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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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sche Familie stammt mütterlicher Seite von einem römischen
Kaiser Curio und dessen Weib Docka her, die Christen ge¬
worden, nach Deutschland gezogen und auch das Land Va¬
dutz gegründet. Es war aber bei den heidnischen Römern
eine grausame Belustigung, Männer mit Schwertern auf
auf Tod und Leben mit einander fechten zu sehen. Wenn
nun einer der Kämpfer unterlag, setzte ihm der andere das
Messer an die Kehle und schaute umher, ob man ihn tödten
oder begnadigen lassen wolle; wer nun verlangte, der Ueber¬
wundene solle leben bleiben, der hob die Hände in die Höhe
und schloß den Daumen fest in die Faust, das war das Zei¬
chen der Gnade; die Kaiserinn Docka soll gleich nach ihrer
Geburt schon die Händchen in dieser Stellung gehabt haben,
so daß die Mutter ausrief: "Ach mein liebes Kind du bist
ein Gnadenkind!" -- Docka aber hielt bei jeder Gelegenheit,
wo es Hilfe und Rettung galt, von frühester Jugend auf
ihre Händchen immer in dieser Gnadenstellung, so daß ihre
Daumen sich ganz darnach bildeten und man dieselben Gnaden¬
daumen, Dockadaumen nannte, und von ihr ist diese Handbil¬
dung auf alle Gräfinnen von Hennegau, mit der großen
Neigung zu begnadigen und zu vergeben, vererbt. -- Sieh
Gackeleia, daher kömmt der Gebrauch, daß man sagt, halte
mir den Daumen, wenn man verlangt, ein anderer solle mit
seiner ganzen Seele unser Glück wünschen."

"Nun wissen wir Alles," sprach Gackeleia, "so recht,
wie man sagt, bis auf den Fingernagel; wir wissen, warum
die drei Lilien und die drei weißen Klosterfrauen bei der lie¬
ben Ahnfrau unter der Hennenlinde stehen; und warum dort
bei den acht Pflanzen die acht Ordensgespielen des armen
Kindes von Hennegau festlich geschmückt erscheinen und Hüh¬
ner in Körbchen unter dem Arm tragen. Sie kommen zur
Leichen-Uebertragung des ältesten armen Kindes von Henne¬
gau und zum Brautzug des Jüngsten, und das bin ich! --
Sie wollen ihre Pflichthühner abliefern. -- Geschwind, ge¬

ſche Familie ſtammt muͤtterlicher Seite von einem roͤmiſchen
Kaiſer Curio und deſſen Weib Docka her, die Chriſten ge¬
worden, nach Deutſchland gezogen und auch das Land Va¬
dutz gegruͤndet. Es war aber bei den heidniſchen Roͤmern
eine grauſame Beluſtigung, Maͤnner mit Schwertern auf
auf Tod und Leben mit einander fechten zu ſehen. Wenn
nun einer der Kaͤmpfer unterlag, ſetzte ihm der andere das
Meſſer an die Kehle und ſchaute umher, ob man ihn toͤdten
oder begnadigen laſſen wolle; wer nun verlangte, der Ueber¬
wundene ſolle leben bleiben, der hob die Haͤnde in die Hoͤhe
und ſchloß den Daumen feſt in die Fauſt, das war das Zei¬
chen der Gnade; die Kaiſerinn Docka ſoll gleich nach ihrer
Geburt ſchon die Haͤndchen in dieſer Stellung gehabt haben,
ſo daß die Mutter ausrief: „Ach mein liebes Kind du biſt
ein Gnadenkind!“ — Docka aber hielt bei jeder Gelegenheit,
wo es Hilfe und Rettung galt, von fruͤheſter Jugend auf
ihre Haͤndchen immer in dieſer Gnadenſtellung, ſo daß ihre
Daumen ſich ganz darnach bildeten und man dieſelben Gnaden¬
daumen, Dockadaumen nannte, und von ihr iſt dieſe Handbil¬
dung auf alle Graͤfinnen von Hennegau, mit der großen
Neigung zu begnadigen und zu vergeben, vererbt. — Sieh
Gackeleia, daher koͤmmt der Gebrauch, daß man ſagt, halte
mir den Daumen, wenn man verlangt, ein anderer ſolle mit
ſeiner ganzen Seele unſer Gluͤck wuͤnſchen.“

„Nun wiſſen wir Alles,“ ſprach Gackeleia, „ſo recht,
wie man ſagt, bis auf den Fingernagel; wir wiſſen, warum
die drei Lilien und die drei weißen Kloſterfrauen bei der lie¬
ben Ahnfrau unter der Hennenlinde ſtehen; und warum dort
bei den acht Pflanzen die acht Ordensgeſpielen des armen
Kindes von Hennegau feſtlich geſchmuͤckt erſcheinen und Huͤh¬
ner in Koͤrbchen unter dem Arm tragen. Sie kommen zur
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gau und zum Brautzug des Juͤngſten, und das bin ich! —
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[210/0262] ſche Familie ſtammt muͤtterlicher Seite von einem roͤmiſchen Kaiſer Curio und deſſen Weib Docka her, die Chriſten ge¬ worden, nach Deutſchland gezogen und auch das Land Va¬ dutz gegruͤndet. Es war aber bei den heidniſchen Roͤmern eine grauſame Beluſtigung, Maͤnner mit Schwertern auf auf Tod und Leben mit einander fechten zu ſehen. Wenn nun einer der Kaͤmpfer unterlag, ſetzte ihm der andere das Meſſer an die Kehle und ſchaute umher, ob man ihn toͤdten oder begnadigen laſſen wolle; wer nun verlangte, der Ueber¬ wundene ſolle leben bleiben, der hob die Haͤnde in die Hoͤhe und ſchloß den Daumen feſt in die Fauſt, das war das Zei¬ chen der Gnade; die Kaiſerinn Docka ſoll gleich nach ihrer Geburt ſchon die Haͤndchen in dieſer Stellung gehabt haben, ſo daß die Mutter ausrief: „Ach mein liebes Kind du biſt ein Gnadenkind!“ — Docka aber hielt bei jeder Gelegenheit, wo es Hilfe und Rettung galt, von fruͤheſter Jugend auf ihre Haͤndchen immer in dieſer Gnadenſtellung, ſo daß ihre Daumen ſich ganz darnach bildeten und man dieſelben Gnaden¬ daumen, Dockadaumen nannte, und von ihr iſt dieſe Handbil¬ dung auf alle Graͤfinnen von Hennegau, mit der großen Neigung zu begnadigen und zu vergeben, vererbt. — Sieh Gackeleia, daher koͤmmt der Gebrauch, daß man ſagt, halte mir den Daumen, wenn man verlangt, ein anderer ſolle mit ſeiner ganzen Seele unſer Gluͤck wuͤnſchen.“ „Nun wiſſen wir Alles,“ ſprach Gackeleia, „ſo recht, wie man ſagt, bis auf den Fingernagel; wir wiſſen, warum die drei Lilien und die drei weißen Kloſterfrauen bei der lie¬ ben Ahnfrau unter der Hennenlinde ſtehen; und warum dort bei den acht Pflanzen die acht Ordensgeſpielen des armen Kindes von Hennegau feſtlich geſchmuͤckt erſcheinen und Huͤh¬ ner in Koͤrbchen unter dem Arm tragen. Sie kommen zur Leichen-Uebertragung des aͤlteſten armen Kindes von Henne¬ gau und zum Brautzug des Juͤngſten, und das bin ich! — Sie wollen ihre Pflichthuͤhner abliefern. — Geſchwind, ge¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/262>, abgerufen am 27.11.2024.