Jetzt ist mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus diesen zwei Jahren, wie von einer Andern und sage es dir, du magst morgen die Schwestern darum fragen, ich zweifle nicht, daß es so gewesen. Als wir nach Vadutz heim gekommen, fanden wir Jürgo nicht mehr. Er war am Vorabend von des Täufers Tag in der Kirche des Klosters Bänderen be¬ tend von seinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da meine Stirne das Kleinod in Hennegau berührte, und er hatte das Kloster nicht mehr verlassen. Sie hatten ihn aufgenom¬ men in ihren Orden. -- Ich aber bin gleich bei meiner An¬ kunft in Jürgos Hütte nächst unserm Haus gegangen und habe mich an seinen Webstuhl gesetzt und an dem rothen Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe seine irren Weberlieder gesungen von dem Seelchen auf der Heide, fort und fort bis dort drüben am Zaun, wo ich dir das Tuch gegeben. -- Als nun der Klostervogt von Bänderen zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Jürgos brachte, worin dieser mir und den Schwestern Hütte, Webstuhl, Garten und Alles, was er zurückgelassen, schenkte, und mir sagen ließ, ich möchte doch das rothe Tuch fertig weben, er wolle uns dafür geistlicher Weise eine Aussteuer bereiten für eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn ich saß schon am Webstuhl und sang die Weberlieder, als sey das immer gewesen. -- So gieng ein Jahr vorüber, Sonnenwende nahte heran, die Schwestern hörten, daß nach deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern ruhten, sie wollten mich nochmals um Hülfe hieher führen. Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig; auch fürchtete ich heimlich, Jürgo möge wieder krank wer¬ den, so ich genese. Erst um diese Zeit kam mein Zustand zu den Ohren Jürgos in Bänderen, der ward sehr traurig darum und starb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes. Als das Sterbglöcklein um ihn läutete, schoß ich sein We¬
Jetzt iſt mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus dieſen zwei Jahren, wie von einer Andern und ſage es dir, du magſt morgen die Schweſtern darum fragen, ich zweifle nicht, daß es ſo geweſen. Als wir nach Vadutz heim gekommen, fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von des Taͤufers Tag in der Kirche des Kloſters Baͤnderen be¬ tend von ſeinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte das Kloſter nicht mehr verlaſſen. Sie hatten ihn aufgenom¬ men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬ kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchſt unſerm Haus gegangen und habe mich an ſeinen Webſtuhl geſetzt und an dem rothen Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe ſeine irren Weberlieder geſungen von dem Seelchen auf der Heide, fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das Tuch gegeben. — Als nun der Kloſtervogt von Baͤnderen zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte, worin dieſer mir und den Schweſtern Huͤtte, Webſtuhl, Garten und Alles, was er zuruͤckgelaſſen, ſchenkte, und mir ſagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben, er wolle uns dafuͤr geiſtlicher Weiſe eine Ausſteuer bereiten fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn ich ſaß ſchon am Webſtuhl und ſang die Weberlieder, als ſey das immer geweſen. — So gieng ein Jahr voruͤber, Sonnenwende nahte heran, die Schweſtern hoͤrten, daß nach deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern ruhten, ſie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren. Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig; auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬ den, ſo ich geneſe. Erſt um dieſe Zeit kam mein Zuſtand zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward ſehr traurig darum und ſtarb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes. Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, ſchoß ich ſein We¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0342"n="288"/>
Jetzt iſt mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner<lb/>
Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus dieſen<lb/>
zwei Jahren, wie von einer Andern und ſage es dir, du<lb/>
magſt morgen die Schweſtern darum fragen, ich zweifle nicht,<lb/>
daß es ſo geweſen. Als wir nach Vadutz heim gekommen,<lb/>
fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von<lb/>
des Taͤufers Tag in der Kirche des Kloſters Baͤnderen be¬<lb/>
tend von ſeinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da<lb/>
meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte<lb/>
das Kloſter nicht mehr verlaſſen. Sie hatten ihn aufgenom¬<lb/>
men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬<lb/>
kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchſt unſerm Haus gegangen und<lb/>
habe mich an ſeinen Webſtuhl geſetzt und an dem rothen<lb/>
Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe ſeine<lb/>
irren Weberlieder geſungen von dem Seelchen auf der Heide,<lb/>
fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das<lb/>
Tuch gegeben. — Als nun der Kloſtervogt von Baͤnderen<lb/>
zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte,<lb/>
worin dieſer mir und den Schweſtern Huͤtte, Webſtuhl,<lb/>
Garten und Alles, was er zuruͤckgelaſſen, ſchenkte, und mir<lb/>ſagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben,<lb/>
er wolle uns dafuͤr geiſtlicher Weiſe eine Ausſteuer bereiten<lb/>
fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn<lb/>
ich ſaß ſchon am Webſtuhl <choice><sic>nnd</sic><corr>und</corr></choice>ſang die Weberlieder, als<lb/>ſey das immer geweſen. — So gieng ein Jahr voruͤber,<lb/>
Sonnenwende nahte heran, die Schweſtern hoͤrten, daß nach<lb/>
deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern<lb/>
ruhten, ſie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren.<lb/>
Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig;<lb/>
auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬<lb/>
den, ſo ich geneſe. Erſt um dieſe Zeit kam mein Zuſtand<lb/>
zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward ſehr traurig<lb/>
darum und ſtarb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes.<lb/>
Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, ſchoß ich ſein We¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[288/0342]
Jetzt iſt mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner
Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus dieſen
zwei Jahren, wie von einer Andern und ſage es dir, du
magſt morgen die Schweſtern darum fragen, ich zweifle nicht,
daß es ſo geweſen. Als wir nach Vadutz heim gekommen,
fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von
des Taͤufers Tag in der Kirche des Kloſters Baͤnderen be¬
tend von ſeinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da
meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte
das Kloſter nicht mehr verlaſſen. Sie hatten ihn aufgenom¬
men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬
kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchſt unſerm Haus gegangen und
habe mich an ſeinen Webſtuhl geſetzt und an dem rothen
Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe ſeine
irren Weberlieder geſungen von dem Seelchen auf der Heide,
fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das
Tuch gegeben. — Als nun der Kloſtervogt von Baͤnderen
zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte,
worin dieſer mir und den Schweſtern Huͤtte, Webſtuhl,
Garten und Alles, was er zuruͤckgelaſſen, ſchenkte, und mir
ſagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben,
er wolle uns dafuͤr geiſtlicher Weiſe eine Ausſteuer bereiten
fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn
ich ſaß ſchon am Webſtuhl und ſang die Weberlieder, als
ſey das immer geweſen. — So gieng ein Jahr voruͤber,
Sonnenwende nahte heran, die Schweſtern hoͤrten, daß nach
deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern
ruhten, ſie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren.
Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig;
auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬
den, ſo ich geneſe. Erſt um dieſe Zeit kam mein Zuſtand
zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward ſehr traurig
darum und ſtarb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes.
Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, ſchoß ich ſein We¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/342>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.