mit dem Lösegeld auszurüsten und sahen ihn mit großer Be¬ trübniß von uns scheiden. Wir beteten viel für ihn und ge¬ lobten Gott, so er Jürgos Weg segne, ein Klösterchen zu gründen, das sollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir Gott dienen bis an unser Ende. -- Nach zwei Jahren kehrte Jürgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war ge¬ storben an der Pest im Hospital in Cypern. Der Kummer tödtete die Mutter. Wir drei Waisen waren allein ohne alle Stütze, als den treuen Jürgo. Nach der Mutter Tod schickte es sich nicht, daß er so viel, wie sonst bei uns sey, dennoch lebte und arbeitete er allein für uns. Er verkaufte seine kleine Habe, um uns zu ernähren. Er war der treueste Mensch, er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch ei¬ nen Sonnenstich auf der Reise gelitten, er arbeitete sich schier zu Tode für uns -- wir waren ihm dankbar. Er ward krank und kam von Sinnen. Ich trauerte unaussprechlich um ihn. Das edelste Herz ward aus Treue zu meinem Vater und mir ein Thor vor den Menschen. Ich konnte nicht mehr ruhen, ich glaubte mich schuldig, Alles aufzuwenden, ihm zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher, Aerzte und fromme Männer um Rath zu fragen. Als ich einst einem alten Einsiedler, der Mönch im Kloster Bänderen gewesen war, meine Noth klagte, sagte dieser: "o wäre das Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm wäre leicht zu helfen!" -- Als ich in ihn drang, mir von diesem Klei¬ nod zu erzählen, sprach er: "mit dem Kloster Bänderen sey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in seiner Jugend viel Wunderbares von dem Ursprung der Gra¬ fen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden gelesen, das später, wie alles Heilige bei den Menschen vergessen worden." Er erzählte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes: "Wohl mit Recht ist das Ländchen Vadutz kurios zu nen¬ nen, denn Curio ein Kaiser aus Rom war sein Stifter im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt. Sein Eheweib
mit dem Loͤſegeld auszuruͤſten und ſahen ihn mit großer Be¬ truͤbniß von uns ſcheiden. Wir beteten viel fuͤr ihn und ge¬ lobten Gott, ſo er Juͤrgos Weg ſegne, ein Kloͤſterchen zu gruͤnden, das ſollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir Gott dienen bis an unſer Ende. — Nach zwei Jahren kehrte Juͤrgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war ge¬ ſtorben an der Peſt im Hoſpital in Cypern. Der Kummer toͤdtete die Mutter. Wir drei Waiſen waren allein ohne alle Stuͤtze, als den treuen Juͤrgo. Nach der Mutter Tod ſchickte es ſich nicht, daß er ſo viel, wie ſonſt bei uns ſey, dennoch lebte und arbeitete er allein fuͤr uns. Er verkaufte ſeine kleine Habe, um uns zu ernaͤhren. Er war der treueſte Menſch, er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch ei¬ nen Sonnenſtich auf der Reiſe gelitten, er arbeitete ſich ſchier zu Tode fuͤr uns — wir waren ihm dankbar. Er ward krank und kam von Sinnen. Ich trauerte unausſprechlich um ihn. Das edelſte Herz ward aus Treue zu meinem Vater und mir ein Thor vor den Menſchen. Ich konnte nicht mehr ruhen, ich glaubte mich ſchuldig, Alles aufzuwenden, ihm zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher, Aerzte und fromme Maͤnner um Rath zu fragen. Als ich einſt einem alten Einſiedler, der Moͤnch im Kloſter Baͤnderen geweſen war, meine Noth klagte, ſagte dieſer: „o waͤre das Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm waͤre leicht zu helfen!“ — Als ich in ihn drang, mir von dieſem Klei¬ nod zu erzaͤhlen, ſprach er: „mit dem Kloſter Baͤnderen ſey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in ſeiner Jugend viel Wunderbares von dem Urſprung der Gra¬ fen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden geleſen, das ſpaͤter, wie alles Heilige bei den Menſchen vergeſſen worden.“ Er erzaͤhlte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes: „Wohl mit Recht iſt das Laͤndchen Vadutz kurios zu nen¬ nen, denn Curio ein Kaiſer aus Rom war ſein Stifter im zweiten Jahrhundert nach Chriſti Geburt. Sein Eheweib
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mit dem Loͤſegeld auszuruͤſten und ſahen ihn mit großer Be¬
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lobten Gott, ſo er Juͤrgos Weg ſegne, ein Kloͤſterchen zu
gruͤnden, das ſollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir
Gott dienen bis an unſer Ende. — Nach zwei Jahren kehrte
Juͤrgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war ge¬
ſtorben an der Peſt im Hoſpital in Cypern. Der Kummer
toͤdtete die Mutter. Wir drei Waiſen waren allein ohne alle
Stuͤtze, als den treuen Juͤrgo. Nach der Mutter Tod ſchickte
es ſich nicht, daß er ſo viel, wie ſonſt bei uns ſey, dennoch
lebte und arbeitete er allein fuͤr uns. Er verkaufte ſeine kleine
Habe, um uns zu ernaͤhren. Er war der treueſte Menſch,
er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch ei¬
nen Sonnenſtich auf der Reiſe gelitten, er arbeitete ſich ſchier
zu Tode fuͤr uns — wir waren ihm dankbar. Er ward krank
und kam von Sinnen. Ich trauerte unausſprechlich um ihn.
Das edelſte Herz ward aus Treue zu meinem Vater und
mir ein Thor vor den Menſchen. Ich konnte nicht mehr
ruhen, ich glaubte mich ſchuldig, Alles aufzuwenden, ihm
zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher,
Aerzte und fromme Maͤnner um Rath zu fragen. Als ich
einſt einem alten Einſiedler, der Moͤnch im Kloſter Baͤnderen
geweſen war, meine Noth klagte, ſagte dieſer: „o waͤre das
Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm waͤre leicht
zu helfen!“ — Als ich in ihn drang, mir von dieſem Klei¬
nod zu erzaͤhlen, ſprach er: „mit dem Kloſter Baͤnderen
ſey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in
ſeiner Jugend viel Wunderbares von dem Urſprung der Gra¬
fen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden geleſen, das
ſpaͤter, wie alles Heilige bei den Menſchen vergeſſen worden.“
Er erzaͤhlte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes:
„Wohl mit Recht iſt das Laͤndchen Vadutz kurios zu nen¬
nen, denn Curio ein Kaiſer aus Rom war ſein Stifter im
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/333>, abgerufen am 22.11.2024.
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