cher geflügelter Jüngling schwebte durch die säuselnden Bäu¬ me und über die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete um ihn, es spielte ein Buch des feinsten Seidenpapiers in seiner Hand, vom Hauche seines Mundes und dem Schlage seiner Flügel durchfächelt. Er überreichte es mir, spielte in meinen Locken und entschwebte mit einem Seufzer, ohne die Locken meiner Brautjungfern zu berühren, die mit Hyacin¬ then bekränzt, ihm wehmüthige Gedanken erregten. -- Ich zählte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es waren richtig fünf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne, um das Papierzeichen kennen zu lernen und sah das Him¬ melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Küchlein darauf abgebildet und die Worte umher "Vivat die goldene Amey", eine Aufmerksamkeit Salomons, welche mir sehr schmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den Letzten, der ohnedieß etwas schadhaft war, dem Büblein, seine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verschwand, das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Füßen. Das Büblein war fort, es war, als habe es sein eignes Daseyn aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das Buch, als ein Andenken an das arme Büblein und las die letzten Worte, die es in das Tagebuch geschrieben:
Was reif in diesen Zeilen steht, Was lächelnd winkt und sinnend fleht, Das soll kein Kind betrüben, Die Einfalt hat es ausgesäet, Die Schwermuth hat hindurch geweht, Die Sehnsucht hats getrieben; Und ist das Feld einst abgemäht, Die Armuth durch die Stoppeln geht, Sucht Aehren, die geblieben, Sucht Lieb, die für sie untergeht,
cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬ me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete um ihn, es ſpielte ein Buch des feinſten Seidenpapiers in ſeiner Hand, vom Hauche ſeines Mundes und dem Schlage ſeiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, ſpielte in meinen Locken und entſchwebte mit einem Seufzer, ohne die Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬ then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne, um das Papierzeichen kennen zu lernen und ſah das Him¬ melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene Amey“, eine Aufmerkſamkeit Salomons, welche mir ſehr ſchmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den Letzten, der ohnedieß etwas ſchadhaft war, dem Buͤblein, ſeine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verſchwand, das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das Buͤblein war fort, es war, als habe es ſein eignes Daſeyn aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die letzten Worte, die es in das Tagebuch geſchrieben:
Was reif in dieſen Zeilen ſteht, Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht, Das ſoll kein Kind betruͤben, Die Einfalt hat es ausgeſaͤet, Die Schwermuth hat hindurch geweht, Die Sehnſucht hats getrieben; Und iſt das Feld einſt abgemaͤht, Die Armuth durch die Stoppeln geht, Sucht Aehren, die geblieben, Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0401"n="345"/>
cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬<lb/>
me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er<lb/>
trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete<lb/>
um ihn, es ſpielte ein Buch des feinſten Seidenpapiers in<lb/>ſeiner Hand, vom Hauche ſeines Mundes und dem Schlage<lb/>ſeiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, ſpielte in<lb/>
meinen Locken und entſchwebte mit einem Seufzer, ohne die<lb/>
Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬<lb/>
then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich<lb/>
zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es<lb/>
waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor<lb/>
der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne,<lb/>
um das Papierzeichen kennen zu lernen und ſah das Him¬<lb/>
melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein<lb/>
darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene<lb/>
Amey“, eine Aufmerkſamkeit Salomons, welche mir ſehr<lb/>ſchmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der<lb/>
Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den<lb/>
Letzten, der ohnedieß etwas ſchadhaft war, dem Buͤblein,<lb/>ſeine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verſchwand,<lb/>
das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das<lb/>
Buͤblein war fort, es war, als habe es ſein eignes Daſeyn<lb/>
aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das<lb/>
Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die<lb/>
letzten Worte, die es in das Tagebuch geſchrieben:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Was reif in dieſen Zeilen ſteht,</l><lb/><l>Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht,</l><lb/><l>Das ſoll kein Kind betruͤben,</l><lb/><l>Die Einfalt hat es ausgeſaͤet,</l><lb/><l>Die Schwermuth hat hindurch geweht,</l><lb/><l>Die Sehnſucht hats getrieben;</l><lb/><l>Und iſt das Feld einſt abgemaͤht,</l><lb/><l>Die Armuth durch die Stoppeln geht,</l><lb/><l>Sucht Aehren, die geblieben,</l><lb/><l>Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht,</l><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[345/0401]
cher gefluͤgelter Juͤngling ſchwebte durch die ſaͤuſelnden Baͤu¬
me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er
trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete
um ihn, es ſpielte ein Buch des feinſten Seidenpapiers in
ſeiner Hand, vom Hauche ſeines Mundes und dem Schlage
ſeiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, ſpielte in
meinen Locken und entſchwebte mit einem Seufzer, ohne die
Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬
then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich
zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es
waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor
der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne,
um das Papierzeichen kennen zu lernen und ſah das Him¬
melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein
darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene
Amey“, eine Aufmerkſamkeit Salomons, welche mir ſehr
ſchmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der
Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den
Letzten, der ohnedieß etwas ſchadhaft war, dem Buͤblein,
ſeine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verſchwand,
das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das
Buͤblein war fort, es war, als habe es ſein eignes Daſeyn
aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das
Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die
letzten Worte, die es in das Tagebuch geſchrieben:
Was reif in dieſen Zeilen ſteht,
Was laͤchelnd winkt und ſinnend fleht,
Das ſoll kein Kind betruͤben,
Die Einfalt hat es ausgeſaͤet,
Die Schwermuth hat hindurch geweht,
Die Sehnſucht hats getrieben;
Und iſt das Feld einſt abgemaͤht,
Die Armuth durch die Stoppeln geht,
Sucht Aehren, die geblieben,
Sucht Lieb, die fuͤr ſie untergeht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/401>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.