Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Träumt die stumme Nachtigall, sie singe, Daß das Herz des Wiederhalls zerspringe, Träumt das blinde Huhn, es zähl' die Kerne, Und der drei je zählte kaum, die Sterne, Träumt das starre Erz, gar linde thau es, Und das Eisenherz, ein Kind vertrau es, Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche, Wie der Traube Schüchternheit berausche; Kömmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen, Führt der hellen Töne Glanzgefunkel Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel, Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen, Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schallmeien Der erwachten Nacht ins Herz all schreien; Weh, ohn Opfer gehn die süßen Wunder, Geh'n die armen Herzen einsam unter!" Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem Traͤumt die ſtumme Nachtigall, ſie ſinge, Daß das Herz des Wiederhalls zerſpringe, Traͤumt das blinde Huhn, es zaͤhl' die Kerne, Und der drei je zaͤhlte kaum, die Sterne, Traͤumt das ſtarre Erz, gar linde thau es, Und das Eiſenherz, ein Kind vertrau es, Traͤumt die taube Nuͤchternheit, ſie lauſche, Wie der Traube Schuͤchternheit berauſche; Koͤmmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen, Fuͤhrt der hellen Toͤne Glanzgefunkel Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel, Rennt den Traum ſie ſchmerzlich uͤbern Haufen, Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schallmeien Der erwachten Nacht ins Herz all ſchreien; Weh, ohn Opfer gehn die ſuͤßen Wunder, Geh'n die armen Herzen einſam unter!“ Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0326" n="272"/> <l>Traͤumt die ſtumme Nachtigall, ſie ſinge,</l><lb/> <l>Daß das Herz des Wiederhalls zerſpringe,</l><lb/> <l>Traͤumt das blinde Huhn, es zaͤhl' die Kerne,</l><lb/> <l>Und der drei je zaͤhlte kaum, die Sterne,</l><lb/> <l>Traͤumt das ſtarre Erz, gar linde thau es,</l><lb/> <l>Und das Eiſenherz, ein Kind vertrau es,</l><lb/> <l>Traͤumt die taube Nuͤchternheit, ſie lauſche,</l><lb/> <l>Wie der Traube Schuͤchternheit berauſche;</l><lb/> <l>Koͤmmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,</l><lb/> <l>Fuͤhrt der hellen Toͤne Glanzgefunkel</l><lb/> <l>Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,</l><lb/> <l>Rennt den Traum ſie ſchmerzlich uͤbern Haufen,</l><lb/> <l>Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schallmeien</l><lb/> <l>Der erwachten Nacht ins Herz all ſchreien;</l><lb/> <l>Weh, ohn Opfer gehn die ſuͤßen Wunder,</l><lb/> <l>Geh'n die armen Herzen einſam unter!“</l><lb/> </lg> <p>Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem<lb/> man zu zuhoͤren ſcheint, aber ich hoͤrte auf die Schallmeien.<lb/> Ich bot ihr ſchoͤne Fruͤchte, ſie aß nicht. Ich fragte: „war¬<lb/> um ißt du nicht? ſie ſind ſuͤß.“ — Da erwiederte ſie mit<lb/> tiefem Schmerz: „Ohne Opfer gehn die ſuͤßen Wunder, gehn<lb/> die armen Herzen einſam unter.“ — Ich wollte ihrer Empfin¬<lb/> dung ausweichen, blickte hin und wieder, aber ploͤtzlich fuͤhlte<lb/> ich mein Herz. Ich blickte die arme Kranke liebevoll an,<lb/> reichte ihr die Hand uͤber die Fruͤchte und ſprach: „Iß mir<lb/> zum Opfer, armes Herz!“ und ſie aß. Als ich auch ge¬<lb/> nug gegeſſen, eilte ich wieder an den Zaun zu den Fackeln<lb/> und Schallmeien und dachte keines Hungernden, ſelbſt meiner<lb/> kaum. — Da raſſelte es am Zaun neben mir. Klareta war<lb/> mir nachgeſchlichen, und riß ſich die Haͤnde blutig in den<lb/> Dornen, um mir Roſen zu reichen. Ich ſprach: „was ſoll<lb/> ich mit den Roſen?“ — Klareta erwiederte: „Meine Haͤnde<lb/> bluten, mein Herz blutet; ohne Opfer gehn die ſuͤßen Wun¬<lb/> der, gehn die armen Herzen alle unter.“ — Ich kehrte mit<lb/> ihr zu der Bleichhuͤtte, ſaß am Feuer nieder und ließ mir<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [272/0326]
Traͤumt die ſtumme Nachtigall, ſie ſinge,
Daß das Herz des Wiederhalls zerſpringe,
Traͤumt das blinde Huhn, es zaͤhl' die Kerne,
Und der drei je zaͤhlte kaum, die Sterne,
Traͤumt das ſtarre Erz, gar linde thau es,
Und das Eiſenherz, ein Kind vertrau es,
Traͤumt die taube Nuͤchternheit, ſie lauſche,
Wie der Traube Schuͤchternheit berauſche;
Koͤmmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,
Fuͤhrt der hellen Toͤne Glanzgefunkel
Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,
Rennt den Traum ſie ſchmerzlich uͤbern Haufen,
Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schallmeien
Der erwachten Nacht ins Herz all ſchreien;
Weh, ohn Opfer gehn die ſuͤßen Wunder,
Geh'n die armen Herzen einſam unter!“
Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem
man zu zuhoͤren ſcheint, aber ich hoͤrte auf die Schallmeien.
Ich bot ihr ſchoͤne Fruͤchte, ſie aß nicht. Ich fragte: „war¬
um ißt du nicht? ſie ſind ſuͤß.“ — Da erwiederte ſie mit
tiefem Schmerz: „Ohne Opfer gehn die ſuͤßen Wunder, gehn
die armen Herzen einſam unter.“ — Ich wollte ihrer Empfin¬
dung ausweichen, blickte hin und wieder, aber ploͤtzlich fuͤhlte
ich mein Herz. Ich blickte die arme Kranke liebevoll an,
reichte ihr die Hand uͤber die Fruͤchte und ſprach: „Iß mir
zum Opfer, armes Herz!“ und ſie aß. Als ich auch ge¬
nug gegeſſen, eilte ich wieder an den Zaun zu den Fackeln
und Schallmeien und dachte keines Hungernden, ſelbſt meiner
kaum. — Da raſſelte es am Zaun neben mir. Klareta war
mir nachgeſchlichen, und riß ſich die Haͤnde blutig in den
Dornen, um mir Roſen zu reichen. Ich ſprach: „was ſoll
ich mit den Roſen?“ — Klareta erwiederte: „Meine Haͤnde
bluten, mein Herz blutet; ohne Opfer gehn die ſuͤßen Wun¬
der, gehn die armen Herzen alle unter.“ — Ich kehrte mit
ihr zu der Bleichhuͤtte, ſaß am Feuer nieder und ließ mir
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