Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

schwind, laßt uns sie empfangen, ich sehe, sie schwanken
schon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe
sie auf. -- "Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Gräfin Amey
von Hennegau, ersten Lehnshuldin von Vadutz und ersten
armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Königin
von Gelnhausen, Gräfin in Hennegau und von Gockelsruh,
jüngste Lehnshuldin von Vadutz und jüngstes armes Kind
von Hennegau, -- Euch, acht erste Ordensgespielen, die acht
Pflichthühner abzuliefern. -- Zuerst rufe ich auf: Fräulein
Ornitogalia, für eine am 30. April 1318 empfangene Weide-
Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!"

Auf diesen Ruf schwebte Ornitogalia, ein Kränzlein des
Kräutleins Hühnermilch auf den blonden Locken und ein schö¬
nes Huhn in einem Körbchen tragend, zwischen den Sarg
und Gackeleia. Sie verbeugte sich gegen den Geist der Ahn¬
frau, küßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im
Sarge trug. Hierauf erhob sie sich wieder, lehnte ihr Haupt
gegen das Kleinod der rechten Achselspange Gackeleias, setzte
sodann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Füßen nie¬
der und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf sie das
erste der acht amaranthfarbenen Bänder ergriff und ruhig an
ihrer Stelle stehen blieb. -- Hierauf rief Gackeleia nach der
Reihe die sieben folgenden Fräulein auf. Alle trugen sie
Kränze von Kräutern ihres Namens und den Orden der freudig
frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. -- Oster¬
luzia lieferte für ein am 1. Mai empfangenes Stück Wald
ein Waldhuhn. -- Kretellina brachte für das am 7. Mai
erhaltene Recht, im Wald zu grasen, ein Grashuhn. -- Ser¬
poleta gab für den am 14. Mai verliehenen jährlichen Holz¬
bedarf ein Rauchhuhn. -- Morgelina hatte am 21. Mai das
Recht erhalten, im Walde Laub zu sammeln und brachte ein
Laubhuhn. -- Moskatellina entrichtete für ein am 28. Mai
empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. -- Kornelia leistete
ihre Lehnspflicht für einen am 4. Juni empfangenen Rosen¬

14 *

ſchwind, laßt uns ſie empfangen, ich ſehe, ſie ſchwanken
ſchon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe
ſie auf. — „Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Graͤfin Amey
von Hennegau, erſten Lehnshuldin von Vadutz und erſten
armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Koͤnigin
von Gelnhauſen, Graͤfin in Hennegau und von Gockelsruh,
juͤngſte Lehnshuldin von Vadutz und juͤngſtes armes Kind
von Hennegau, — Euch, acht erſte Ordensgeſpielen, die acht
Pflichthuͤhner abzuliefern. — Zuerſt rufe ich auf: Fraͤulein
Ornitogalia, fuͤr eine am 30. April 1318 empfangene Weide-
Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!“

Auf dieſen Ruf ſchwebte Ornitogalia, ein Kraͤnzlein des
Kraͤutleins Huͤhnermilch auf den blonden Locken und ein ſchoͤ¬
nes Huhn in einem Koͤrbchen tragend, zwiſchen den Sarg
und Gackeleia. Sie verbeugte ſich gegen den Geiſt der Ahn¬
frau, kuͤßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im
Sarge trug. Hierauf erhob ſie ſich wieder, lehnte ihr Haupt
gegen das Kleinod der rechten Achſelſpange Gackeleias, ſetzte
ſodann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Fuͤßen nie¬
der und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf ſie das
erſte der acht amaranthfarbenen Baͤnder ergriff und ruhig an
ihrer Stelle ſtehen blieb. — Hierauf rief Gackeleia nach der
Reihe die ſieben folgenden Fraͤulein auf. Alle trugen ſie
Kraͤnze von Kraͤutern ihres Namens und den Orden der freudig
frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. — Oſter¬
luzia lieferte fuͤr ein am 1. Mai empfangenes Stuͤck Wald
ein Waldhuhn. — Kretellina brachte fuͤr das am 7. Mai
erhaltene Recht, im Wald zu graſen, ein Grashuhn. — Ser¬
poleta gab fuͤr den am 14. Mai verliehenen jaͤhrlichen Holz¬
bedarf ein Rauchhuhn. — Morgelina hatte am 21. Mai das
Recht erhalten, im Walde Laub zu ſammeln und brachte ein
Laubhuhn. — Moskatellina entrichtete fuͤr ein am 28. Mai
empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. — Kornelia leiſtete
ihre Lehnſpflicht fuͤr einen am 4. Juni empfangenen Roſen¬

14 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="211"/>
&#x017F;chwind, laßt uns &#x017F;ie empfangen, ich &#x017F;ehe, &#x017F;ie &#x017F;chwanken<lb/>
&#x017F;chon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe<lb/>
&#x017F;ie auf. &#x2014; &#x201E;Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Gra&#x0364;fin Amey<lb/>
von Hennegau, er&#x017F;ten Lehnshuldin von Vadutz und er&#x017F;ten<lb/>
armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Ko&#x0364;nigin<lb/>
von Gelnhau&#x017F;en, Gra&#x0364;fin in Hennegau und von Gockelsruh,<lb/>
ju&#x0364;ng&#x017F;te Lehnshuldin von Vadutz und ju&#x0364;ng&#x017F;tes armes Kind<lb/>
von Hennegau, &#x2014; Euch, acht er&#x017F;te Ordensge&#x017F;pielen, die acht<lb/>
Pflichthu&#x0364;hner abzuliefern. &#x2014; Zuer&#x017F;t rufe ich auf: Fra&#x0364;ulein<lb/>
Ornitogalia, fu&#x0364;r eine am 30. April 1318 empfangene Weide-<lb/>
Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Auf die&#x017F;en Ruf &#x017F;chwebte Ornitogalia, ein Kra&#x0364;nzlein des<lb/>
Kra&#x0364;utleins Hu&#x0364;hnermilch auf den blonden Locken und ein &#x017F;cho&#x0364;¬<lb/>
nes Huhn in einem Ko&#x0364;rbchen tragend, zwi&#x017F;chen den Sarg<lb/>
und Gackeleia. Sie verbeugte &#x017F;ich gegen den Gei&#x017F;t der Ahn¬<lb/>
frau, ku&#x0364;ßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im<lb/>
Sarge trug. Hierauf erhob &#x017F;ie &#x017F;ich wieder, lehnte ihr Haupt<lb/>
gegen das Kleinod der rechten Ach&#x017F;el&#x017F;pange Gackeleias, &#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;odann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Fu&#x0364;ßen nie¬<lb/>
der und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf &#x017F;ie das<lb/>
er&#x017F;te der acht amaranthfarbenen Ba&#x0364;nder ergriff und ruhig an<lb/>
ihrer Stelle &#x017F;tehen blieb. &#x2014; Hierauf rief Gackeleia nach der<lb/>
Reihe die &#x017F;ieben folgenden Fra&#x0364;ulein auf. Alle trugen &#x017F;ie<lb/>
Kra&#x0364;nze von Kra&#x0364;utern ihres Namens und den Orden der freudig<lb/>
frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. &#x2014; O&#x017F;ter¬<lb/>
luzia lieferte fu&#x0364;r ein am 1. Mai empfangenes Stu&#x0364;ck Wald<lb/>
ein Waldhuhn. &#x2014; Kretellina brachte fu&#x0364;r das am 7. Mai<lb/>
erhaltene Recht, im Wald zu gra&#x017F;en, ein Grashuhn. &#x2014; Ser¬<lb/>
poleta gab fu&#x0364;r den am 14. Mai verliehenen ja&#x0364;hrlichen Holz¬<lb/>
bedarf ein Rauchhuhn. &#x2014; Morgelina hatte am 21. Mai das<lb/>
Recht erhalten, im Walde Laub zu &#x017F;ammeln und brachte ein<lb/>
Laubhuhn. &#x2014; Moskatellina entrichtete fu&#x0364;r ein am 28. Mai<lb/>
empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. &#x2014; Kornelia lei&#x017F;tete<lb/>
ihre Lehn&#x017F;pflicht fu&#x0364;r einen am 4. Juni empfangenen Ro&#x017F;en¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0263] ſchwind, laßt uns ſie empfangen, ich ſehe, ſie ſchwanken ſchon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe ſie auf. — „Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Graͤfin Amey von Hennegau, erſten Lehnshuldin von Vadutz und erſten armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Koͤnigin von Gelnhauſen, Graͤfin in Hennegau und von Gockelsruh, juͤngſte Lehnshuldin von Vadutz und juͤngſtes armes Kind von Hennegau, — Euch, acht erſte Ordensgeſpielen, die acht Pflichthuͤhner abzuliefern. — Zuerſt rufe ich auf: Fraͤulein Ornitogalia, fuͤr eine am 30. April 1318 empfangene Weide- Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!“ Auf dieſen Ruf ſchwebte Ornitogalia, ein Kraͤnzlein des Kraͤutleins Huͤhnermilch auf den blonden Locken und ein ſchoͤ¬ nes Huhn in einem Koͤrbchen tragend, zwiſchen den Sarg und Gackeleia. Sie verbeugte ſich gegen den Geiſt der Ahn¬ frau, kuͤßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im Sarge trug. Hierauf erhob ſie ſich wieder, lehnte ihr Haupt gegen das Kleinod der rechten Achſelſpange Gackeleias, ſetzte ſodann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Fuͤßen nie¬ der und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf ſie das erſte der acht amaranthfarbenen Baͤnder ergriff und ruhig an ihrer Stelle ſtehen blieb. — Hierauf rief Gackeleia nach der Reihe die ſieben folgenden Fraͤulein auf. Alle trugen ſie Kraͤnze von Kraͤutern ihres Namens und den Orden der freudig frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. — Oſter¬ luzia lieferte fuͤr ein am 1. Mai empfangenes Stuͤck Wald ein Waldhuhn. — Kretellina brachte fuͤr das am 7. Mai erhaltene Recht, im Wald zu graſen, ein Grashuhn. — Ser¬ poleta gab fuͤr den am 14. Mai verliehenen jaͤhrlichen Holz¬ bedarf ein Rauchhuhn. — Morgelina hatte am 21. Mai das Recht erhalten, im Walde Laub zu ſammeln und brachte ein Laubhuhn. — Moskatellina entrichtete fuͤr ein am 28. Mai empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. — Kornelia leiſtete ihre Lehnſpflicht fuͤr einen am 4. Juni empfangenen Roſen¬ 14 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/263
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/263>, abgerufen am 24.11.2024.