Nun nahm Gockel seine Hühnertrage, Frau Hinkel den Hühnerkorb wieder auf und Gackeleia trug das Nest voll Brosamen vor sich; so giengen sie durch den Weg, den Go¬ ckel gehauen hatte, auf das Schloßthor zu. Gackeleia nahm sich Zeit, sie pflückte links und rechts viele Brombeeren und Heidelbeeren, und als der Vater sie heranrief, in das Schloß einzugehen, hatte sie die Hände und das halbe Gesicht schwarz wie ein Mohrenkind. Gockel riß mit der Hühner¬ stange, die er trug, eine dichte Epheudecke auseinander, wel¬ che das Gartenthor zugesponnen hatte, und sie traten vor das wunderbare Raugräfliche Schloß in seinem vollen Glanz.
Der Empfang war feierlich; aus den leeren Fensteröff¬ nungen des Schlosses hingen Teppiche von Epheu und man¬ cherlei Blumen nieder, und wehten blühende Gesträuche wie festliche Fahnen, und zwischen ihnen durch sah der stille Abend¬ himmel in purpurnem Gewande herab. Die vielen Säulen und Bildwerke des Schlosses hatten Wind und Wetter und die vier Jahreszeiten seit lange mit dem schönsten Laubwerke verziert.
Der Hahn Alektryo saß auf dem steinernen Wappen über dem Thore, schüttelte sich, schlug mit den Flügeln und krähte als ein rechtschaffener Schloßtrompeter dreimal lustig in die Luft, und alle Vögelein, die in dem verlassenen, Baum durchwachsenen Baue wohnten, und welchen der Hahn die Ankunft der gnädigen Herrschaft verkündiget hatte, waren aus ihren Nestern herausgeschlüpft und schmetterten lustige Lieder in die Luft, indem sie sich auf den blühenden Hol¬ lunderbäumen und wilden Rosenhecken schaukelten, welche ihre Blüthen vor den Eintretenden niederstreuten. Der Storch auf dem Schloßgiebel klapperte dazu mit seiner ganzen Fa¬ milie, so daß alles wie eine große Musik mit Pauken und Trompeten klang. Gockel, Hinkel und Gackeleia hießen alle willkommen, und Gackeleia streute mit vollen Händen die
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Nun nahm Gockel ſeine Huͤhnertrage, Frau Hinkel den Huͤhnerkorb wieder auf und Gackeleia trug das Neſt voll Broſamen vor ſich; ſo giengen ſie durch den Weg, den Go¬ ckel gehauen hatte, auf das Schloßthor zu. Gackeleia nahm ſich Zeit, ſie pfluͤckte links und rechts viele Brombeeren und Heidelbeeren, und als der Vater ſie heranrief, in das Schloß einzugehen, hatte ſie die Haͤnde und das halbe Geſicht ſchwarz wie ein Mohrenkind. Gockel riß mit der Huͤhner¬ ſtange, die er trug, eine dichte Epheudecke auseinander, wel¬ che das Gartenthor zugeſponnen hatte, und ſie traten vor das wunderbare Raugraͤfliche Schloß in ſeinem vollen Glanz.
Der Empfang war feierlich; aus den leeren Fenſteroͤff¬ nungen des Schloſſes hingen Teppiche von Epheu und man¬ cherlei Blumen nieder, und wehten bluͤhende Geſtraͤuche wie feſtliche Fahnen, und zwiſchen ihnen durch ſah der ſtille Abend¬ himmel in purpurnem Gewande herab. Die vielen Saͤulen und Bildwerke des Schloſſes hatten Wind und Wetter und die vier Jahreszeiten ſeit lange mit dem ſchoͤnſten Laubwerke verziert.
Der Hahn Alektryo ſaß auf dem ſteinernen Wappen uͤber dem Thore, ſchuͤttelte ſich, ſchlug mit den Fluͤgeln und kraͤhte als ein rechtſchaffener Schloßtrompeter dreimal luſtig in die Luft, und alle Voͤgelein, die in dem verlaſſenen, Baum durchwachſenen Baue wohnten, und welchen der Hahn die Ankunft der gnaͤdigen Herrſchaft verkuͤndiget hatte, waren aus ihren Neſtern herausgeſchluͤpft und ſchmetterten luſtige Lieder in die Luft, indem ſie ſich auf den bluͤhenden Hol¬ lunderbaͤumen und wilden Roſenhecken ſchaukelten, welche ihre Bluͤthen vor den Eintretenden niederſtreuten. Der Storch auf dem Schloßgiebel klapperte dazu mit ſeiner ganzen Fa¬ milie, ſo daß alles wie eine große Muſik mit Pauken und Trompeten klang. Gockel, Hinkel und Gackeleia hießen alle willkommen, und Gackeleia ſtreute mit vollen Haͤnden die
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Nun nahm Gockel ſeine Huͤhnertrage, Frau Hinkel den
Huͤhnerkorb wieder auf und Gackeleia trug das Neſt voll
Broſamen vor ſich; ſo giengen ſie durch den Weg, den Go¬
ckel gehauen hatte, auf das Schloßthor zu. Gackeleia nahm
ſich Zeit, ſie pfluͤckte links und rechts viele Brombeeren und
Heidelbeeren, und als der Vater ſie heranrief, in das Schloß
einzugehen, hatte ſie die Haͤnde und das halbe Geſicht
ſchwarz wie ein Mohrenkind. Gockel riß mit der Huͤhner¬
ſtange, die er trug, eine dichte Epheudecke auseinander, wel¬
che das Gartenthor zugeſponnen hatte, und ſie traten vor
das wunderbare Raugraͤfliche Schloß in ſeinem vollen Glanz.
Der Empfang war feierlich; aus den leeren Fenſteroͤff¬
nungen des Schloſſes hingen Teppiche von Epheu und man¬
cherlei Blumen nieder, und wehten bluͤhende Geſtraͤuche wie
feſtliche Fahnen, und zwiſchen ihnen durch ſah der ſtille Abend¬
himmel in purpurnem Gewande herab. Die vielen Saͤulen
und Bildwerke des Schloſſes hatten Wind und Wetter und
die vier Jahreszeiten ſeit lange mit dem ſchoͤnſten Laubwerke
verziert.
Der Hahn Alektryo ſaß auf dem ſteinernen Wappen uͤber
dem Thore, ſchuͤttelte ſich, ſchlug mit den Fluͤgeln und
kraͤhte als ein rechtſchaffener Schloßtrompeter dreimal luſtig
in die Luft, und alle Voͤgelein, die in dem verlaſſenen, Baum
durchwachſenen Baue wohnten, und welchen der Hahn die
Ankunft der gnaͤdigen Herrſchaft verkuͤndiget hatte, waren
aus ihren Neſtern herausgeſchluͤpft und ſchmetterten luſtige
Lieder in die Luft, indem ſie ſich auf den bluͤhenden Hol¬
lunderbaͤumen und wilden Roſenhecken ſchaukelten, welche
ihre Bluͤthen vor den Eintretenden niederſtreuten. Der Storch
auf dem Schloßgiebel klapperte dazu mit ſeiner ganzen Fa¬
milie, ſo daß alles wie eine große Muſik mit Pauken und
Trompeten klang. Gockel, Hinkel und Gackeleia hießen alle
willkommen, und Gackeleia ſtreute mit vollen Haͤnden die
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/43>, abgerufen am 23.11.2024.
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