Jch wund're mich, daß aller Menschen Geist Nicht eins besorget ist um das, was wachsen heisst. Säh' iemand einen Pallast stehn, Der nimmer ein Gebäu gesehn, Und früg', indem er ihn beschauet, Wie ward dieß Haus? Wie gieng es zu? Auf solche Frage sag'test du Jhm nichts, als nur: es ist gebauet. Was meynst du, würd' er sich mit Recht Daran begnügen, und nicht fragen: Was heisst gebaut? Wie hat sich's zugetragen? Du sprichst: Es wächst. Jst dieß genug? Du setzest nicht, o Mensch, mit Fug Dem klugen Geist so enge Gränzen. Sieht deiner Selen Auge hier Jn solcher Ordnung, Nutz und Zier Nicht einen Stral der Gottheit glänzen; So weiß ich nicht, warum dein Geist Sich weise, klug, vernünftig heisst.
Der
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Menſchliche Unachtſamkeit.
Jch wund’re mich, daß aller Menſchen Geiſt Nicht eins beſorget iſt um das, was wachſen heiſſt. Saͤh’ iemand einen Pallaſt ſtehn, Der nimmer ein Gebaͤu geſehn, Und fruͤg’, indem er ihn beſchauet, Wie ward dieß Haus? Wie gieng es zu? Auf ſolche Frage ſag’teſt du Jhm nichts, als nur: es iſt gebauet. Was meynſt du, wuͤrd’ er ſich mit Recht Daran begnuͤgen, und nicht fragen: Was heiſſt gebaut? Wie hat ſich’s zugetragen? Du ſprichſt: Es waͤchſt. Jſt dieß genug? Du ſetzeſt nicht, o Menſch, mit Fug Dem klugen Geiſt ſo enge Graͤnzen. Sieht deiner Selen Auge hier Jn ſolcher Ordnung, Nutz und Zier Nicht einen Stral der Gottheit glaͤnzen; So weiß ich nicht, warum dein Geiſt Sich weiſe, klug, vernuͤnftig heiſſt.
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Menſchliche Unachtſamkeit.
Jch wund’re mich, daß aller Menſchen Geiſt
Nicht eins beſorget iſt um das, was wachſen heiſſt.
Saͤh’ iemand einen Pallaſt ſtehn,
Der nimmer ein Gebaͤu geſehn,
Und fruͤg’, indem er ihn beſchauet,
Wie ward dieß Haus? Wie gieng es zu?
Auf ſolche Frage ſag’teſt du
Jhm nichts, als nur: es iſt gebauet.
Was meynſt du, wuͤrd’ er ſich mit Recht
Daran begnuͤgen, und nicht fragen:
Was heiſſt gebaut? Wie hat ſich’s zugetragen?
Du ſprichſt: Es waͤchſt. Jſt dieß genug?
Du ſetzeſt nicht, o Menſch, mit Fug
Dem klugen Geiſt ſo enge Graͤnzen.
Sieht deiner Selen Auge hier
Jn ſolcher Ordnung, Nutz und Zier
Nicht einen Stral der Gottheit glaͤnzen;
So weiß ich nicht, warum dein Geiſt
Sich weiſe, klug, vernuͤnftig heiſſt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/157>, abgerufen am 22.12.2024.
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