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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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der Ofen. Man schreitet auf einer schmalen offnen Treppe,
wie auf einer Hühnerleiter zu ihr hinauf und trifft dann auf
die kleine arme Küche, neben welcher ihre Stubenthüre. Das
Gallinarium ist unter ihrer Wohnung; da lebet das Hühnlein
Gallina und seine große Familie und hat dasselbe sein Nest,
seine Stange, sein Freß- und Sauftröglein, alles abgesondert
und von Verena besonders gepflegt. Hier unten ist ein
kleiner Garten und Hühnerhof, und dem Gallinarium gegen¬
über ein Behälter für das Holz und in weiteren alten Ge¬
wölben sind die Räume, wo die Wäsche des Schlosses besorgt
wird. Dieser ganze Theil des Schlosses von Hennegau ist
sehr alt und etwas wüste; man hat ihn nie erneuert aus
Achtung für das Gallinarium, weil Gallina, das erste fromme
Hühnlein, welches das Werkzeug zur Bekehrung des Belgius
und zur Benennung des ganzen Landes gewesen, hier ge¬
wohnt hatte. Ich gieng aber immer von Kind auf mit einem
heiligen Grauen in das Gallinarium; es war da einsam
und gar ernsthaft; an der einen Seite liegt St. Petri
Münster, die erste Kirche des Landes, die auch durch das
fromme Hühnlein veranlasset worden, und um das Gallinarium
her läuft der Kreuzgang von dem ehemaligen Kirchhof St.
Peters, worin alte Todtentragen und schwarze Sargdecken
und Flitterkränze und Kreuze stehen. An dem Treppchen zu
Verenas Stübchen eilte ich immer schnell und scheu hinauf,
denn die Wäscherinnen sagten mancherlei Unheimliches von
dem Gewölbe bei dem Gallinarium, und wußte Verena
Vieles davon zu erzählen, aber wollte nie recht damit heraus.
Immer wußte ich nicht recht, was das heißen sollte, daß
meine Mutter oft zu ihr zu sagen pflegte: "Verena, was
macht das Büblein?" worauf sie jedesmal ernst und bedenk¬
lich erwiederte: "es macht sein Sach!" -- und doch war es
von Kindheit auf meine Gewohnheit, wenn ich sie sah, diese
Frage an sie zu wiederholen und dieselbe Antwort von ihr
zu erhalten, ohne daß sie je meine heimliche Neugierde, was

der Ofen. Man ſchreitet auf einer ſchmalen offnen Treppe,
wie auf einer Huͤhnerleiter zu ihr hinauf und trifft dann auf
die kleine arme Kuͤche, neben welcher ihre Stubenthuͤre. Das
Gallinarium iſt unter ihrer Wohnung; da lebet das Huͤhnlein
Gallina und ſeine große Familie und hat dasſelbe ſein Neſt,
ſeine Stange, ſein Freß- und Sauftroͤglein, alles abgeſondert
und von Verena beſonders gepflegt. Hier unten iſt ein
kleiner Garten und Huͤhnerhof, und dem Gallinarium gegen¬
uͤber ein Behaͤlter fuͤr das Holz und in weiteren alten Ge¬
woͤlben ſind die Raͤume, wo die Waͤſche des Schloſſes beſorgt
wird. Dieſer ganze Theil des Schloſſes von Hennegau iſt
ſehr alt und etwas wuͤſte; man hat ihn nie erneuert aus
Achtung fuͤr das Gallinarium, weil Gallina, das erſte fromme
Huͤhnlein, welches das Werkzeug zur Bekehrung des Belgius
und zur Benennung des ganzen Landes geweſen, hier ge¬
wohnt hatte. Ich gieng aber immer von Kind auf mit einem
heiligen Grauen in das Gallinarium; es war da einſam
und gar ernſthaft; an der einen Seite liegt St. Petri
Muͤnſter, die erſte Kirche des Landes, die auch durch das
fromme Huͤhnlein veranlaſſet worden, und um das Gallinarium
her laͤuft der Kreuzgang von dem ehemaligen Kirchhof St.
Peters, worin alte Todtentragen und ſchwarze Sargdecken
und Flitterkraͤnze und Kreuze ſtehen. An dem Treppchen zu
Verenas Stuͤbchen eilte ich immer ſchnell und ſcheu hinauf,
denn die Waͤſcherinnen ſagten mancherlei Unheimliches von
dem Gewoͤlbe bei dem Gallinarium, und wußte Verena
Vieles davon zu erzaͤhlen, aber wollte nie recht damit heraus.
Immer wußte ich nicht recht, was das heißen ſollte, daß
meine Mutter oft zu ihr zu ſagen pflegte: „Verena, was
macht das Buͤblein?“ worauf ſie jedesmal ernſt und bedenk¬
lich erwiederte: „es macht ſein Sach!“ — und doch war es
von Kindheit auf meine Gewohnheit, wenn ich ſie ſah, dieſe
Frage an ſie zu wiederholen und dieſelbe Antwort von ihr
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[245/0299] der Ofen. Man ſchreitet auf einer ſchmalen offnen Treppe, wie auf einer Huͤhnerleiter zu ihr hinauf und trifft dann auf die kleine arme Kuͤche, neben welcher ihre Stubenthuͤre. Das Gallinarium iſt unter ihrer Wohnung; da lebet das Huͤhnlein Gallina und ſeine große Familie und hat dasſelbe ſein Neſt, ſeine Stange, ſein Freß- und Sauftroͤglein, alles abgeſondert und von Verena beſonders gepflegt. Hier unten iſt ein kleiner Garten und Huͤhnerhof, und dem Gallinarium gegen¬ uͤber ein Behaͤlter fuͤr das Holz und in weiteren alten Ge¬ woͤlben ſind die Raͤume, wo die Waͤſche des Schloſſes beſorgt wird. Dieſer ganze Theil des Schloſſes von Hennegau iſt ſehr alt und etwas wuͤſte; man hat ihn nie erneuert aus Achtung fuͤr das Gallinarium, weil Gallina, das erſte fromme Huͤhnlein, welches das Werkzeug zur Bekehrung des Belgius und zur Benennung des ganzen Landes geweſen, hier ge¬ wohnt hatte. Ich gieng aber immer von Kind auf mit einem heiligen Grauen in das Gallinarium; es war da einſam und gar ernſthaft; an der einen Seite liegt St. Petri Muͤnſter, die erſte Kirche des Landes, die auch durch das fromme Huͤhnlein veranlaſſet worden, und um das Gallinarium her laͤuft der Kreuzgang von dem ehemaligen Kirchhof St. Peters, worin alte Todtentragen und ſchwarze Sargdecken und Flitterkraͤnze und Kreuze ſtehen. An dem Treppchen zu Verenas Stuͤbchen eilte ich immer ſchnell und ſcheu hinauf, denn die Waͤſcherinnen ſagten mancherlei Unheimliches von dem Gewoͤlbe bei dem Gallinarium, und wußte Verena Vieles davon zu erzaͤhlen, aber wollte nie recht damit heraus. Immer wußte ich nicht recht, was das heißen ſollte, daß meine Mutter oft zu ihr zu ſagen pflegte: „Verena, was macht das Buͤblein?“ worauf ſie jedesmal ernſt und bedenk¬ lich erwiederte: „es macht ſein Sach!“ — und doch war es von Kindheit auf meine Gewohnheit, wenn ich ſie ſah, dieſe Frage an ſie zu wiederholen und dieſelbe Antwort von ihr zu erhalten, ohne daß ſie je meine heimliche Neugierde, was

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/299>, abgerufen am 22.11.2024.