Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Fuß aussenden, und den Müller, wenn er komme, um
die weiteren Umstände vernehmen. Kasper ging nun
von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hause;
da er aber an meiner Hütte vorüber mußte, und durch
das Fenster hörte: daß ich ein geistliches Lied sang, wie
ich denn vor Gedanken an seine selige Mutter nicht
schlafen konnte, so pochte er an und sagte: Gelobt sey
Jesus Christus, liebe Großmutter, Kasper ist hier. Ach!
wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich
stürzte an das Fenster, öffnete es und küßte und drückte
ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir sein Un¬
glück mit großer Eile und sagte, welchen Auftrag er an
seinen Vater vom Gerichtshalter habe, er müsse drum
jetzt gleich hin, um den Dieben nachzusetzen, denn
seine Ehre hänge davon ab, daß er sein Pferd wieder
erhalte.

Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir
recht durch alle Glieder, denn ich wußte schwere Gerichte
die ihm bevorstanden. Thue Deine Pflicht, und gieb
Gott allein die Ehre, sagte ich; und er eilte von mir
nach Finkels Hof, der am andern Ende des Dorfs liegt.
Ich sank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu

3

Fuß ausſenden, und den Müller, wenn er komme, um
die weiteren Umſtände vernehmen. Kasper ging nun
von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hauſe;
da er aber an meiner Hütte vorüber mußte, und durch
das Fenſter hörte: daß ich ein geiſtliches Lied ſang, wie
ich denn vor Gedanken an ſeine ſelige Mutter nicht
ſchlafen konnte, ſo pochte er an und ſagte: Gelobt ſey
Jeſus Chriſtus, liebe Großmutter, Kasper iſt hier. Ach!
wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich
ſtürzte an das Fenſter, öffnete es und küßte und drückte
ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir ſein Un¬
glück mit großer Eile und ſagte, welchen Auftrag er an
ſeinen Vater vom Gerichtshalter habe, er müſſe drum
jetzt gleich hin, um den Dieben nachzuſetzen, denn
ſeine Ehre hänge davon ab, daß er ſein Pferd wieder
erhalte.

Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir
recht durch alle Glieder, denn ich wußte ſchwere Gerichte
die ihm bevorſtanden. Thue Deine Pflicht, und gieb
Gott allein die Ehre, ſagte ich; und er eilte von mir
nach Finkels Hof, der am andern Ende des Dorfs liegt.
Ich ſank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu

3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="33"/>
Fuß aus&#x017F;enden, und den Müller, wenn er komme, um<lb/>
die weiteren Um&#x017F;tände vernehmen. Kasper ging nun<lb/>
von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hau&#x017F;e;<lb/>
da er aber an meiner Hütte vorüber mußte, und durch<lb/>
das Fen&#x017F;ter hörte: daß ich ein gei&#x017F;tliches Lied &#x017F;ang, wie<lb/>
ich denn vor Gedanken an &#x017F;eine &#x017F;elige Mutter nicht<lb/>
&#x017F;chlafen konnte, &#x017F;o pochte er an und &#x017F;agte: Gelobt &#x017F;ey<lb/>
Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus, liebe Großmutter, Kasper i&#x017F;t hier. Ach!<lb/>
wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich<lb/>
&#x017F;türzte an das Fen&#x017F;ter, öffnete es und küßte und drückte<lb/>
ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir &#x017F;ein Un¬<lb/>
glück mit großer Eile und &#x017F;agte, welchen Auftrag er an<lb/>
&#x017F;einen Vater vom Gerichtshalter habe, er mü&#x017F;&#x017F;e drum<lb/>
jetzt gleich hin, um den Dieben nachzu&#x017F;etzen, denn<lb/>
&#x017F;eine Ehre hänge davon ab, daß er &#x017F;ein Pferd wieder<lb/>
erhalte.</p><lb/>
        <p>Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir<lb/>
recht durch alle Glieder, denn ich wußte &#x017F;chwere Gerichte<lb/>
die ihm bevor&#x017F;tanden. Thue Deine Pflicht, und gieb<lb/>
Gott allein die Ehre, &#x017F;agte ich; und er eilte von mir<lb/>
nach Finkels Hof, der am andern Ende des Dorfs liegt.<lb/>
Ich &#x017F;ank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0043] Fuß ausſenden, und den Müller, wenn er komme, um die weiteren Umſtände vernehmen. Kasper ging nun von dem Gerichtshalter weg, nach dem väterlichen Hauſe; da er aber an meiner Hütte vorüber mußte, und durch das Fenſter hörte: daß ich ein geiſtliches Lied ſang, wie ich denn vor Gedanken an ſeine ſelige Mutter nicht ſchlafen konnte, ſo pochte er an und ſagte: Gelobt ſey Jeſus Chriſtus, liebe Großmutter, Kasper iſt hier. Ach! wie fuhren mir die Worte durch Mark und Bein, ich ſtürzte an das Fenſter, öffnete es und küßte und drückte ihn mit unendlichen Thränen. Er erzählte mir ſein Un¬ glück mit großer Eile und ſagte, welchen Auftrag er an ſeinen Vater vom Gerichtshalter habe, er müſſe drum jetzt gleich hin, um den Dieben nachzuſetzen, denn ſeine Ehre hänge davon ab, daß er ſein Pferd wieder erhalte. Ich weiß nicht, aber das Wort Ehre fuhr mir recht durch alle Glieder, denn ich wußte ſchwere Gerichte die ihm bevorſtanden. Thue Deine Pflicht, und gieb Gott allein die Ehre, ſagte ich; und er eilte von mir nach Finkels Hof, der am andern Ende des Dorfs liegt. Ich ſank, als er fort war, auf die Kniee, und betete zu 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/43
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/43>, abgerufen am 25.11.2024.