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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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geres zu sagen, als, sie liebte uns." In der Hand hatte die
liebe Todte einige Heilkräuter, einen Strauß von Schlüs¬
selblumen
, Chamomillen, Melissen, weißen Nes¬
seln
, Lindenblüthe und Orangenblättern. -- Ein
Monatröschen, das sie lange gepflegt, blühte in einem
Körbchen an ihrer Seite. -- Die ganze sprechende Blumen¬
decke des Sarges war von einer immergrünen Epheuranke
übersponnen, welche an dem Kreuze zu Häupten des Sar¬
ges hinanrankend sagte: "immergrün ist meine Treue, wer
will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und lasse
ihn nicht. Wer ist treuer als ich? selbst von der Wurzel
getrennt, lasse ich nicht von dem, was ich umarmte, und
grüne und lebe klammernd an meiner Stütze. Mit ewigem
Grün umschließet die Treue die Asche der Todten und bin¬
det die Scherben der Urne; denn losgerissen würde sie ster¬
ben. Selbst den gefallenen Stamm umgrüne ich. Seit ich
lebe, ringe ich aufwärts, nicht aus eigener Kraft, sondern
getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit
den Wurzeln meiner Zweige erfaße. -- Weil ich barmherzig
den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne
Armuth und trägt mich aufwärts mit den Barmherzigen,
die sie selig spricht; auf daß ich aufsteige aus der Wüste,
gestützt auf den Geliebten überfließend von Beglückungen." --
Solches und vieles andere stammelten die Blumen und Kräu¬
ter, womit die Geister der dankbaren Armen, denen Frau
Urhinkel alle Barmherzigkeit erwiesen hatte, ihren Sarg von
neuem schmückten. -- Als sie den Sarg geschmückt hatten,
zogen sie sich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zurück, er¬
hoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund.

Alles das sahen Gockel, Hinkel, Gackeleia und Krono¬
vus ganz still mit tiefer Rührung an und nun sprach Gacke¬
leia: "das also ist der schöne Blumensarg unsrer Ahnfrau
von dem du mir so oft erzählt liebe Mutter, daß die Engel
die Blumen dazu im Himmelsgarten gepflückt?" -- da er¬

geres zu ſagen, als, ſie liebte uns.“ In der Hand hatte die
liebe Todte einige Heilkraͤuter, einen Strauß von Schluͤſ¬
ſelblumen
, Chamomillen, Meliſſen, weißen Neſ¬
ſeln
, Lindenbluͤthe und Orangenblaͤttern. — Ein
Monatroͤschen, das ſie lange gepflegt, bluͤhte in einem
Koͤrbchen an ihrer Seite. — Die ganze ſprechende Blumen¬
decke des Sarges war von einer immergruͤnen Epheuranke
uͤberſponnen, welche an dem Kreuze zu Haͤupten des Sar¬
ges hinanrankend ſagte: „immergruͤn iſt meine Treue, wer
will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und laſſe
ihn nicht. Wer iſt treuer als ich? ſelbſt von der Wurzel
getrennt, laſſe ich nicht von dem, was ich umarmte, und
gruͤne und lebe klammernd an meiner Stuͤtze. Mit ewigem
Gruͤn umſchließet die Treue die Aſche der Todten und bin¬
det die Scherben der Urne; denn losgeriſſen wuͤrde ſie ſter¬
ben. Selbſt den gefallenen Stamm umgruͤne ich. Seit ich
lebe, ringe ich aufwaͤrts, nicht aus eigener Kraft, ſondern
getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit
den Wurzeln meiner Zweige erfaße. — Weil ich barmherzig
den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne
Armuth und traͤgt mich aufwaͤrts mit den Barmherzigen,
die ſie ſelig ſpricht; auf daß ich aufſteige aus der Wuͤſte,
geſtuͤtzt auf den Geliebten uͤberfließend von Begluͤckungen.“ —
Solches und vieles andere ſtammelten die Blumen und Kraͤu¬
ter, womit die Geiſter der dankbaren Armen, denen Frau
Urhinkel alle Barmherzigkeit erwieſen hatte, ihren Sarg von
neuem ſchmuͤckten. — Als ſie den Sarg geſchmuͤckt hatten,
zogen ſie ſich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zuruͤck, er¬
hoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund.

Alles das ſahen Gockel, Hinkel, Gackeleia und Krono¬
vus ganz ſtill mit tiefer Ruͤhrung an und nun ſprach Gacke¬
leia: „das alſo iſt der ſchoͤne Blumenſarg unſrer Ahnfrau
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[196/0248] geres zu ſagen, als, ſie liebte uns.“ In der Hand hatte die liebe Todte einige Heilkraͤuter, einen Strauß von Schluͤſ¬ ſelblumen, Chamomillen, Meliſſen, weißen Neſ¬ ſeln, Lindenbluͤthe und Orangenblaͤttern. — Ein Monatroͤschen, das ſie lange gepflegt, bluͤhte in einem Koͤrbchen an ihrer Seite. — Die ganze ſprechende Blumen¬ decke des Sarges war von einer immergruͤnen Epheuranke uͤberſponnen, welche an dem Kreuze zu Haͤupten des Sar¬ ges hinanrankend ſagte: „immergruͤn iſt meine Treue, wer will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und laſſe ihn nicht. Wer iſt treuer als ich? ſelbſt von der Wurzel getrennt, laſſe ich nicht von dem, was ich umarmte, und gruͤne und lebe klammernd an meiner Stuͤtze. Mit ewigem Gruͤn umſchließet die Treue die Aſche der Todten und bin¬ det die Scherben der Urne; denn losgeriſſen wuͤrde ſie ſter¬ ben. Selbſt den gefallenen Stamm umgruͤne ich. Seit ich lebe, ringe ich aufwaͤrts, nicht aus eigener Kraft, ſondern getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit den Wurzeln meiner Zweige erfaße. — Weil ich barmherzig den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne Armuth und traͤgt mich aufwaͤrts mit den Barmherzigen, die ſie ſelig ſpricht; auf daß ich aufſteige aus der Wuͤſte, geſtuͤtzt auf den Geliebten uͤberfließend von Begluͤckungen.“ — Solches und vieles andere ſtammelten die Blumen und Kraͤu¬ ter, womit die Geiſter der dankbaren Armen, denen Frau Urhinkel alle Barmherzigkeit erwieſen hatte, ihren Sarg von neuem ſchmuͤckten. — Als ſie den Sarg geſchmuͤckt hatten, zogen ſie ſich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zuruͤck, er¬ hoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund. Alles das ſahen Gockel, Hinkel, Gackeleia und Krono¬ vus ganz ſtill mit tiefer Ruͤhrung an und nun ſprach Gacke¬ leia: „das alſo iſt der ſchoͤne Blumenſarg unſrer Ahnfrau von dem du mir ſo oft erzaͤhlt liebe Mutter, daß die Engel die Blumen dazu im Himmelsgarten gepfluͤckt?“ — da er¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/248>, abgerufen am 23.11.2024.