Der abgeschmackt'sten Eigen-Liebe Fast mehr dich selbst zum Gott, als GOtt zum Menschen, machest, Und würklich, wenn mans recht erwäget, GOtt verlachest. Dein alter Gott-Mann muß entweder klein, (Der etwa wie ein Fürst durch andere regieret, Durch and're sieht und hör't und seinen Zepter führet,) Wo nicht, müst' er ein Mann von solcher Grösse seyn, Dem hundert tausend tausend Meilen Nicht einst ein Glied von seinem Finger teilen. Ja wär' er auch so groß; so wär' er dennoch klein. Denn hätt' Er eine Form; so müst' Er endlich seyn. Was endlichs aber nun von einer Gottheit glauben, Heisst Jhr' Allgegenwart, ja gar die Gottheit, rauben.
Unendlich ewigs All, laß uns'rer Selen Augen Durch Deine Lieb' eröffnet seyn, Daß wir der wahren Gottheit Schein Jn Deinem Werk zu sehn und zu verehren taugen! Laß uns're Selen doch Dein unbegreiflichs Wesen Jm Buch der Creatur erstaun't mit Ehrfurcht lefen! Laß uns, auch in der finstern Nacht, Von Deiner unerschaff'nen Macht Jm funkelndem Gestirn das herrliche Gepränge, Die ungeheure Gröss' und ungeheure Menge Und ungeheure Schnelligkeit Der himmlischen Geschöpf besehen und besingen! So werden wir, wenn wir in allen Dingen Dich, HERR, allgegenwärtig sehn, Uns selbst vernichtigen, und Dich allein erhöhn.
Seh'
Der abgeſchmackt’ſten Eigen-Liebe Faſt mehr dich ſelbſt zum Gott, als GOtt zum Menſchen, macheſt, Und wuͤrklich, wenn mans recht erwaͤget, GOtt verlacheſt. Dein alter Gott-Mann muß entweder klein, (Der etwa wie ein Fuͤrſt durch andere regieret, Durch and’re ſieht und hoͤr’t und ſeinen Zepter fuͤhret,) Wo nicht, muͤſt’ er ein Mann von ſolcher Groͤſſe ſeyn, Dem hundert tauſend tauſend Meilen Nicht einſt ein Glied von ſeinem Finger teilen. Ja waͤr’ er auch ſo groß; ſo waͤr’ er dennoch klein. Denn haͤtt’ Er eine Form; ſo muͤſt’ Er endlich ſeyn. Was endlichs aber nun von einer Gottheit glauben, Heiſſt Jhr’ Allgegenwart, ja gar die Gottheit, rauben.
Unendlich ewigs All, laß unſ’rer Selen Augen Durch Deine Lieb’ eroͤffnet ſeyn, Daß wir der wahren Gottheit Schein Jn Deinem Werk zu ſehn und zu verehren taugen! Laß unſ’re Selen doch Dein unbegreiflichs Weſen Jm Buch der Creatur erſtaun’t mit Ehrfurcht lefen! Laß uns, auch in der finſtern Nacht, Von Deiner unerſchaff’nen Macht Jm funkelndem Geſtirn das herrliche Gepraͤnge, Die ungeheure Groͤſſ’ und ungeheure Menge Und ungeheure Schnelligkeit Der himmliſchen Geſchoͤpf beſehen und beſingen! So werden wir, wenn wir in allen Dingen Dich, HERR, allgegenwaͤrtig ſehn, Uns ſelbſt vernichtigen, und Dich allein erhoͤhn.
Seh’
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Der abgeſchmackt’ſten Eigen-Liebe
Faſt mehr dich ſelbſt zum Gott, als GOtt zum Menſchen,
macheſt,
Und wuͤrklich, wenn mans recht erwaͤget, GOtt verlacheſt.
Dein alter Gott-Mann muß entweder klein,
(Der etwa wie ein Fuͤrſt durch andere regieret,
Durch and’re ſieht und hoͤr’t und ſeinen Zepter fuͤhret,)
Wo nicht, muͤſt’ er ein Mann von ſolcher Groͤſſe ſeyn,
Dem hundert tauſend tauſend Meilen
Nicht einſt ein Glied von ſeinem Finger teilen.
Ja waͤr’ er auch ſo groß; ſo waͤr’ er dennoch klein.
Denn haͤtt’ Er eine Form; ſo muͤſt’ Er endlich ſeyn.
Was endlichs aber nun von einer Gottheit glauben,
Heiſſt Jhr’ Allgegenwart, ja gar die Gottheit, rauben.
Unendlich ewigs All, laß unſ’rer Selen Augen
Durch Deine Lieb’ eroͤffnet ſeyn,
Daß wir der wahren Gottheit Schein
Jn Deinem Werk zu ſehn und zu verehren taugen!
Laß unſ’re Selen doch Dein unbegreiflichs Weſen
Jm Buch der Creatur erſtaun’t mit Ehrfurcht lefen!
Laß uns, auch in der finſtern Nacht,
Von Deiner unerſchaff’nen Macht
Jm funkelndem Geſtirn das herrliche Gepraͤnge,
Die ungeheure Groͤſſ’ und ungeheure Menge
Und ungeheure Schnelligkeit
Der himmliſchen Geſchoͤpf beſehen und beſingen!
So werden wir, wenn wir in allen Dingen
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Uns ſelbſt vernichtigen, und Dich allein erhoͤhn.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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