nig, gegen den sich Keiner erheben darf" -- aber dennoch fürchtet der Löwe, der Niemanden fürchtet, den Hahn und fliehet vor seinem Anblick und Geschrei; denn der Feind, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und suchet, wie er uns verschlinge, fliehet vor dem Rufe des Wächters, der das Gewissen erwecket, auf daß wir uns rüsten zum Kampf. Darum auch ward kein Thier so erhöhet; die weisesten Män¬ ner setzen sein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thür¬ me über das Kreuz, daß bei dem Wächter wohne der War¬ ner und Wächter. So auch steht des Hahnen Bild auf dem Deckel des ABC-Buchs, die Schüler zu mahnen, daß sie früh aufstehen sollen, zu lernen. O wie löblich ist das Beispiel des Hahnen! Ehe er kräht, die Menschen vom Schlafe zu wecken, schlägt er sich selbst ermunternd mit den Flügeln in die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit sich selbst der Tugend bestreben soll, ehe er sie anderen lehret. Stolz ist der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft seine Blicke zum Himmel; sein Schrei ist prophetisch, er kündet das Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachsamkeit, ein Kämpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den Rüstwagen gesetzt, daß sie sich zurufen und ablösen zu ge¬ messener Zeit. So es dämmert und der Hahn mit den Hüh¬ nern zu ruhen sich auf die Stange setzt, stellen sie die Nacht¬ wache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt sich der Hahn, und die Wache wird gewechselt; um die Mitternacht beginnt er zu krähen, sie stellen die dritte Wache aus, und drei Stunden gen Morgen rufet sein tagverkündender Schrei die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter ist der Hahn, sein Haupt ist geziert mit Busch und rother Helmdecke und ein purpurnes Ordensband schimmert an seinem Halse; stark ist seine Brust wie ein Harnisch im Streit, und sein Fuß ist bespornt. Keine Kränkung seiner Damen duldet er, kämpft gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und selbst blutend verkündet er seinen Sieg stolz emporgerichtet
nig, gegen den ſich Keiner erheben darf“ — aber dennoch fuͤrchtet der Loͤwe, der Niemanden fuͤrchtet, den Hahn und fliehet vor ſeinem Anblick und Geſchrei; denn der Feind, der umhergeht wie ein bruͤllender Loͤwe und ſuchet, wie er uns verſchlinge, fliehet vor dem Rufe des Waͤchters, der das Gewiſſen erwecket, auf daß wir uns ruͤſten zum Kampf. Darum auch ward kein Thier ſo erhoͤhet; die weiſeſten Maͤn¬ ner ſetzen ſein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thuͤr¬ me uͤber das Kreuz, daß bei dem Waͤchter wohne der War¬ ner und Waͤchter. So auch ſteht des Hahnen Bild auf dem Deckel des ABC-Buchs, die Schuͤler zu mahnen, daß ſie fruͤh aufſtehen ſollen, zu lernen. O wie loͤblich iſt das Beiſpiel des Hahnen! Ehe er kraͤht, die Menſchen vom Schlafe zu wecken, ſchlaͤgt er ſich ſelbſt ermunternd mit den Fluͤgeln in die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit ſich ſelbſt der Tugend beſtreben ſoll, ehe er ſie anderen lehret. Stolz iſt der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft ſeine Blicke zum Himmel; ſein Schrei iſt prophetiſch, er kuͤndet das Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachſamkeit, ein Kaͤmpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den Ruͤſtwagen geſetzt, daß ſie ſich zurufen und abloͤſen zu ge¬ meſſener Zeit. So es daͤmmert und der Hahn mit den Huͤh¬ nern zu ruhen ſich auf die Stange ſetzt, ſtellen ſie die Nacht¬ wache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt ſich der Hahn, und die Wache wird gewechſelt; um die Mitternacht beginnt er zu kraͤhen, ſie ſtellen die dritte Wache aus, und drei Stunden gen Morgen rufet ſein tagverkuͤndender Schrei die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter iſt der Hahn, ſein Haupt iſt geziert mit Buſch und rother Helmdecke und ein purpurnes Ordensband ſchimmert an ſeinem Halſe; ſtark iſt ſeine Bruſt wie ein Harniſch im Streit, und ſein Fuß iſt beſpornt. Keine Kraͤnkung ſeiner Damen duldet er, kaͤmpft gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und ſelbſt blutend verkuͤndet er ſeinen Sieg ſtolz emporgerichtet
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0099"n="69"/>
nig, gegen den ſich Keiner erheben darf“— aber dennoch<lb/>
fuͤrchtet der Loͤwe, der Niemanden fuͤrchtet, den Hahn und<lb/>
fliehet vor ſeinem Anblick und Geſchrei; denn der Feind, der<lb/>
umhergeht wie ein bruͤllender Loͤwe und ſuchet, wie er uns<lb/>
verſchlinge, fliehet vor dem Rufe des Waͤchters, der das<lb/>
Gewiſſen erwecket, auf daß wir uns ruͤſten zum Kampf.<lb/>
Darum auch ward kein Thier ſo erhoͤhet; die weiſeſten Maͤn¬<lb/>
ner ſetzen ſein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thuͤr¬<lb/>
me uͤber das Kreuz, daß bei dem Waͤchter wohne der War¬<lb/>
ner und Waͤchter. So auch ſteht des Hahnen Bild auf dem<lb/>
Deckel des ABC-Buchs, die Schuͤler zu mahnen, daß ſie fruͤh<lb/>
aufſtehen ſollen, zu lernen. O wie loͤblich iſt das Beiſpiel<lb/>
des Hahnen! Ehe er kraͤht, die Menſchen vom Schlafe zu<lb/>
wecken, ſchlaͤgt er ſich ſelbſt ermunternd mit den Fluͤgeln in<lb/>
die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit ſich ſelbſt<lb/>
der Tugend beſtreben ſoll, ehe er ſie anderen lehret. Stolz<lb/>
iſt der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft ſeine Blicke<lb/>
zum Himmel; ſein Schrei iſt prophetiſch, er kuͤndet das<lb/>
Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachſamkeit, ein<lb/>
Kaͤmpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den<lb/>
Ruͤſtwagen geſetzt, daß ſie ſich zurufen und abloͤſen zu ge¬<lb/>
meſſener Zeit. So es daͤmmert und der Hahn mit den Huͤh¬<lb/>
nern zu ruhen ſich auf die Stange ſetzt, ſtellen ſie die Nacht¬<lb/>
wache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt ſich der<lb/>
Hahn, und die Wache wird gewechſelt; um die Mitternacht<lb/>
beginnt er zu kraͤhen, ſie ſtellen die dritte Wache aus, und<lb/>
drei Stunden gen Morgen rufet ſein tagverkuͤndender Schrei<lb/>
die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter iſt der Hahn,<lb/>ſein Haupt iſt geziert mit Buſch und rother Helmdecke und<lb/>
ein purpurnes Ordensband ſchimmert an ſeinem Halſe; ſtark<lb/>
iſt ſeine Bruſt wie ein Harniſch im Streit, und ſein Fuß iſt<lb/>
beſpornt. Keine Kraͤnkung ſeiner Damen duldet er, kaͤmpft<lb/>
gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und<lb/>ſelbſt blutend verkuͤndet er ſeinen Sieg ſtolz emporgerichtet<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0099]
nig, gegen den ſich Keiner erheben darf“ — aber dennoch
fuͤrchtet der Loͤwe, der Niemanden fuͤrchtet, den Hahn und
fliehet vor ſeinem Anblick und Geſchrei; denn der Feind, der
umhergeht wie ein bruͤllender Loͤwe und ſuchet, wie er uns
verſchlinge, fliehet vor dem Rufe des Waͤchters, der das
Gewiſſen erwecket, auf daß wir uns ruͤſten zum Kampf.
Darum auch ward kein Thier ſo erhoͤhet; die weiſeſten Maͤn¬
ner ſetzen ſein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thuͤr¬
me uͤber das Kreuz, daß bei dem Waͤchter wohne der War¬
ner und Waͤchter. So auch ſteht des Hahnen Bild auf dem
Deckel des ABC-Buchs, die Schuͤler zu mahnen, daß ſie fruͤh
aufſtehen ſollen, zu lernen. O wie loͤblich iſt das Beiſpiel
des Hahnen! Ehe er kraͤht, die Menſchen vom Schlafe zu
wecken, ſchlaͤgt er ſich ſelbſt ermunternd mit den Fluͤgeln in
die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit ſich ſelbſt
der Tugend beſtreben ſoll, ehe er ſie anderen lehret. Stolz
iſt der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft ſeine Blicke
zum Himmel; ſein Schrei iſt prophetiſch, er kuͤndet das
Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachſamkeit, ein
Kaͤmpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den
Ruͤſtwagen geſetzt, daß ſie ſich zurufen und abloͤſen zu ge¬
meſſener Zeit. So es daͤmmert und der Hahn mit den Huͤh¬
nern zu ruhen ſich auf die Stange ſetzt, ſtellen ſie die Nacht¬
wache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt ſich der
Hahn, und die Wache wird gewechſelt; um die Mitternacht
beginnt er zu kraͤhen, ſie ſtellen die dritte Wache aus, und
drei Stunden gen Morgen rufet ſein tagverkuͤndender Schrei
die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter iſt der Hahn,
ſein Haupt iſt geziert mit Buſch und rother Helmdecke und
ein purpurnes Ordensband ſchimmert an ſeinem Halſe; ſtark
iſt ſeine Bruſt wie ein Harniſch im Streit, und ſein Fuß iſt
beſpornt. Keine Kraͤnkung ſeiner Damen duldet er, kaͤmpft
gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und
ſelbſt blutend verkuͤndet er ſeinen Sieg ſtolz emporgerichtet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/99>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.