er sage ihr in der Mäusesprache die artigsten Sachen und verspreche ihr seine Hilfe für ganz gewiß. Mit leichtem Herzen begab sie sich daher in die Mütze zurück und ver¬ kündigte ihrem Bräutigam den guten Erfolg ihrer Bitten, worauf dieser sie zärtlich umarmte.
Jetzt aber war die Stunde gekommen, da die schwarze Nacht gegen Morgen ergrauet, und Alektryo, als ein ge¬ treuer Burgvogt, streckte dem anbrechenden Lichte seinen Hals entgegen, um es zum erstenmal mit einem krähenden Trompetenstoße zu bewillkommen. Da erwachte Gockel und Frau Hinkel, Gackeleia aber schlief fest. Frau Hinkel fragte ihren Mann, warum er denn heute Nacht so unruhig ge¬ wesen, und wie er nur geträumt habe, daß ihn Jemand ins Ohr gebissen. Da zeigte Gockel ihr die weißen Mäus¬ chen in seiner Mütze, und erzählte ihr, was ihm alles mit ihnen geschehen sey, und daß er versprochen habe, ihnen zu helfen; "und daß will ich auch thun," fuhr Gockel fort, "ich will beide sogleich über den nächsten Fluß bringen, wo sie bald außer Gefahr in ihrer Heimath sind."
Nun wollte er aufstehen und sich auf den Weg begeben, aber Frau Hinkel sagte: "du bist nicht recht klug; dir träumt, du hättest den Mäusen etwas versprochen und willst es ihnen nun im Wachen halten, und deßwegen willst du mich hier in der Wildniß mit Gackeleia allein lassen, wo du so nöthig bist, um aufzuräumen und alles in Ordnung zu bringen." -- Da erwiederte Gockel: "du hast scheinbar ganz recht, aber versprochen muß gehalten werden, ich habe mein Ehrenwort gegeben, und das ist mir so deutlich und gegenwärtig als der Biß in das Ohr." -- "Wenn aber der Biß," sagte Frau Gockel, "ein Traum war, so war auch das Eh¬ renwort ein Traum." Gockel sprach hierauf unwillig: "ein Ehrenwort ist nie ein Traum, das verstehst du nicht, und den Biß habe ich so deutlich gefühlt, daß ich mit einem Schrei erwachte, das Ohr brennt mich noch." -- "Laß doch
er ſage ihr in der Maͤuſeſprache die artigſten Sachen und verſpreche ihr ſeine Hilfe fuͤr ganz gewiß. Mit leichtem Herzen begab ſie ſich daher in die Muͤtze zuruͤck und ver¬ kuͤndigte ihrem Braͤutigam den guten Erfolg ihrer Bitten, worauf dieſer ſie zaͤrtlich umarmte.
Jetzt aber war die Stunde gekommen, da die ſchwarze Nacht gegen Morgen ergrauet, und Alektryo, als ein ge¬ treuer Burgvogt, ſtreckte dem anbrechenden Lichte ſeinen Hals entgegen, um es zum erſtenmal mit einem kraͤhenden Trompetenſtoße zu bewillkommen. Da erwachte Gockel und Frau Hinkel, Gackeleia aber ſchlief feſt. Frau Hinkel fragte ihren Mann, warum er denn heute Nacht ſo unruhig ge¬ weſen, und wie er nur getraͤumt habe, daß ihn Jemand ins Ohr gebiſſen. Da zeigte Gockel ihr die weißen Maͤus¬ chen in ſeiner Muͤtze, und erzaͤhlte ihr, was ihm alles mit ihnen geſchehen ſey, und daß er verſprochen habe, ihnen zu helfen; „und daß will ich auch thun,“ fuhr Gockel fort, „ich will beide ſogleich uͤber den naͤchſten Fluß bringen, wo ſie bald außer Gefahr in ihrer Heimath ſind.“
Nun wollte er aufſtehen und ſich auf den Weg begeben, aber Frau Hinkel ſagte: „du biſt nicht recht klug; dir traͤumt, du haͤtteſt den Maͤuſen etwas verſprochen und willſt es ihnen nun im Wachen halten, und deßwegen willſt du mich hier in der Wildniß mit Gackeleia allein laſſen, wo du ſo noͤthig biſt, um aufzuraͤumen und alles in Ordnung zu bringen.“ — Da erwiederte Gockel: „du haſt ſcheinbar ganz recht, aber verſprochen muß gehalten werden, ich habe mein Ehrenwort gegeben, und das iſt mir ſo deutlich und gegenwaͤrtig als der Biß in das Ohr.“ — „Wenn aber der Biß,“ ſagte Frau Gockel, „ein Traum war, ſo war auch das Eh¬ renwort ein Traum.“ Gockel ſprach hierauf unwillig: „ein Ehrenwort iſt nie ein Traum, das verſtehſt du nicht, und den Biß habe ich ſo deutlich gefuͤhlt, daß ich mit einem Schrei erwachte, das Ohr brennt mich noch.“ — „Laß doch
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er ſage ihr in der Maͤuſeſprache die artigſten Sachen und
verſpreche ihr ſeine Hilfe fuͤr ganz gewiß. Mit leichtem
Herzen begab ſie ſich daher in die Muͤtze zuruͤck und ver¬
kuͤndigte ihrem Braͤutigam den guten Erfolg ihrer Bitten,
worauf dieſer ſie zaͤrtlich umarmte.
Jetzt aber war die Stunde gekommen, da die ſchwarze
Nacht gegen Morgen ergrauet, und Alektryo, als ein ge¬
treuer Burgvogt, ſtreckte dem anbrechenden Lichte ſeinen
Hals entgegen, um es zum erſtenmal mit einem kraͤhenden
Trompetenſtoße zu bewillkommen. Da erwachte Gockel und
Frau Hinkel, Gackeleia aber ſchlief feſt. Frau Hinkel fragte
ihren Mann, warum er denn heute Nacht ſo unruhig ge¬
weſen, und wie er nur getraͤumt habe, daß ihn Jemand
ins Ohr gebiſſen. Da zeigte Gockel ihr die weißen Maͤus¬
chen in ſeiner Muͤtze, und erzaͤhlte ihr, was ihm alles mit
ihnen geſchehen ſey, und daß er verſprochen habe, ihnen zu
helfen; „und daß will ich auch thun,“ fuhr Gockel fort,
„ich will beide ſogleich uͤber den naͤchſten Fluß bringen, wo
ſie bald außer Gefahr in ihrer Heimath ſind.“
Nun wollte er aufſtehen und ſich auf den Weg begeben,
aber Frau Hinkel ſagte: „du biſt nicht recht klug; dir traͤumt,
du haͤtteſt den Maͤuſen etwas verſprochen und willſt es ihnen
nun im Wachen halten, und deßwegen willſt du mich hier
in der Wildniß mit Gackeleia allein laſſen, wo du ſo noͤthig
biſt, um aufzuraͤumen und alles in Ordnung zu bringen.“ —
Da erwiederte Gockel: „du haſt ſcheinbar ganz recht, aber
verſprochen muß gehalten werden, ich habe mein Ehrenwort
gegeben, und das iſt mir ſo deutlich und gegenwaͤrtig als
der Biß in das Ohr.“ — „Wenn aber der Biß,“ ſagte
Frau Gockel, „ein Traum war, ſo war auch das Eh¬
renwort ein Traum.“ Gockel ſprach hierauf unwillig: „ein
Ehrenwort iſt nie ein Traum, das verſtehſt du nicht, und
den Biß habe ich ſo deutlich gefuͤhlt, daß ich mit einem
Schrei erwachte, das Ohr brennt mich noch.“ — „Laß doch
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/52>, abgerufen am 12.12.2024.
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