Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.Die Gnade nimmt den Schleier, Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr! einWenn Liebe Rosen giebt, Die Ehre grüßt den Freier, Weil sie die Gnade liebt. hundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll von duftenden Rosen. Ich hielt ihn in der Hand und lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das ist die Gnade. Als ich um die Ecke bog, sah ich einen Mann, der sich in seinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vor¬ über eilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht gesehen zu werden. Er hätte es nicht nöthig gehabt, ich sah und hörte nichts in meinem Innern, als: Gnade, Gnade! und stürzte durch das Gitterthor in den Schlo߬ hof. Gott sey Dank, der Fähndrich, Graf Grossinger, der unter den blühenden Kastanienbäumen vor der Wache auf und ab ging, trat mir schon entgegen. Lieber Graf, sagte ich mit Ungestüm, Sie müssen Er schien verlegen über diesen Antrag und sagte: Die Gnade nimmt den Schleier, Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr! einWenn Liebe Roſen giebt, Die Ehre grüßt den Freier, Weil ſie die Gnade liebt. hundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll von duftenden Roſen. Ich hielt ihn in der Hand und lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das iſt die Gnade. Als ich um die Ecke bog, ſah ich einen Mann, der ſich in ſeinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vor¬ über eilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht geſehen zu werden. Er hätte es nicht nöthig gehabt, ich ſah und hörte nichts in meinem Innern, als: Gnade, Gnade! und ſtürzte durch das Gitterthor in den Schlo߬ hof. Gott ſey Dank, der Fähndrich, Graf Groſſinger, der unter den blühenden Kaſtanienbäumen vor der Wache auf und ab ging, trat mir ſchon entgegen. Lieber Graf, ſagte ich mit Ungeſtüm, Sie müſſen Er ſchien verlegen über dieſen Antrag und ſagte: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><lg type="poem"><pb facs="#f0063" n="53"/><l>Die Gnade nimmt den Schleier,</l><lb/><l>Wenn Liebe Roſen giebt,</l><lb/><l>Die Ehre grüßt den Freier,</l><lb/><l>Weil ſie die Gnade liebt.</l><lb/></lg> Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr! ein<lb/> hundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier<lb/> auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll<lb/> von duftenden Roſen. Ich hielt ihn in der Hand und<lb/> lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das iſt die<lb/> Gnade. Als ich um die Ecke bog, ſah ich einen Mann,<lb/> der ſich in ſeinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vor¬<lb/> über eilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht<lb/> geſehen zu werden. Er hätte es nicht nöthig gehabt,<lb/> ich ſah und hörte nichts in meinem Innern, als: Gnade,<lb/> Gnade! und ſtürzte durch das Gitterthor in den Schlo߬<lb/> hof. Gott ſey Dank, der Fähndrich, Graf Groſſinger,<lb/> der unter den blühenden Kaſtanienbäumen vor der Wache<lb/> auf und ab ging, trat mir ſchon entgegen.</p><lb/> <p>Lieber Graf, ſagte ich mit Ungeſtüm, Sie müſſen<lb/> mich gleich zum Herzog bringen, gleich auf der Stelle,<lb/> oder Alles iſt zu ſpät, Alles iſt verloren!</p><lb/> <p>Er ſchien verlegen über dieſen Antrag und ſagte:<lb/> Was fällt Ihnen ein, zu dieſer ungewohnten Stunde?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [53/0063]
Die Gnade nimmt den Schleier,
Wenn Liebe Roſen giebt,
Die Ehre grüßt den Freier,
Weil ſie die Gnade liebt.
Ach, ich hatte der guten Wahrzeichen noch mehr! ein
hundert Schritte weiter fand ich einen weißen Schleier
auf der Straße liegend; ich raffte ihn auf, er war voll
von duftenden Roſen. Ich hielt ihn in der Hand und
lief weiter, mit dem Gedanken: ach Gott, das iſt die
Gnade. Als ich um die Ecke bog, ſah ich einen Mann,
der ſich in ſeinem Mantel verhüllte, als ich vor ihm vor¬
über eilte und mir heftig den Rücken wandte, um nicht
geſehen zu werden. Er hätte es nicht nöthig gehabt,
ich ſah und hörte nichts in meinem Innern, als: Gnade,
Gnade! und ſtürzte durch das Gitterthor in den Schlo߬
hof. Gott ſey Dank, der Fähndrich, Graf Groſſinger,
der unter den blühenden Kaſtanienbäumen vor der Wache
auf und ab ging, trat mir ſchon entgegen.
Lieber Graf, ſagte ich mit Ungeſtüm, Sie müſſen
mich gleich zum Herzog bringen, gleich auf der Stelle,
oder Alles iſt zu ſpät, Alles iſt verloren!
Er ſchien verlegen über dieſen Antrag und ſagte:
Was fällt Ihnen ein, zu dieſer ungewohnten Stunde?
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/63>, abgerufen am 16.02.2025. |