einmal sehen," sagte Frau Hinkel, und erblickte mit großer Verwunderung wirklich die Spur von fünf spitzen Zähnchen an Gockels Ohr.
Als sie ihm dieses gesagt hatte, ließ er sich auch keinen Augenblick länger aufhalten, sprang vom Lager auf, nahm das Brod aus dem Hühnerkorb, schnitt ein Stück herunter, das er einsteckte, und sprach zu seiner Frau: "Hinkel räume einstweilen Alles hübsch auf, sieh dich im Schloße und der Umgebung um, und denke dir Alles aus, wie du es gerne zu unserer Haushaltung eingerichtet hättest; besonders gieb auf Alektryo und Gallina acht, weil es, wie du gehört hast, Katzen hier giebt; nach Mittag hoffe ich wieder hier zu seyn," und nun nahm er seinen Reisestab in die Hand. Weil er aber die Mütze, aus der ihm die Mäuschen entgegenpfifferten, aufsetzen mußte, so nahm er ein leeres, mit zarten Federchen ausgefüttertes Vogelnest aus einem Baum, setzte die Mäus¬ chen hinein, schob es in den Busen und gieng mit starken Schritten in den Wald gegen das Flüßchen hin.
Nach ein paar Meilen Wegs ruhte er an einer Quelle, wo er sein Brod mit seinen Reisegefährten theilte. Da er aber endlich an den Fluß kam, gieng er auf und ab, eine schmale Stelle zu finden, fand auch endlich einen Ort, wo er das Flüßchen leicht mit einem Steine überwerfen konnte. Hier nun nahm er sich vor, die Mäuschen überzusetzen, aber keine Brücke, kein Kahn war da; er entschloß sich daher kurz, zog das Nest, mit den Mäusen hervor, und sprach hinein: "lebet wohl, meine lieben Gäste; du Prinz von Speckelfleck befleiße dich besserer Sitten, und du Prinzeß von Mandelbiß bilde dir nicht so viel auf die Schönhei¬ ten ein, die du besitzest; übrigens bist du wirklich ein sehr schönes Thierchen! Lebt wohl, grüßt eure Anverwandten und vergeßt nicht den armen alten Gockel von Hanau." Die Mäuschen wußten gar nicht, was er wollte, weil er schon Abschied nahm und sie doch noch dießseits des Flußes wa¬
einmal ſehen,“ ſagte Frau Hinkel, und erblickte mit großer Verwunderung wirklich die Spur von fuͤnf ſpitzen Zaͤhnchen an Gockels Ohr.
Als ſie ihm dieſes geſagt hatte, ließ er ſich auch keinen Augenblick laͤnger aufhalten, ſprang vom Lager auf, nahm das Brod aus dem Huͤhnerkorb, ſchnitt ein Stuͤck herunter, das er einſteckte, und ſprach zu ſeiner Frau: „Hinkel raͤume einſtweilen Alles huͤbſch auf, ſieh dich im Schloße und der Umgebung um, und denke dir Alles aus, wie du es gerne zu unſerer Haushaltung eingerichtet haͤtteſt; beſonders gieb auf Alektryo und Gallina acht, weil es, wie du gehoͤrt haſt, Katzen hier giebt; nach Mittag hoffe ich wieder hier zu ſeyn,“ und nun nahm er ſeinen Reiſeſtab in die Hand. Weil er aber die Muͤtze, aus der ihm die Maͤuschen entgegenpfifferten, aufſetzen mußte, ſo nahm er ein leeres, mit zarten Federchen ausgefuͤttertes Vogelneſt aus einem Baum, ſetzte die Maͤus¬ chen hinein, ſchob es in den Buſen und gieng mit ſtarken Schritten in den Wald gegen das Fluͤßchen hin.
Nach ein paar Meilen Wegs ruhte er an einer Quelle, wo er ſein Brod mit ſeinen Reiſegefaͤhrten theilte. Da er aber endlich an den Fluß kam, gieng er auf und ab, eine ſchmale Stelle zu finden, fand auch endlich einen Ort, wo er das Fluͤßchen leicht mit einem Steine uͤberwerfen konnte. Hier nun nahm er ſich vor, die Maͤuschen uͤberzuſetzen, aber keine Bruͤcke, kein Kahn war da; er entſchloß ſich daher kurz, zog das Neſt, mit den Maͤuſen hervor, und ſprach hinein: „lebet wohl, meine lieben Gaͤſte; du Prinz von Speckelfleck befleiße dich beſſerer Sitten, und du Prinzeß von Mandelbiß bilde dir nicht ſo viel auf die Schoͤnhei¬ ten ein, die du beſitzeſt; uͤbrigens biſt du wirklich ein ſehr ſchoͤnes Thierchen! Lebt wohl, gruͤßt eure Anverwandten und vergeßt nicht den armen alten Gockel von Hanau.“ Die Maͤuschen wußten gar nicht, was er wollte, weil er ſchon Abſchied nahm und ſie doch noch dießſeits des Flußes wa¬
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[27/0053]
einmal ſehen,“ ſagte Frau Hinkel, und erblickte mit großer
Verwunderung wirklich die Spur von fuͤnf ſpitzen Zaͤhnchen
an Gockels Ohr.
Als ſie ihm dieſes geſagt hatte, ließ er ſich auch keinen
Augenblick laͤnger aufhalten, ſprang vom Lager auf, nahm
das Brod aus dem Huͤhnerkorb, ſchnitt ein Stuͤck herunter,
das er einſteckte, und ſprach zu ſeiner Frau: „Hinkel raͤume
einſtweilen Alles huͤbſch auf, ſieh dich im Schloße und der
Umgebung um, und denke dir Alles aus, wie du es gerne
zu unſerer Haushaltung eingerichtet haͤtteſt; beſonders gieb
auf Alektryo und Gallina acht, weil es, wie du gehoͤrt haſt,
Katzen hier giebt; nach Mittag hoffe ich wieder hier zu ſeyn,“
und nun nahm er ſeinen Reiſeſtab in die Hand. Weil er
aber die Muͤtze, aus der ihm die Maͤuschen entgegenpfifferten,
aufſetzen mußte, ſo nahm er ein leeres, mit zarten Federchen
ausgefuͤttertes Vogelneſt aus einem Baum, ſetzte die Maͤus¬
chen hinein, ſchob es in den Buſen und gieng mit ſtarken
Schritten in den Wald gegen das Fluͤßchen hin.
Nach ein paar Meilen Wegs ruhte er an einer Quelle,
wo er ſein Brod mit ſeinen Reiſegefaͤhrten theilte. Da er
aber endlich an den Fluß kam, gieng er auf und ab, eine
ſchmale Stelle zu finden, fand auch endlich einen Ort, wo
er das Fluͤßchen leicht mit einem Steine uͤberwerfen konnte.
Hier nun nahm er ſich vor, die Maͤuschen uͤberzuſetzen, aber
keine Bruͤcke, kein Kahn war da; er entſchloß ſich daher
kurz, zog das Neſt, mit den Maͤuſen hervor, und ſprach
hinein: „lebet wohl, meine lieben Gaͤſte; du Prinz von
Speckelfleck befleiße dich beſſerer Sitten, und du Prinzeß
von Mandelbiß bilde dir nicht ſo viel auf die Schoͤnhei¬
ten ein, die du beſitzeſt; uͤbrigens biſt du wirklich ein ſehr
ſchoͤnes Thierchen! Lebt wohl, gruͤßt eure Anverwandten und
vergeßt nicht den armen alten Gockel von Hanau.“ Die
Maͤuschen wußten gar nicht, was er wollte, weil er ſchon
Abſchied nahm und ſie doch noch dießſeits des Flußes wa¬
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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