ser. Ich bitte das arme Kind von Hennegau ein Ordensge¬ setz hierauf zu gründen." Mich rührte die Erfahrung Serpo¬ leta's, und ich willfahrte ihr mit dem Gesetze, die Bedräng¬ ten bei uns ruhen zu lassen und huldvoll anzuhören. Da Ser¬ poleta mir sagte, ihre und vieler Armen Schornsteine rauchten nicht, gab ich ihr das Recht, in dem Wald, wo ihr Asve¬ rus begegnet, alle ihren Holzbedarf zu schlagen, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Rauchhuhn zu entrichten hat.
St. Sophientag. Heute hatte ich einen lieben stil¬ len Tag, das treue Mutterherz, das Rothkehlchen unter mei¬ nem Dach weckte mich gar früh mit seinem Liedchen, ich streckte den Kopf durchs Fenster und belauschte es, wie es mit dem ersten Sonnenstrahl oben am Giebel gar einfältig¬ lich in Muttersorgen überlegte, wo und wie es sein Nestchen am sichersten bauen solle; da fiel mir mein Herzgespann ein, dessen Fest heut war und ich lief an einen schattigen feuch¬ ten Ort der Wiese, wo das Sophienkräutlein, Sonnenthau, Sonnenbraut stand, dessen große Heilkraft mir wohl bekannt ist, und flocht ich ein Kränzlein daraus und kaufte zwei gleiche seidne Tüchlein, eins für sie und eins für mich und brachte Kranz und Tüchlein meinem lieben Herzgespann und war seelig mit ihr den ganzen Tag. Das Verslein aber, das ich ihr schrieb lautete also:
"Dies Kränzlein von Sophienkraut, Weil's deinen Namen führet, Und weil es heißet Sonnenbraut, Dir liebstes Herz gebühret, Steht sonnig es in offner Au, Steht schattig es verhüllet, Heißt immer es doch Sonnenthau, Weil milder Thau es füllet. Der Thau aus seinem Innern quillt, Er ist nicht drauf geregnet, Drum ist, lieb Herz, dein Ebenbild Mir segnend drin begegnet.
ſer. Ich bitte das arme Kind von Hennegau ein Ordensge¬ ſetz hierauf zu gruͤnden.“ Mich ruͤhrte die Erfahrung Serpo¬ leta's, und ich willfahrte ihr mit dem Geſetze, die Bedraͤng¬ ten bei uns ruhen zu laſſen und huldvoll anzuhoͤren. Da Ser¬ poleta mir ſagte, ihre und vieler Armen Schornſteine rauchten nicht, gab ich ihr das Recht, in dem Wald, wo ihr Asve¬ rus begegnet, alle ihren Holzbedarf zu ſchlagen, wofuͤr ſie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Rauchhuhn zu entrichten hat.
St. Sophientag. Heute hatte ich einen lieben ſtil¬ len Tag, das treue Mutterherz, das Rothkehlchen unter mei¬ nem Dach weckte mich gar fruͤh mit ſeinem Liedchen, ich ſtreckte den Kopf durchs Fenſter und belauſchte es, wie es mit dem erſten Sonnenſtrahl oben am Giebel gar einfaͤltig¬ lich in Mutterſorgen uͤberlegte, wo und wie es ſein Neſtchen am ſicherſten bauen ſolle; da fiel mir mein Herzgeſpann ein, deſſen Feſt heut war und ich lief an einen ſchattigen feuch¬ ten Ort der Wieſe, wo das Sophienkraͤutlein, Sonnenthau, Sonnenbraut ſtand, deſſen große Heilkraft mir wohl bekannt iſt, und flocht ich ein Kraͤnzlein daraus und kaufte zwei gleiche ſeidne Tuͤchlein, eins fuͤr ſie und eins fuͤr mich und brachte Kranz und Tuͤchlein meinem lieben Herzgeſpann und war ſeelig mit ihr den ganzen Tag. Das Verslein aber, das ich ihr ſchrieb lautete alſo:
„Dies Kraͤnzlein von Sophienkraut, Weil's deinen Namen fuͤhret, Und weil es heißet Sonnenbraut, Dir liebſtes Herz gebuͤhret, Steht ſonnig es in offner Au, Steht ſchattig es verhuͤllet, Heißt immer es doch Sonnenthau, Weil milder Thau es fuͤllet. Der Thau aus ſeinem Innern quillt, Er iſt nicht drauf geregnet, Drum iſt, lieb Herz, dein Ebenbild Mir ſegnend drin begegnet.
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ſer. Ich bitte das arme Kind von Hennegau ein Ordensge¬
ſetz hierauf zu gruͤnden.“ Mich ruͤhrte die Erfahrung Serpo¬
leta's, und ich willfahrte ihr mit dem Geſetze, die Bedraͤng¬
ten bei uns ruhen zu laſſen und huldvoll anzuhoͤren. Da Ser¬
poleta mir ſagte, ihre und vieler Armen Schornſteine rauchten
nicht, gab ich ihr das Recht, in dem Wald, wo ihr Asve¬
rus begegnet, alle ihren Holzbedarf zu ſchlagen, wofuͤr ſie
bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Rauchhuhn zu entrichten hat.
St. Sophientag. Heute hatte ich einen lieben ſtil¬
len Tag, das treue Mutterherz, das Rothkehlchen unter mei¬
nem Dach weckte mich gar fruͤh mit ſeinem Liedchen, ich
ſtreckte den Kopf durchs Fenſter und belauſchte es, wie es
mit dem erſten Sonnenſtrahl oben am Giebel gar einfaͤltig¬
lich in Mutterſorgen uͤberlegte, wo und wie es ſein Neſtchen
am ſicherſten bauen ſolle; da fiel mir mein Herzgeſpann ein,
deſſen Feſt heut war und ich lief an einen ſchattigen feuch¬
ten Ort der Wieſe, wo das Sophienkraͤutlein, Sonnenthau,
Sonnenbraut ſtand, deſſen große Heilkraft mir wohl bekannt iſt,
und flocht ich ein Kraͤnzlein daraus und kaufte zwei gleiche ſeidne
Tuͤchlein, eins fuͤr ſie und eins fuͤr mich und brachte Kranz
und Tuͤchlein meinem lieben Herzgeſpann und war ſeelig mit
ihr den ganzen Tag. Das Verslein aber, das ich ihr ſchrieb
lautete alſo:
„Dies Kraͤnzlein von Sophienkraut,
Weil's deinen Namen fuͤhret,
Und weil es heißet Sonnenbraut,
Dir liebſtes Herz gebuͤhret,
Steht ſonnig es in offner Au,
Steht ſchattig es verhuͤllet,
Heißt immer es doch Sonnenthau,
Weil milder Thau es fuͤllet.
Der Thau aus ſeinem Innern quillt,
Er iſt nicht drauf geregnet,
Drum iſt, lieb Herz, dein Ebenbild
Mir ſegnend drin begegnet.
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/306>, abgerufen am 16.02.2025.
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