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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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das Büblein?" da sprach sie, des langen Mitleides gewohnt:
"es hat seine Sache vollbracht und ist dicht an der Grube
vor Müdigkeit entschlafen; sieh, wie hart es da auf dem
Rande liegt, ich habe Aehren lesend eine kleine feine Garbe
in meinen Korb gesammelt, o lege sie ihm unter das Haupt,
damit es nicht darbt, wenn der Schnitter es weckt; horch,
schon naht er in den wogenden Halmen." Ich legte ihm
die Garbe in den Arm und sah o Wunder! zu seinen Füßen
ruhte mein Tagebuch, und ich las gar Vieles mehr darin,
als ich hineingeschrieben, z. B. diesen ganzen Traum, und
daß Verena gestorben sey und mir zwölf Franken vermacht
habe. "Ist das wahr, Verena?" fragte ich, und sie sprach:
"Gewiß, gewiß, und es hat große Zinsen gebracht im Al¬
mosenstock, wie das Schärflein der Wittwe." -- Da sah
ich den Knaben nochmals an, konnte ihn aber nicht erken¬
nen, er hatte sein Angesicht fest in die Garbe verborgen,
denn die Thränen floßen von seinen Wangen. "Verena,"
sprach ich, "ist dann dies wirklich dasselbe Büblein, wel¬
ches dem frommen Hühnlein des Salmo die Weizenkörner
entwendet und das Zauberhühnlein der Weissaginn damit
gefüttert hat? -- "Ach," erwiederte Verena, "warum das¬
selbe Büblein? Alle thun so und auch wir, sieh in das
Buch, da wirst du den Weizen finden!" -- "o, wie soll er
das alles ersetzen?" rief ich aus und Verena sprach: "durch
unser Gebet und Almosen, o drehe den Ring Salomonis,
daß sein Getreide sich mehre. -- Horch! das Lied des Schnit¬
ters nahet, schon fallen die Aehren über den Getreidekasten
nieder, geschwind beginne den Kranz zu flechten!" -- da sah
ich hinüber und sah die Sense des Schnitters durch die
Halmen greifen, und sie sanken über einen Kasten nieder,
grad so groß, wie das Büblein, er war gemacht von fünf
Brettern und zwei Brettchen, und stand über einer Grube
vor einem Feldkreuz, auf dem Alektryo und Gallina schla¬
fend saßen. -- Ich machte zuerst ein Kränzlein und legte es

das Buͤblein?“ da ſprach ſie, des langen Mitleides gewohnt:
„es hat ſeine Sache vollbracht und iſt dicht an der Grube
vor Muͤdigkeit entſchlafen; ſieh, wie hart es da auf dem
Rande liegt, ich habe Aehren leſend eine kleine feine Garbe
in meinen Korb geſammelt, o lege ſie ihm unter das Haupt,
damit es nicht darbt, wenn der Schnitter es weckt; horch,
ſchon naht er in den wogenden Halmen.“ Ich legte ihm
die Garbe in den Arm und ſah o Wunder! zu ſeinen Fuͤßen
ruhte mein Tagebuch, und ich las gar Vieles mehr darin,
als ich hineingeſchrieben, z. B. dieſen ganzen Traum, und
daß Verena geſtorben ſey und mir zwoͤlf Franken vermacht
habe. „Iſt das wahr, Verena?“ fragte ich, und ſie ſprach:
„Gewiß, gewiß, und es hat große Zinſen gebracht im Al¬
moſenſtock, wie das Schaͤrflein der Wittwe.“ — Da ſah
ich den Knaben nochmals an, konnte ihn aber nicht erken¬
nen, er hatte ſein Angeſicht feſt in die Garbe verborgen,
denn die Thraͤnen floßen von ſeinen Wangen. „Verena,“
ſprach ich, „iſt dann dies wirklich daſſelbe Buͤblein, wel¬
ches dem frommen Huͤhnlein des Salmo die Weizenkoͤrner
entwendet und das Zauberhuͤhnlein der Weiſſaginn damit
gefuͤttert hat? — „Ach,“ erwiederte Verena, „warum daſ¬
ſelbe Buͤblein? Alle thun ſo und auch wir, ſieh in das
Buch, da wirſt du den Weizen finden!“ — „o, wie ſoll er
das alles erſetzen?“ rief ich aus und Verena ſprach: „durch
unſer Gebet und Almoſen, o drehe den Ring Salomonis,
daß ſein Getreide ſich mehre. — Horch! das Lied des Schnit¬
ters nahet, ſchon fallen die Aehren uͤber den Getreidekaſten
nieder, geſchwind beginne den Kranz zu flechten!“ — da ſah
ich hinuͤber und ſah die Senſe des Schnitters durch die
Halmen greifen, und ſie ſanken uͤber einen Kaſten nieder,
grad ſo groß, wie das Buͤblein, er war gemacht von fuͤnf
Brettern und zwei Brettchen, und ſtand uͤber einer Grube
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[332/0388] das Buͤblein?“ da ſprach ſie, des langen Mitleides gewohnt: „es hat ſeine Sache vollbracht und iſt dicht an der Grube vor Muͤdigkeit entſchlafen; ſieh, wie hart es da auf dem Rande liegt, ich habe Aehren leſend eine kleine feine Garbe in meinen Korb geſammelt, o lege ſie ihm unter das Haupt, damit es nicht darbt, wenn der Schnitter es weckt; horch, ſchon naht er in den wogenden Halmen.“ Ich legte ihm die Garbe in den Arm und ſah o Wunder! zu ſeinen Fuͤßen ruhte mein Tagebuch, und ich las gar Vieles mehr darin, als ich hineingeſchrieben, z. B. dieſen ganzen Traum, und daß Verena geſtorben ſey und mir zwoͤlf Franken vermacht habe. „Iſt das wahr, Verena?“ fragte ich, und ſie ſprach: „Gewiß, gewiß, und es hat große Zinſen gebracht im Al¬ moſenſtock, wie das Schaͤrflein der Wittwe.“ — Da ſah ich den Knaben nochmals an, konnte ihn aber nicht erken¬ nen, er hatte ſein Angeſicht feſt in die Garbe verborgen, denn die Thraͤnen floßen von ſeinen Wangen. „Verena,“ ſprach ich, „iſt dann dies wirklich daſſelbe Buͤblein, wel¬ ches dem frommen Huͤhnlein des Salmo die Weizenkoͤrner entwendet und das Zauberhuͤhnlein der Weiſſaginn damit gefuͤttert hat? — „Ach,“ erwiederte Verena, „warum daſ¬ ſelbe Buͤblein? Alle thun ſo und auch wir, ſieh in das Buch, da wirſt du den Weizen finden!“ — „o, wie ſoll er das alles erſetzen?“ rief ich aus und Verena ſprach: „durch unſer Gebet und Almoſen, o drehe den Ring Salomonis, daß ſein Getreide ſich mehre. — Horch! das Lied des Schnit¬ ters nahet, ſchon fallen die Aehren uͤber den Getreidekaſten nieder, geſchwind beginne den Kranz zu flechten!“ — da ſah ich hinuͤber und ſah die Senſe des Schnitters durch die Halmen greifen, und ſie ſanken uͤber einen Kaſten nieder, grad ſo groß, wie das Buͤblein, er war gemacht von fuͤnf Brettern und zwei Brettchen, und ſtand uͤber einer Grube vor einem Feldkreuz, auf dem Alektryo und Gallina ſchla¬ fend ſaßen. — Ich machte zuerſt ein Kraͤnzlein und legte es

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/388>, abgerufen am 22.11.2024.