Vergessen wir uns doch so sehr, daß wir allein Nach unserm Nutz und Witz die Dinge, die geschehen, Beurteln und besehen. Kein armes altes Weib, das bey der Wäsche stehet, Jst so verächtlich, tumm und elend, daß sie nicht Auf ihr Verdienst bey GOtt so feste Zuversicht, So steife Hoffnung setzt: wann's regnet, oder wehet, Und sie schön Wetter braucht; es werde Sturm und Regen Um ihrent willen schon zu rechter Zeit sich legen. Was Wunder, daß so dann, wanns etwan anders fällt, Und wann der taube Nord den heisern Ton nicht höret, Sie sich voll Widrigkeit und Gram, nicht g'nug geehret, Und, sonder ihrer Schuld, von GOtt verachtet hält? Da doch, wofern sie das, warum sie bittet, wüste; Sie selber finden würd, daß selbst die ganze Welt Um ihre Wäsche sich verdrehn und ändern müste.
Du lachst vielleicht, mein Leser; aber höre! Wie wenn es etwan auch mit dir nicht anders wäre? Wie wenn ich auch bey dir so heil'ge Einfalt spür'te? Wie wenn ich dich allhie mit Wahrheit überführte, Daß du, und zwar gar oft, den Wäscherinnen gleich, An Witz und Wissen arm, an Eigen-Liebe reich, So wunderliches Zeug, wie sie, von GOtt begehrest, Und eben so, wie sie, wanns felet, dich beschwerest? Da dein Verdienst jedoch und dein Verstand so klein, Daß fast die Thiere selbst in vielem klüger seyn, Als wie die Menschen sind. Dich deß zu überführen, Wird mir allhier so leicht seyn, als gebühren.
Zu mehrer Deutlichkeit
Will
Vergeſſen wir uns doch ſo ſehr, daß wir allein Nach unſerm Nutz und Witz die Dinge, die geſchehen, Beurteln und beſehen. Kein armes altes Weib, das bey der Waͤſche ſtehet, Jſt ſo veraͤchtlich, tumm und elend, daß ſie nicht Auf ihr Verdienſt bey GOtt ſo feſte Zuverſicht, So ſteife Hoffnung ſetzt: wann’s regnet, oder wehet, Und ſie ſchoͤn Wetter braucht; es werde Sturm und Regen Um ihrent willen ſchon zu rechter Zeit ſich legen. Was Wunder, daß ſo dann, wanns etwan anders faͤllt, Und wann der taube Nord den heiſern Ton nicht hoͤret, Sie ſich voll Widrigkeit und Gram, nicht g’nug geehret, Und, ſonder ihrer Schuld, von GOtt verachtet haͤlt? Da doch, wofern ſie das, warum ſie bittet, wuͤſte; Sie ſelber finden wuͤrd, daß ſelbſt die ganze Welt Um ihre Waͤſche ſich verdrehn und aͤndern muͤſte.
Du lachſt vielleicht, mein Leſer; aber hoͤre! Wie wenn es etwan auch mit dir nicht anders waͤre? Wie wenn ich auch bey dir ſo heil’ge Einfalt ſpuͤr’te? Wie wenn ich dich allhie mit Wahrheit uͤberfuͤhrte, Daß du, und zwar gar oft, den Waͤſcherinnen gleich, An Witz und Wiſſen arm, an Eigen-Liebe reich, So wunderliches Zeug, wie ſie, von GOtt begehreſt, Und eben ſo, wie ſie, wanns felet, dich beſchwereſt? Da dein Verdienſt jedoch und dein Verſtand ſo klein, Daß faſt die Thiere ſelbſt in vielem kluͤger ſeyn, Als wie die Menſchen ſind. Dich deß zu uͤberfuͤhren, Wird mir allhier ſo leicht ſeyn, als gebuͤhren.
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Will
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Vergeſſen wir uns doch ſo ſehr, daß wir allein
Nach unſerm Nutz und Witz die Dinge, die geſchehen,
Beurteln und beſehen.
Kein armes altes Weib, das bey der Waͤſche ſtehet,
Jſt ſo veraͤchtlich, tumm und elend, daß ſie nicht
Auf ihr Verdienſt bey GOtt ſo feſte Zuverſicht,
So ſteife Hoffnung ſetzt: wann’s regnet, oder wehet,
Und ſie ſchoͤn Wetter braucht; es werde Sturm und Regen
Um ihrent willen ſchon zu rechter Zeit ſich legen.
Was Wunder, daß ſo dann, wanns etwan anders faͤllt,
Und wann der taube Nord den heiſern Ton nicht hoͤret,
Sie ſich voll Widrigkeit und Gram, nicht g’nug geehret,
Und, ſonder ihrer Schuld, von GOtt verachtet haͤlt?
Da doch, wofern ſie das, warum ſie bittet, wuͤſte;
Sie ſelber finden wuͤrd, daß ſelbſt die ganze Welt
Um ihre Waͤſche ſich verdrehn und aͤndern muͤſte.
Du lachſt vielleicht, mein Leſer; aber hoͤre!
Wie wenn es etwan auch mit dir nicht anders waͤre?
Wie wenn ich auch bey dir ſo heil’ge Einfalt ſpuͤr’te?
Wie wenn ich dich allhie mit Wahrheit uͤberfuͤhrte,
Daß du, und zwar gar oft, den Waͤſcherinnen gleich,
An Witz und Wiſſen arm, an Eigen-Liebe reich,
So wunderliches Zeug, wie ſie, von GOtt begehreſt,
Und eben ſo, wie ſie, wanns felet, dich beſchwereſt?
Da dein Verdienſt jedoch und dein Verſtand ſo klein,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/480>, abgerufen am 25.11.2024.
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