Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir rechnen; welche Kunst! Kann dieses auch ein Vieh?
Nein, und dennoch sind wir kaum so gelehrt
Mit aller Wissenschaft und Rechnung, als wie sie.
Ein Storch weiß seine Zeit, und rechnet seine Stunde:
Und überdem, wir wissen nicht einmal
Die Wunder-Tief' und Höh der Zalen aus dem Grunde;
Wir wissen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal.
Die schliessen ja für dich was unbegreiflichs ein,
Da schon in einem 1. die Teil' unendlich seyn.

Wird nicht von uns'rem Witz begriffen und gefasst
Manch Handwerk, manche Kunst? Auch dieß ist wahr;
allein
Erwege doch die Last,
Die Arbeit, Plage, Müh, den Schweiß, den Gram, die
Sorgen,
Den Kummer und Verdruß,
Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen,
Bloß um ein Bißgen Brodt, beständig dulden muß,
Und ob auf solche Weis' ein Thier
Ohn' Handwerk, sonder Kunst, nicht glücklicher, als wir!
Der Mensch ist ja gelehrt. Wir haben Professores
In omni scibili, Philosophos, Doctores.
Wir untersuchen ja die Wirkung der Natur,
Ergründen ihre Kraft, und kommen auf die Spur
Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder-
Sachen?

Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel't daran,
Daß keiner nicht einmal dir recht erklären kann,
Was Feu'r, was Wasser sey. Jch muß von Herzen lachen,
Daß die gelehrte Welt sich selbst so sehr erhöht,

Da
II. Theil. F f

Wir rechnen; welche Kunſt! Kann dieſes auch ein Vieh?
Nein, und dennoch ſind wir kaum ſo gelehrt
Mit aller Wiſſenſchaft und Rechnung, als wie ſie.
Ein Storch weiß ſeine Zeit, und rechnet ſeine Stunde:
Und uͤberdem, wir wiſſen nicht einmal
Die Wunder-Tief’ und Hoͤh der Zalen aus dem Grunde;
Wir wiſſen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal.
Die ſchlieſſen ja fuͤr dich was unbegreiflichs ein,
Da ſchon in einem 1. die Teil’ unendlich ſeyn.

Wird nicht von unſ’rem Witz begriffen und gefaſſt
Manch Handwerk, manche Kunſt? Auch dieß iſt wahr;
allein
Erwege doch die Laſt,
Die Arbeit, Plage, Muͤh, den Schweiß, den Gram, die
Sorgen,
Den Kummer und Verdruß,
Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen,
Bloß um ein Bißgen Brodt, beſtaͤndig dulden muß,
Und ob auf ſolche Weiſ’ ein Thier
Ohn’ Handwerk, ſonder Kunſt, nicht gluͤcklicher, als wir!
Der Menſch iſt ja gelehrt. Wir haben Profeſſores
In omni ſcibili, Philoſophos, Doctores.
Wir unterſuchen ja die Wirkung der Natur,
Ergruͤnden ihre Kraft, und kommen auf die Spur
Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder-
Sachen?

Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel’t daran,
Daß keiner nicht einmal dir recht erklaͤren kann,
Was Feu’r, was Waſſer ſey. Jch muß von Herzen lachen,
Daß die gelehrte Welt ſich ſelbſt ſo ſehr erhoͤht,

Da
II. Theil. F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="37">
            <l>
              <pb facs="#f0485" n="449"/> <hi rendition="#fr">Wir rechnen; welche Kun&#x017F;t! Kann die&#x017F;es auch ein Vieh?</hi> </l><lb/>
            <l>Nein, und dennoch &#x017F;ind wir kaum &#x017F;o gelehrt</l><lb/>
            <l>Mit aller Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und Rechnung, als wie &#x017F;ie.</l><lb/>
            <l>Ein Storch weiß &#x017F;eine Zeit, und rechnet &#x017F;eine Stunde:</l><lb/>
            <l>Und u&#x0364;berdem, wir wi&#x017F;&#x017F;en nicht einmal</l><lb/>
            <l>Die Wunder-Tief&#x2019; und Ho&#x0364;h der Zalen aus dem Grunde;</l><lb/>
            <l>Wir wi&#x017F;&#x017F;en nicht den Schluß noch Anfang einer Zal.</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en ja fu&#x0364;r dich was unbegreiflichs ein,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;chon in einem 1. die Teil&#x2019; unendlich &#x017F;eyn.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="38">
            <l> <hi rendition="#fr">Wird nicht von un&#x017F;&#x2019;rem Witz begriffen und gefa&#x017F;&#x017F;t</hi> </l><lb/>
            <l><hi rendition="#fr">Manch Handwerk, manche Kun&#x017F;t?</hi> Auch dieß i&#x017F;t wahr;</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">allein</hi> </l><lb/>
            <l>Erwege doch die La&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Die Arbeit, Plage, Mu&#x0364;h, den Schweiß, den Gram, die</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Sorgen,</hi> </l><lb/>
            <l>Den Kummer und Verdruß,</l><lb/>
            <l>Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen,</l><lb/>
            <l>Bloß um ein Bißgen Brodt, be&#x017F;ta&#x0364;ndig dulden muß,</l><lb/>
            <l>Und ob auf &#x017F;olche Wei&#x017F;&#x2019; ein Thier</l><lb/>
            <l>Ohn&#x2019; Handwerk, &#x017F;onder Kun&#x017F;t, nicht glu&#x0364;cklicher, als wir!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="39">
            <l> <hi rendition="#fr">Der Men&#x017F;ch i&#x017F;t ja gelehrt. Wir haben</hi> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Profe&#x017F;&#x017F;ores</hi> </hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq #i">In omni &#x017F;cibili, Philo&#x017F;ophos, Doctores.</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">Wir unter&#x017F;uchen ja die Wirkung der Natur,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">Ergru&#x0364;nden ihre Kraft, und kommen auf die Spur</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#fr">Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder-<lb/><hi rendition="#et">Sachen?</hi></hi> </l><lb/>
            <l>Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel&#x2019;t daran,</l><lb/>
            <l>Daß keiner nicht einmal dir recht erkla&#x0364;ren kann,</l><lb/>
            <l>Was Feu&#x2019;r, was Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ey. Jch muß von Herzen lachen,</l><lb/>
            <l>Daß die gelehrte Welt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;ehr erho&#x0364;ht,</l><lb/>
            <l>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> Theil. F f</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/>
            </l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0485] Wir rechnen; welche Kunſt! Kann dieſes auch ein Vieh? Nein, und dennoch ſind wir kaum ſo gelehrt Mit aller Wiſſenſchaft und Rechnung, als wie ſie. Ein Storch weiß ſeine Zeit, und rechnet ſeine Stunde: Und uͤberdem, wir wiſſen nicht einmal Die Wunder-Tief’ und Hoͤh der Zalen aus dem Grunde; Wir wiſſen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal. Die ſchlieſſen ja fuͤr dich was unbegreiflichs ein, Da ſchon in einem 1. die Teil’ unendlich ſeyn. Wird nicht von unſ’rem Witz begriffen und gefaſſt Manch Handwerk, manche Kunſt? Auch dieß iſt wahr; allein Erwege doch die Laſt, Die Arbeit, Plage, Muͤh, den Schweiß, den Gram, die Sorgen, Den Kummer und Verdruß, Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen, Bloß um ein Bißgen Brodt, beſtaͤndig dulden muß, Und ob auf ſolche Weiſ’ ein Thier Ohn’ Handwerk, ſonder Kunſt, nicht gluͤcklicher, als wir! Der Menſch iſt ja gelehrt. Wir haben Profeſſores In omni ſcibili, Philoſophos, Doctores. Wir unterſuchen ja die Wirkung der Natur, Ergruͤnden ihre Kraft, und kommen auf die Spur Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder- Sachen? Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel’t daran, Daß keiner nicht einmal dir recht erklaͤren kann, Was Feu’r, was Waſſer ſey. Jch muß von Herzen lachen, Daß die gelehrte Welt ſich ſelbſt ſo ſehr erhoͤht, Da II. Theil. F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/485
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/485>, abgerufen am 25.11.2024.