meinem Bettchen zu seyn, da kamen so viele arme Kinder, die bauten mir eine Wiege von unzählichen Blumen und zogen mich aus und legten mir ein gar wunderschön Schlaf¬ röckchen an und wuschen mich und beteten das Nachtgebet mit mir und legten mich in die Blumenwiege auf die Ama¬ ranthseidendecke von Hennegau, und sangen ein Schlummer¬ lied um mich her. -- Meine Gespielen mit den Pflicht¬ hühnern und die drei Nönnchen mit den Lilien standen um die Wiege, und ich schlief unter der Linde ein. -- Aber es war seltsam, ich stand auch daneben und sah nur meinen schönen Mantel in der Wiege liegen und zog mit Verena von dannen in die Runde, und als wir wieder zur Linde kamen, sahen wir ein Rasenhügelein darunter und ein Stein¬ kreuz, worauf eine Henne abgebildet, zu dessen Häupten. -- Da knieten wir nieder und beteten; und als wir weiter gingen, sagte ich zu Verena: "ich danke dir, lieb Vreneli für das arme Kind von Hennegau." -- Einige Male be¬ gegnete uns viele Noth auf unserm Wege, wir mußten uns durch tobende Kriegsschaaren drängen, durch Brand und Verwüstung fliehen und über viele Grabhügel steigen. -- Dann fanden wir Gockelsruh wie eine eroberte Burg. Die Wildniß hatte ihre Fahnen auf den zerstörten Mauern auf¬ gepflanzt, der wilde Wald lagerte rauschend in allen Höfen und braußte aus den Fenstern, wie Kriegsvolk; da hörten wir den freudigen Ruf Alecktryos des Schloßwächters nicht mehr, aber wohl das Wehgeschrei der Todesmahnerinnen, der Eulen, und die wildentbrannten Weisen der Waldvöge¬ lein, über deren Brut die Geyer drohend kreisten. -- O da war es gar traurig hier, und ich wendete mich im Traum zu meiner Begleiterinn und sprach: "Verena! ist das Go¬ ckelsruh? -- sage, wo sind meine Kindeskinder?" Sie führte mich aber hin zur Linde, die war größer und schöner als je, ihr Blühen duftete süßen Frieden. Das Hügelein unten war eingesunken. Das dicht bemooste Kreuz neigte
meinem Bettchen zu ſeyn, da kamen ſo viele arme Kinder, die bauten mir eine Wiege von unzaͤhlichen Blumen und zogen mich aus und legten mir ein gar wunderſchoͤn Schlaf¬ roͤckchen an und wuſchen mich und beteten das Nachtgebet mit mir und legten mich in die Blumenwiege auf die Ama¬ ranthſeidendecke von Hennegau, und ſangen ein Schlummer¬ lied um mich her. — Meine Geſpielen mit den Pflicht¬ huͤhnern und die drei Noͤnnchen mit den Lilien ſtanden um die Wiege, und ich ſchlief unter der Linde ein. — Aber es war ſeltſam, ich ſtand auch daneben und ſah nur meinen ſchoͤnen Mantel in der Wiege liegen und zog mit Verena von dannen in die Runde, und als wir wieder zur Linde kamen, ſahen wir ein Raſenhuͤgelein darunter und ein Stein¬ kreuz, worauf eine Henne abgebildet, zu deſſen Haͤupten. — Da knieten wir nieder und beteten; und als wir weiter gingen, ſagte ich zu Verena: „ich danke dir, lieb Vreneli fuͤr das arme Kind von Hennegau.“ — Einige Male be¬ gegnete uns viele Noth auf unſerm Wege, wir mußten uns durch tobende Kriegsſchaaren draͤngen, durch Brand und Verwuͤſtung fliehen und uͤber viele Grabhuͤgel ſteigen. — Dann fanden wir Gockelsruh wie eine eroberte Burg. Die Wildniß hatte ihre Fahnen auf den zerſtoͤrten Mauern auf¬ gepflanzt, der wilde Wald lagerte rauſchend in allen Hoͤfen und braußte aus den Fenſtern, wie Kriegsvolk; da hoͤrten wir den freudigen Ruf Alecktryos des Schloßwaͤchters nicht mehr, aber wohl das Wehgeſchrei der Todesmahnerinnen, der Eulen, und die wildentbrannten Weiſen der Waldvoͤge¬ lein, uͤber deren Brut die Geyer drohend kreiſten. — O da war es gar traurig hier, und ich wendete mich im Traum zu meiner Begleiterinn und ſprach: „Verena! iſt das Go¬ ckelsruh? — ſage, wo ſind meine Kindeskinder?“ Sie fuͤhrte mich aber hin zur Linde, die war groͤßer und ſchoͤner als je, ihr Bluͤhen duftete ſuͤßen Frieden. Das Huͤgelein unten war eingeſunken. Das dicht bemooste Kreuz neigte
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meinem Bettchen zu ſeyn, da kamen ſo viele arme Kinder,
die bauten mir eine Wiege von unzaͤhlichen Blumen und
zogen mich aus und legten mir ein gar wunderſchoͤn Schlaf¬
roͤckchen an und wuſchen mich und beteten das Nachtgebet
mit mir und legten mich in die Blumenwiege auf die Ama¬
ranthſeidendecke von Hennegau, und ſangen ein Schlummer¬
lied um mich her. — Meine Geſpielen mit den Pflicht¬
huͤhnern und die drei Noͤnnchen mit den Lilien ſtanden um
die Wiege, und ich ſchlief unter der Linde ein. — Aber es
war ſeltſam, ich ſtand auch daneben und ſah nur meinen
ſchoͤnen Mantel in der Wiege liegen und zog mit Verena
von dannen in die Runde, und als wir wieder zur Linde
kamen, ſahen wir ein Raſenhuͤgelein darunter und ein Stein¬
kreuz, worauf eine Henne abgebildet, zu deſſen Haͤupten.
— Da knieten wir nieder und beteten; und als wir weiter
gingen, ſagte ich zu Verena: „ich danke dir, lieb Vreneli
fuͤr das arme Kind von Hennegau.“ — Einige Male be¬
gegnete uns viele Noth auf unſerm Wege, wir mußten uns
durch tobende Kriegsſchaaren draͤngen, durch Brand und
Verwuͤſtung fliehen und uͤber viele Grabhuͤgel ſteigen. —
Dann fanden wir Gockelsruh wie eine eroberte Burg. Die
Wildniß hatte ihre Fahnen auf den zerſtoͤrten Mauern auf¬
gepflanzt, der wilde Wald lagerte rauſchend in allen Hoͤfen
und braußte aus den Fenſtern, wie Kriegsvolk; da hoͤrten
wir den freudigen Ruf Alecktryos des Schloßwaͤchters nicht
mehr, aber wohl das Wehgeſchrei der Todesmahnerinnen,
der Eulen, und die wildentbrannten Weiſen der Waldvoͤge¬
lein, uͤber deren Brut die Geyer drohend kreiſten. — O da
war es gar traurig hier, und ich wendete mich im Traum
zu meiner Begleiterinn und ſprach: „Verena! iſt das Go¬
ckelsruh? — ſage, wo ſind meine Kindeskinder?“ Sie
fuͤhrte mich aber hin zur Linde, die war groͤßer und ſchoͤner
als je, ihr Bluͤhen duftete ſuͤßen Frieden. Das Huͤgelein
unten war eingeſunken. Das dicht bemooste Kreuz neigte
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/383>, abgerufen am 25.11.2024.
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