Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach diesen Worten fiengen alle die Vögel an, so ge¬
waltig durcheinander zu zwitschern, zu schnarren und zu
klappern, daß Gockel sprach:

"Halt ein, hübsch stille, macht kein Geschrei,
Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'!
Zuerst Frau Schwalbe, die früh aufsteht,
An dich mein Zeugenruf ergeht."

Da flog die Schwalbe heran und sprach:

"Noch zittere ich und beb ich,
Es ist wirklich, gewiß, sicherlich geschehn,
Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig
Sicherlich nimmer mehr wieder sehn;
Wie die wilde Kätzin und ihre Kätzchen
Sprangen mit zierlichen Sprüngen und Sätzchen
Zum Nestchen und rissen ripps, rapps,
Die Küchlein und ihr Mütterlein treu,
Gripps, grapps in viele, viele Nestchen,
Und federwinzige Fetzen entzwei.
Ich blieb drüber schier vor Schrecken
Zwier im zierlichen Gezwitscher stecken.
Wie ich eben im Begriffe bin gewesen.
Meinen Kindern, wie üblich, gar lieblich
Ein Capitel ersprießlich aus der Bibel
Von Tobiä Schwälblein und Sälblein
Exegisirend, explicirend zu lesen,
Geschah das himmelschreiende grimmige Uebel;
Als ich, wie's schicklich, erquicklich ist,
Mit witziger, spitziger List
Die Hirngespinnste meiner Gesichte,
Die figürlichen, manierlichen Traumgedichte
Den Kindern ein bischen zimperlich, spärlich,
Doch ziemlich klimperklärlich
Im glitzernden Frühlichts-Schimmer
Spintisirlich rezitirte, ist, was ich gewiß nimmer
Bis jetzt je gesehen, nie wieder will sehen,
Die verzwiefelte, verzweifelte Misse -- Misse --
Missethat binnen kürzester Frist geschehen,

Nach dieſen Worten fiengen alle die Voͤgel an, ſo ge¬
waltig durcheinander zu zwitſchern, zu ſchnarren und zu
klappern, daß Gockel ſprach:

„Halt ein, huͤbſch ſtille, macht kein Geſchrei,
Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'!
Zuerſt Frau Schwalbe, die fruͤh aufſteht,
An dich mein Zeugenruf ergeht.“

Da flog die Schwalbe heran und ſprach:

„Noch zittere ich und beb ich,
Es iſt wirklich, gewiß, ſicherlich geſchehn,
Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig
Sicherlich nimmer mehr wieder ſehn;
Wie die wilde Kaͤtzin und ihre Kaͤtzchen
Sprangen mit zierlichen Spruͤngen und Saͤtzchen
Zum Neſtchen und riſſen ripps, rapps,
Die Kuͤchlein und ihr Muͤtterlein treu,
Gripps, grapps in viele, viele Neſtchen,
Und federwinzige Fetzen entzwei.
Ich blieb druͤber ſchier vor Schrecken
Zwier im zierlichen Gezwitſcher ſtecken.
Wie ich eben im Begriffe bin geweſen.
Meinen Kindern, wie uͤblich, gar lieblich
Ein Capitel erſprießlich aus der Bibel
Von Tobiaͤ Schwaͤlblein und Saͤlblein
Exegiſirend, explicirend zu leſen,
Geſchah das himmelſchreiende grimmige Uebel;
Als ich, wie's ſchicklich, erquicklich iſt,
Mit witziger, ſpitziger Liſt
Die Hirngeſpinnſte meiner Geſichte,
Die figuͤrlichen, manierlichen Traumgedichte
Den Kindern ein bischen zimperlich, ſpaͤrlich,
Doch ziemlich klimperklaͤrlich
Im glitzernden Fruͤhlichts-Schimmer
Spintiſirlich rezitirte, iſt, was ich gewiß nimmer
Bis jetzt je geſehen, nie wieder will ſehen,
Die verzwiefelte, verzweifelte Miſſe — Miſſe —
Miſſethat binnen kuͤrzeſter Friſt geſchehen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0089" n="63"/>
        <p>Nach die&#x017F;en Worten fiengen alle die Vo&#x0364;gel an, &#x017F;o ge¬<lb/>
waltig durcheinander zu zwit&#x017F;chern, zu &#x017F;chnarren und zu<lb/>
klappern, daß Gockel &#x017F;prach:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Halt ein, hu&#x0364;b&#x017F;ch &#x017F;tille, macht kein Ge&#x017F;chrei,</l><lb/>
          <l>Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'!</l><lb/>
          <l>Zuer&#x017F;t Frau Schwalbe, die fru&#x0364;h auf&#x017F;teht,</l><lb/>
          <l>An dich mein Zeugenruf ergeht.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Da flog die Schwalbe heran und &#x017F;prach:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Noch zittere ich und beb ich,</l><lb/>
          <l>Es i&#x017F;t wirklich, gewiß, &#x017F;icherlich ge&#x017F;chehn,</l><lb/>
          <l>Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig</l><lb/>
          <l>Sicherlich nimmer mehr wieder &#x017F;ehn;</l><lb/>
          <l>Wie die wilde Ka&#x0364;tzin und ihre Ka&#x0364;tzchen</l><lb/>
          <l>Sprangen mit zierlichen Spru&#x0364;ngen und Sa&#x0364;tzchen</l><lb/>
          <l>Zum Ne&#x017F;tchen und ri&#x017F;&#x017F;en ripps, rapps,</l><lb/>
          <l>Die Ku&#x0364;chlein und ihr Mu&#x0364;tterlein treu,</l><lb/>
          <l>Gripps, grapps in viele, viele Ne&#x017F;tchen,</l><lb/>
          <l>Und federwinzige Fetzen entzwei.</l><lb/>
          <l>Ich blieb dru&#x0364;ber &#x017F;chier vor Schrecken</l><lb/>
          <l>Zwier im zierlichen Gezwit&#x017F;cher &#x017F;tecken.</l><lb/>
          <l>Wie ich eben im Begriffe bin gewe&#x017F;en.</l><lb/>
          <l>Meinen Kindern, wie u&#x0364;blich, gar lieblich</l><lb/>
          <l>Ein Capitel er&#x017F;prießlich aus der Bibel</l><lb/>
          <l>Von Tobia&#x0364; Schwa&#x0364;lblein und Sa&#x0364;lblein</l><lb/>
          <l>Exegi&#x017F;irend, explicirend zu le&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Ge&#x017F;chah das himmel&#x017F;chreiende grimmige Uebel;</l><lb/>
          <l>Als ich, wie's &#x017F;chicklich, erquicklich i&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Mit witziger, &#x017F;pitziger Li&#x017F;t</l><lb/>
          <l>Die Hirnge&#x017F;pinn&#x017F;te meiner Ge&#x017F;ichte,</l><lb/>
          <l>Die figu&#x0364;rlichen, manierlichen Traumgedichte</l><lb/>
          <l>Den Kindern ein bischen zimperlich, &#x017F;pa&#x0364;rlich,</l><lb/>
          <l>Doch ziemlich klimperkla&#x0364;rlich</l><lb/>
          <l>Im glitzernden Fru&#x0364;hlichts-Schimmer</l><lb/>
          <l>Spinti&#x017F;irlich rezitirte, i&#x017F;t, was ich gewiß nimmer</l><lb/>
          <l>Bis jetzt je ge&#x017F;ehen, nie wieder will &#x017F;ehen,</l><lb/>
          <l>Die verzwiefelte, verzweifelte Mi&#x017F;&#x017F;e &#x2014; Mi&#x017F;&#x017F;e &#x2014;</l><lb/>
          <l>Mi&#x017F;&#x017F;ethat binnen ku&#x0364;rze&#x017F;ter Fri&#x017F;t ge&#x017F;chehen,</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0089] Nach dieſen Worten fiengen alle die Voͤgel an, ſo ge¬ waltig durcheinander zu zwitſchern, zu ſchnarren und zu klappern, daß Gockel ſprach: „Halt ein, huͤbſch ſtille, macht kein Geſchrei, Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'! Zuerſt Frau Schwalbe, die fruͤh aufſteht, An dich mein Zeugenruf ergeht.“ Da flog die Schwalbe heran und ſprach: „Noch zittere ich und beb ich, Es iſt wirklich, gewiß, ſicherlich geſchehn, Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig Sicherlich nimmer mehr wieder ſehn; Wie die wilde Kaͤtzin und ihre Kaͤtzchen Sprangen mit zierlichen Spruͤngen und Saͤtzchen Zum Neſtchen und riſſen ripps, rapps, Die Kuͤchlein und ihr Muͤtterlein treu, Gripps, grapps in viele, viele Neſtchen, Und federwinzige Fetzen entzwei. Ich blieb druͤber ſchier vor Schrecken Zwier im zierlichen Gezwitſcher ſtecken. Wie ich eben im Begriffe bin geweſen. Meinen Kindern, wie uͤblich, gar lieblich Ein Capitel erſprießlich aus der Bibel Von Tobiaͤ Schwaͤlblein und Saͤlblein Exegiſirend, explicirend zu leſen, Geſchah das himmelſchreiende grimmige Uebel; Als ich, wie's ſchicklich, erquicklich iſt, Mit witziger, ſpitziger Liſt Die Hirngeſpinnſte meiner Geſichte, Die figuͤrlichen, manierlichen Traumgedichte Den Kindern ein bischen zimperlich, ſpaͤrlich, Doch ziemlich klimperklaͤrlich Im glitzernden Fruͤhlichts-Schimmer Spintiſirlich rezitirte, iſt, was ich gewiß nimmer Bis jetzt je geſehen, nie wieder will ſehen, Die verzwiefelte, verzweifelte Miſſe — Miſſe — Miſſethat binnen kuͤrzeſter Friſt geſchehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/89
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/89>, abgerufen am 23.11.2024.