Nur ganz vergeblich sind, und nichts zu wirken taugen: Weßwegen er von andern Dingen sprach, Jhm einig' Höflichkeit erwies, Und, ohn' ihn gar zu sehr Zu nötigen, ihn von sich ließ.
Kaum war er fort, so dachte dieser nach, Was doch die Ursach sey, daß aller Farben Schein, Daß aller Bildung Pracht, der Menschen Herz nicht rühret; Daß keiner fast daran was recht behaglichs spüret; Daß sie fast jedermann Vor Augen zwar, doch nicht im Herzen, liegen, Da jeder sich daran Mit einem blinden Blick vergnügen, Und so geschwinde sätt'gen, kann; Daß keiner sie mit Lust betrachtet, Daß keiner sie des Anblicks würdig achtet, Muß gleich ein ieder, daß sie schön, Bey'm ersten Anblick schon gestehn. Wiewol er sich zuletzt auf folgendes besann: Die Ehrgier, Geld-Sucht, Fleisches-Lust, Die uns im Geistlichen zu GOtt den Zugang wehren, Verriegeln leider auch der Menschen Brust, Daß wir von GOttes Werk nichts sehen und nichts hören.
Ein altes Sprichwort sag't: Kein Auge sieht, Wenn das Gemüt Beschäfftigt ist mit andern Dingen. Mehr als zu wahr. Da wir von Jugend an Die Sel' auf Wollust, Ehr' und Geld zu denken zwingen: Wird durch die leidige Gewonheit jedermann
Da-
G 4
Nur ganz vergeblich ſind, und nichts zu wirken taugen: Weßwegen er von andern Dingen ſprach, Jhm einig’ Hoͤflichkeit erwies, Und, ohn’ ihn gar zu ſehr Zu noͤtigen, ihn von ſich ließ.
Kaum war er fort, ſo dachte dieſer nach, Was doch die Urſach ſey, daß aller Farben Schein, Daß aller Bildung Pracht, der Menſchen Herz nicht ruͤhret; Daß keiner faſt daran was recht behaglichs ſpuͤret; Daß ſie faſt jedermann Vor Augen zwar, doch nicht im Herzen, liegen, Da jeder ſich daran Mit einem blinden Blick vergnuͤgen, Und ſo geſchwinde ſaͤtt’gen, kann; Daß keiner ſie mit Luſt betrachtet, Daß keiner ſie des Anblicks wuͤrdig achtet, Muß gleich ein ieder, daß ſie ſchoͤn, Bey’m erſten Anblick ſchon geſtehn. Wiewol er ſich zuletzt auf folgendes beſann: Die Ehrgier, Geld-Sucht, Fleiſches-Luſt, Die uns im Geiſtlichen zu GOtt den Zugang wehren, Verriegeln leider auch der Menſchen Bruſt, Daß wir von GOttes Werk nichts ſehen und nichts hoͤren.
Ein altes Sprichwort ſag’t: Kein Auge ſieht, Wenn das Gemuͤt Beſchaͤfftigt iſt mit andern Dingen. Mehr als zu wahr. Da wir von Jugend an Die Sel’ auf Wolluſt, Ehr’ und Geld zu denken zwingen: Wird durch die leidige Gewonheit jedermann
Da-
G 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="3"><l><pbfacs="#f0139"n="103"/>
Nur ganz vergeblich ſind, und nichts zu wirken taugen:</l><lb/><l>Weßwegen er von andern Dingen ſprach,</l><lb/><l>Jhm einig’ Hoͤflichkeit erwies,</l><lb/><l>Und, ohn’ ihn gar zu ſehr</l><lb/><l>Zu noͤtigen, ihn von ſich ließ.</l></lg><lb/><lgn="4"><l>Kaum war er fort, ſo dachte dieſer nach,</l><lb/><l>Was doch die Urſach ſey, daß aller Farben Schein,</l><lb/><l>Daß aller Bildung Pracht, der Menſchen Herz nicht ruͤhret;</l><lb/><l>Daß keiner faſt daran was recht behaglichs ſpuͤret;</l><lb/><l>Daß ſie faſt jedermann</l><lb/><l>Vor Augen zwar, doch nicht im Herzen, liegen,</l><lb/><l>Da jeder ſich daran</l><lb/><l>Mit einem blinden Blick vergnuͤgen,</l><lb/><l>Und ſo geſchwinde ſaͤtt’gen, kann;</l><lb/><l>Daß keiner ſie mit Luſt betrachtet,</l><lb/><l>Daß keiner ſie des Anblicks wuͤrdig achtet,</l><lb/><l>Muß gleich ein ieder, daß ſie ſchoͤn,</l><lb/><l>Bey’m erſten Anblick ſchon geſtehn.</l><lb/><l>Wiewol er ſich zuletzt auf folgendes beſann:</l><lb/><l>Die Ehrgier, Geld-Sucht, Fleiſches-Luſt,</l><lb/><l>Die uns im Geiſtlichen zu GOtt den Zugang wehren,</l><lb/><l>Verriegeln leider auch der Menſchen Bruſt,</l><lb/><l>Daß wir von GOttes Werk nichts ſehen und nichts hoͤren.</l></lg><lb/><lgn="5"><l>Ein altes Sprichwort ſag’t: Kein Auge ſieht,</l><lb/><l>Wenn das Gemuͤt</l><lb/><l>Beſchaͤfftigt iſt mit andern Dingen.</l><lb/><l>Mehr als zu wahr. Da wir von Jugend an</l><lb/><l>Die Sel’ auf Wolluſt, Ehr’ und Geld zu denken zwingen:</l><lb/><l>Wird durch die leidige Gewonheit jedermann</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="sig">G 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Da-</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[103/0139]
Nur ganz vergeblich ſind, und nichts zu wirken taugen:
Weßwegen er von andern Dingen ſprach,
Jhm einig’ Hoͤflichkeit erwies,
Und, ohn’ ihn gar zu ſehr
Zu noͤtigen, ihn von ſich ließ.
Kaum war er fort, ſo dachte dieſer nach,
Was doch die Urſach ſey, daß aller Farben Schein,
Daß aller Bildung Pracht, der Menſchen Herz nicht ruͤhret;
Daß keiner faſt daran was recht behaglichs ſpuͤret;
Daß ſie faſt jedermann
Vor Augen zwar, doch nicht im Herzen, liegen,
Da jeder ſich daran
Mit einem blinden Blick vergnuͤgen,
Und ſo geſchwinde ſaͤtt’gen, kann;
Daß keiner ſie mit Luſt betrachtet,
Daß keiner ſie des Anblicks wuͤrdig achtet,
Muß gleich ein ieder, daß ſie ſchoͤn,
Bey’m erſten Anblick ſchon geſtehn.
Wiewol er ſich zuletzt auf folgendes beſann:
Die Ehrgier, Geld-Sucht, Fleiſches-Luſt,
Die uns im Geiſtlichen zu GOtt den Zugang wehren,
Verriegeln leider auch der Menſchen Bruſt,
Daß wir von GOttes Werk nichts ſehen und nichts hoͤren.
Ein altes Sprichwort ſag’t: Kein Auge ſieht,
Wenn das Gemuͤt
Beſchaͤfftigt iſt mit andern Dingen.
Mehr als zu wahr. Da wir von Jugend an
Die Sel’ auf Wolluſt, Ehr’ und Geld zu denken zwingen:
Wird durch die leidige Gewonheit jedermann
Da-
G 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/139>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.