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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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garten mit einem Gartenhuhn. -- Esparsetta entrichtete für
ein am 13. Juni, Pfingstdienstag, empfangenes Feldgut
ein Pfingsthuhn. -- Als alle Ordensgespielinnen ihre Pflicht
gelöst und die acht Bänder anfassend, zur Rechten und
Linken des Blumensarges standen, erhoben Gackeleia und
Kronovus die beiden vorderen, Gockel und Hinkel die bei¬
den hinteren Stangen der Tragbahre und zogen mit dem
Blumensarge der Kapelle zu. -- Der Geist der Ahnfrau
folgte seinem eignen Leibe zu Grab. -- Es war ein An¬
blick von der rührendsten Erhabenheit. -- Hinter dem von
den acht Ordensgespielinnen umgebenen bunten Blumensarg,
in welchem das bleiche, arme Kind von Hennegau in tiefro¬
them Gewand gleich einem elfenbeinernen ernsten Jungfräu¬
lein zu schlummern schien, schwebte dessen eigner Geist zwi¬
schen den drei weißen Klosterfrauen, welche Lilien trugen --
selbst eine Lilie -- in unaussprechlich rührender Einfachheit,
in schneeweißem, langem Gewand, Spindel und Brod tra¬
gend, das verschleierte Haupt mit weißen Rosen bekränzt, mit
lieblichem Frieden im Angesicht über die Blumen und Gras¬
spitzen dahin. Eine der drei Klosterjungfrauen, welche sie
mehr, als die beiden andern zu lieben schien, trug ihr de¬
müthig die Schleppe. -- Alle drei sangen:

"Die reine Lilie prangt mit größrer Herrlichkeit,
Als jemals Salomo in seinem Königskleid,
Du trägst dies Brautgewand seit deiner Tauf' auf Erden,
Du konntest herrlicher niemals geschmücket werden."
Worauf der Geist der Ahnfrau mit wehmüthiger Innigkeit
wieder sang:

"O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!"

Nun aber folgte der ganze Zug der Geister der dankba¬
ren Armen, welche den Sarg geschmückt hatten, sie trugen
die schimmernden Fahnen von Röckchen, Hemdchen, Schürz¬

garten mit einem Gartenhuhn. — Esparſetta entrichtete fuͤr
ein am 13. Juni, Pfingſtdienſtag, empfangenes Feldgut
ein Pfingſthuhn. — Als alle Ordensgeſpielinnen ihre Pflicht
geloͤſt und die acht Baͤnder anfaſſend, zur Rechten und
Linken des Blumenſarges ſtanden, erhoben Gackeleia und
Kronovus die beiden vorderen, Gockel und Hinkel die bei¬
den hinteren Stangen der Tragbahre und zogen mit dem
Blumenſarge der Kapelle zu. — Der Geiſt der Ahnfrau
folgte ſeinem eignen Leibe zu Grab. — Es war ein An¬
blick von der ruͤhrendſten Erhabenheit. — Hinter dem von
den acht Ordensgeſpielinnen umgebenen bunten Blumenſarg,
in welchem das bleiche, arme Kind von Hennegau in tiefro¬
them Gewand gleich einem elfenbeinernen ernſten Jungfraͤu¬
lein zu ſchlummern ſchien, ſchwebte deſſen eigner Geiſt zwi¬
ſchen den drei weißen Kloſterfrauen, welche Lilien trugen —
ſelbſt eine Lilie — in unausſprechlich ruͤhrender Einfachheit,
in ſchneeweißem, langem Gewand, Spindel und Brod tra¬
gend, das verſchleierte Haupt mit weißen Roſen bekraͤnzt, mit
lieblichem Frieden im Angeſicht uͤber die Blumen und Gras¬
ſpitzen dahin. Eine der drei Kloſterjungfrauen, welche ſie
mehr, als die beiden andern zu lieben ſchien, trug ihr de¬
muͤthig die Schleppe. — Alle drei ſangen:

„Die reine Lilie prangt mit groͤßrer Herrlichkeit,
Als jemals Salomo in ſeinem Koͤnigskleid,
Du traͤgſt dies Brautgewand ſeit deiner Tauf' auf Erden,
Du konnteſt herrlicher niemals geſchmuͤcket werden.“
Worauf der Geiſt der Ahnfrau mit wehmuͤthiger Innigkeit
wieder ſang:

„O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“

Nun aber folgte der ganze Zug der Geiſter der dankba¬
ren Armen, welche den Sarg geſchmuͤckt hatten, ſie trugen
die ſchimmernden Fahnen von Roͤckchen, Hemdchen, Schuͤrz¬

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[212/0264] garten mit einem Gartenhuhn. — Esparſetta entrichtete fuͤr ein am 13. Juni, Pfingſtdienſtag, empfangenes Feldgut ein Pfingſthuhn. — Als alle Ordensgeſpielinnen ihre Pflicht geloͤſt und die acht Baͤnder anfaſſend, zur Rechten und Linken des Blumenſarges ſtanden, erhoben Gackeleia und Kronovus die beiden vorderen, Gockel und Hinkel die bei¬ den hinteren Stangen der Tragbahre und zogen mit dem Blumenſarge der Kapelle zu. — Der Geiſt der Ahnfrau folgte ſeinem eignen Leibe zu Grab. — Es war ein An¬ blick von der ruͤhrendſten Erhabenheit. — Hinter dem von den acht Ordensgeſpielinnen umgebenen bunten Blumenſarg, in welchem das bleiche, arme Kind von Hennegau in tiefro¬ them Gewand gleich einem elfenbeinernen ernſten Jungfraͤu¬ lein zu ſchlummern ſchien, ſchwebte deſſen eigner Geiſt zwi¬ ſchen den drei weißen Kloſterfrauen, welche Lilien trugen — ſelbſt eine Lilie — in unausſprechlich ruͤhrender Einfachheit, in ſchneeweißem, langem Gewand, Spindel und Brod tra¬ gend, das verſchleierte Haupt mit weißen Roſen bekraͤnzt, mit lieblichem Frieden im Angeſicht uͤber die Blumen und Gras¬ ſpitzen dahin. Eine der drei Kloſterjungfrauen, welche ſie mehr, als die beiden andern zu lieben ſchien, trug ihr de¬ muͤthig die Schleppe. — Alle drei ſangen: „Die reine Lilie prangt mit groͤßrer Herrlichkeit, Als jemals Salomo in ſeinem Koͤnigskleid, Du traͤgſt dies Brautgewand ſeit deiner Tauf' auf Erden, Du konnteſt herrlicher niemals geſchmuͤcket werden.“ Worauf der Geiſt der Ahnfrau mit wehmuͤthiger Innigkeit wieder ſang: „O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Nun aber folgte der ganze Zug der Geiſter der dankba¬ ren Armen, welche den Sarg geſchmuͤckt hatten, ſie trugen die ſchimmernden Fahnen von Roͤckchen, Hemdchen, Schuͤrz¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/264>, abgerufen am 24.11.2024.