Nicht</fw><lb/>
            </l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[500/0536] Troſt. Juͤngſt dacht’ ich bey mir ſelbſt: wie kommt’s, daß deine Schriften, Ob ſie gleich noch ſo wahr, Ob alles, was du ſchreib’ſt, gleich Sonnen-klar; Doch bis daher ſo wenig gutes ſtiften? Daß man ſie lieſ’t, und daß faſt jedermann, Wie gut du es gemeint, nachdem er ſie geleſen, Jn allen Stuͤcken bleibt, wie er vorher geweſen? Allein, Fiel mir daruͤber ein, Hab’ ich auch Recht, mich deßfalls zu betruͤben, Da ja das ſchoͤne Buch der Welt, Das GOttes Finger ſelbſt geſchrieben, Das Urbild ſelbſt, den Menſchen nicht gefaͤllt? Wie kann mein Schatten-Riß, wie kann mein ſtammlend Lallen, Der ecklen Welt gefallen? Zudem geh’ in dich ſelbſt! Bemuͤh dich, zu entdecken, Ob Leidenſchaften nicht in deinem Trauren ſtecken, Und ob, ſtatt GOttes Ruhms, wie du vermeinſt, dein Leid Nicht etwan einen ſtarken Grad Von Eigen-Lieb’ und Eitelkeit Zum Grunde hat! Unmoͤglich iſt es nicht. Jch bin ein Menſch, nichts mehr, Der folglich fuͤr die Luſt, fuͤr Ueberfluß und Ehr Nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/536
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/536>, abgerufen am 25.11.2024.