Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

les erzählt hatte, was geschah. Er verstand mich sehr gut,
denn er war ganz selig und schüttelte helle Tropfen nieder
auf das schöne, neue, reine Röschen und es spritzten mir
Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. -- Ich war aber
so bewegt von dem lebhaften Traum und war seiner so ge¬
wiß, daß ich mich einhüllte und auf leisen Socken hinab¬
schlich in den Garten. O wie war es kühl und still und so
ruhig, so ruhig! ich meinte immer, ich müße die lichten
Gestalten irgendwo sehen, aber ich sah nur ein Nachtlicht
herschimmern, hörte nur ein Kindlein wimmern und das
Brünnchen rauschen. Im Garten war es wie sonst, einige
Glühwürmer leuchteten umher, als wollten sie mir suchen
helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige
nachsinnende Sternchen. Ich nahte den Lilien, sie dufteten
Licht und ich sah Strahlen von den Sternen in sie nieder¬
schießen und von ihnen wieder empor, es war, als trügen
Himmelsbienen Honig aus ihnen ein für die Kinder einer bes¬
sern Welt. -- Und wie ich so sinnend stand, hörte ich eine
Menschenstimme, fern und doch nah mit wehmüthigem Tone
die Worte sprechen:

"O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!"

Bang hüllte ich mich dichter ein und eilte aus dem Gar¬
ten. Mein Gewand fieng sich in einer Dornranke; erschreckt
rief ich laut: "wer faßt mich?" und stand. Niemand zeigte
sich, so riß ich dann schneller eilend die Ranke mit fort und
dachte: sie wird mir morgen ein Zeichen seyn, daß ich nicht
geträumt. In meinem Schlafgemach hörte ich immer jene
Worte noch um mich tönen. Ich verstand sie durch und
durch und konnte sie doch nicht erklären. Ich verstand ihr
Wesen und hatte keine Worte für sie, als sie selbst. Immer
wiederholte ich sie, immer sah ich die leuchtenden Lilien und
die Sterne vor mir, die sie grüßten. Als ich mir den Nacht¬
thau von dem Angesicht wusch, war mir, als sehe ich ein

les erzaͤhlt hatte, was geſchah. Er verſtand mich ſehr gut,
denn er war ganz ſelig und ſchuͤttelte helle Tropfen nieder
auf das ſchoͤne, neue, reine Roͤschen und es ſpritzten mir
Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. — Ich war aber
ſo bewegt von dem lebhaften Traum und war ſeiner ſo ge¬
wiß, daß ich mich einhuͤllte und auf leiſen Socken hinab¬
ſchlich in den Garten. O wie war es kuͤhl und ſtill und ſo
ruhig, ſo ruhig! ich meinte immer, ich muͤße die lichten
Geſtalten irgendwo ſehen, aber ich ſah nur ein Nachtlicht
herſchimmern, hoͤrte nur ein Kindlein wimmern und das
Bruͤnnchen rauſchen. Im Garten war es wie ſonſt, einige
Gluͤhwuͤrmer leuchteten umher, als wollten ſie mir ſuchen
helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige
nachſinnende Sternchen. Ich nahte den Lilien, ſie dufteten
Licht und ich ſah Strahlen von den Sternen in ſie nieder¬
ſchießen und von ihnen wieder empor, es war, als truͤgen
Himmelsbienen Honig aus ihnen ein fuͤr die Kinder einer beſ¬
ſern Welt. — Und wie ich ſo ſinnend ſtand, hoͤrte ich eine
Menſchenſtimme, fern und doch nah mit wehmuͤthigem Tone
die Worte ſprechen:

„O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“

Bang huͤllte ich mich dichter ein und eilte aus dem Gar¬
ten. Mein Gewand fieng ſich in einer Dornranke; erſchreckt
rief ich laut: „wer faßt mich?“ und ſtand. Niemand zeigte
ſich, ſo riß ich dann ſchneller eilend die Ranke mit fort und
dachte: ſie wird mir morgen ein Zeichen ſeyn, daß ich nicht
getraͤumt. In meinem Schlafgemach hoͤrte ich immer jene
Worte noch um mich toͤnen. Ich verſtand ſie durch und
durch und konnte ſie doch nicht erklaͤren. Ich verſtand ihr
Weſen und hatte keine Worte fuͤr ſie, als ſie ſelbſt. Immer
wiederholte ich ſie, immer ſah ich die leuchtenden Lilien und
die Sterne vor mir, die ſie gruͤßten. Als ich mir den Nacht¬
thau von dem Angeſicht wuſch, war mir, als ſehe ich ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="260"/>
les erza&#x0364;hlt hatte, was ge&#x017F;chah. Er ver&#x017F;tand mich &#x017F;ehr gut,<lb/>
denn er war ganz &#x017F;elig und &#x017F;chu&#x0364;ttelte helle Tropfen nieder<lb/>
auf das &#x017F;cho&#x0364;ne, neue, reine Ro&#x0364;schen und es &#x017F;pritzten mir<lb/>
Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. &#x2014; Ich war aber<lb/>
&#x017F;o bewegt von dem lebhaften Traum und war &#x017F;einer &#x017F;o ge¬<lb/>
wiß, daß ich mich einhu&#x0364;llte und auf lei&#x017F;en Socken hinab¬<lb/>
&#x017F;chlich in den Garten. O wie war es ku&#x0364;hl und &#x017F;till und &#x017F;o<lb/>
ruhig, &#x017F;o ruhig! ich meinte immer, ich mu&#x0364;ße die lichten<lb/>
Ge&#x017F;talten irgendwo &#x017F;ehen, aber ich &#x017F;ah nur ein Nachtlicht<lb/>
her&#x017F;chimmern, ho&#x0364;rte nur ein Kindlein wimmern und das<lb/>
Bru&#x0364;nnchen rau&#x017F;chen. Im Garten war es wie &#x017F;on&#x017F;t, einige<lb/>
Glu&#x0364;hwu&#x0364;rmer leuchteten umher, als wollten &#x017F;ie mir &#x017F;uchen<lb/>
helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige<lb/>
nach&#x017F;innende Sternchen. Ich nahte den Lilien, &#x017F;ie dufteten<lb/>
Licht und ich &#x017F;ah Strahlen von den Sternen in &#x017F;ie nieder¬<lb/>
&#x017F;chießen und von ihnen wieder empor, es war, als tru&#x0364;gen<lb/>
Himmelsbienen Honig aus ihnen ein fu&#x0364;r die Kinder einer be&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ern Welt. &#x2014; Und wie ich &#x017F;o &#x017F;innend &#x017F;tand, ho&#x0364;rte ich eine<lb/>
Men&#x017F;chen&#x017F;timme, fern und doch nah mit wehmu&#x0364;thigem Tone<lb/>
die Worte &#x017F;prechen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;O Stern und Blume, Gei&#x017F;t und Kleid,</l><lb/>
            <l>Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <p>Bang hu&#x0364;llte ich mich dichter ein und eilte aus dem Gar¬<lb/>
ten. Mein Gewand fieng &#x017F;ich in einer Dornranke; er&#x017F;chreckt<lb/>
rief ich laut: &#x201E;wer faßt mich?&#x201C; und &#x017F;tand. Niemand zeigte<lb/>
&#x017F;ich, &#x017F;o riß ich dann &#x017F;chneller eilend die Ranke mit fort und<lb/>
dachte: &#x017F;ie wird mir morgen ein Zeichen &#x017F;eyn, daß ich nicht<lb/>
getra&#x0364;umt. In meinem Schlafgemach ho&#x0364;rte ich immer jene<lb/>
Worte noch um mich to&#x0364;nen. Ich ver&#x017F;tand &#x017F;ie durch und<lb/>
durch und konnte &#x017F;ie doch nicht erkla&#x0364;ren. Ich ver&#x017F;tand ihr<lb/>
We&#x017F;en und hatte keine Worte fu&#x0364;r &#x017F;ie, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t. Immer<lb/>
wiederholte ich &#x017F;ie, immer &#x017F;ah ich die leuchtenden Lilien und<lb/>
die Sterne vor mir, die &#x017F;ie gru&#x0364;ßten. Als ich mir den Nacht¬<lb/>
thau von dem Ange&#x017F;icht wu&#x017F;ch, war mir, als &#x017F;ehe ich ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0314] les erzaͤhlt hatte, was geſchah. Er verſtand mich ſehr gut, denn er war ganz ſelig und ſchuͤttelte helle Tropfen nieder auf das ſchoͤne, neue, reine Roͤschen und es ſpritzten mir Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. — Ich war aber ſo bewegt von dem lebhaften Traum und war ſeiner ſo ge¬ wiß, daß ich mich einhuͤllte und auf leiſen Socken hinab¬ ſchlich in den Garten. O wie war es kuͤhl und ſtill und ſo ruhig, ſo ruhig! ich meinte immer, ich muͤße die lichten Geſtalten irgendwo ſehen, aber ich ſah nur ein Nachtlicht herſchimmern, hoͤrte nur ein Kindlein wimmern und das Bruͤnnchen rauſchen. Im Garten war es wie ſonſt, einige Gluͤhwuͤrmer leuchteten umher, als wollten ſie mir ſuchen helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige nachſinnende Sternchen. Ich nahte den Lilien, ſie dufteten Licht und ich ſah Strahlen von den Sternen in ſie nieder¬ ſchießen und von ihnen wieder empor, es war, als truͤgen Himmelsbienen Honig aus ihnen ein fuͤr die Kinder einer beſ¬ ſern Welt. — Und wie ich ſo ſinnend ſtand, hoͤrte ich eine Menſchenſtimme, fern und doch nah mit wehmuͤthigem Tone die Worte ſprechen: „O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Bang huͤllte ich mich dichter ein und eilte aus dem Gar¬ ten. Mein Gewand fieng ſich in einer Dornranke; erſchreckt rief ich laut: „wer faßt mich?“ und ſtand. Niemand zeigte ſich, ſo riß ich dann ſchneller eilend die Ranke mit fort und dachte: ſie wird mir morgen ein Zeichen ſeyn, daß ich nicht getraͤumt. In meinem Schlafgemach hoͤrte ich immer jene Worte noch um mich toͤnen. Ich verſtand ſie durch und durch und konnte ſie doch nicht erklaͤren. Ich verſtand ihr Weſen und hatte keine Worte fuͤr ſie, als ſie ſelbſt. Immer wiederholte ich ſie, immer ſah ich die leuchtenden Lilien und die Sterne vor mir, die ſie gruͤßten. Als ich mir den Nacht¬ thau von dem Angeſicht wuſch, war mir, als ſehe ich ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/314
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/314>, abgerufen am 25.11.2024.