Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Herzliche Zueignung.
schlösser nicht auf die schimmernden Höhen unter den Gletschern, denn
die Lavinen werden sie verschütten, nicht auf die wandelbaren Herzen
der Menschen unter den Klätschern, denn die Launen werden sie ver¬
wüsten, nein, baue sie auf die geflügelten Schultern der Phantasie." --
So war mir nun von meiner Herrschaft in Vadutz nichts geblieben,
als die Reichskleinodien auf den Schultern der Fantasie, die mir wie
Links und Rechts, bald Friede und Freude gaben, als sey ich glück¬
lich wie Salomo, bald so viel Kummer und Hunger, daß ich den
Ugolino beneidete. -- Endlich aber degradirte sich die Phantasie selbst;
weil ich ihr den Abschied nicht geben wollte, riß sie sich die Epaulets
vor der Fronte der Philister selbst von den Schultern und warf sie
mir und so mit mich sich vor die Füße, nahm achselzuckend all das
Meine auf die leichte Achsel und kehrte mir den Rücken, ohne gute
Nacht, noch Abschied zu geben oder zu nehmen. -- Wer den Scha¬
den hat, darf für den Spott nicht sorgen. -- Da war es ganz um mein
Reich geschehen, und meine Trauer zappelte an Widerhacken. So ist die
Erfindung der Achselbänder von Vadutz entstanden. -- Als ich und meine
Betrübniß so herangewachsen, daß die Frau Rath uns nicht mehr Du,
sondern Er nannte, sagte sie einstens: "wenn ich Ihn ansehe, geht
mir es schier, wie jenem alten General, der sah einmal einen höchst
kummervollen Menschen in den Schloßhof hereinschleichen und als
dessen elendes Aussehen sein starkes Herz rührte, zeigte er einem Be¬
dienten den Armen und sprach; "prügle er mir den Menschen dort
vom Hofe hinweg, denn der Kerl erbarmt mich." -- Steht es denn
so gar schlecht mit seinen Ländereien, Er sieht ja drein, als sey der
Scepter von Juda gewichen und der Herrscher von seinen Lenden. --
Komme Er heute Abend mit mir, es soll Ihm das schönste Spektakel
gezeigt werden, das je in Vadutz aufs Tapet gekommen ist." -- Ich
gieng mit und ich sah etwas ganz Allerliebstes, nehmlich, ein kleiner
Harlekin kroch aus einem Ei und machte die zierlichsten Sprünge.
"Nicht wahr," sprach sie, "das thut seinen Effekt?" -- Ich
bejahte es, und schrieb nachher ein paar tausend ernsthafter Verse
über diese Begebenheit, die du auch kennst. -- "Nu," sagte sie,
"ist Ihm das nicht eine saubere Bescherung?" -- "Allerdings,"
erwiederte ich, "aber sie ist mir nicht beschert, mir gebührt
ein Steckenpferd, keine Puppe." -- Da sprach die Frau Rath: "er¬
stens ist es auch keine Puppe, sondern nur eine schöne Kunstfigur,
und wenn Er dann so gewiß meint, daß sie Ihm nicht gebühre, so

Herzliche Zueignung.
ſchloͤſſer nicht auf die ſchimmernden Hoͤhen unter den Gletſchern, denn
die Lavinen werden ſie verſchuͤtten, nicht auf die wandelbaren Herzen
der Menſchen unter den Klaͤtſchern, denn die Launen werden ſie ver¬
wuͤſten, nein, baue ſie auf die gefluͤgelten Schultern der Phantaſie.“ —
So war mir nun von meiner Herrſchaft in Vadutz nichts geblieben,
als die Reichskleinodien auf den Schultern der Fantaſie, die mir wie
Links und Rechts, bald Friede und Freude gaben, als ſey ich gluͤck¬
lich wie Salomo, bald ſo viel Kummer und Hunger, daß ich den
Ugolino beneidete. — Endlich aber degradirte ſich die Phantaſie ſelbſt;
weil ich ihr den Abſchied nicht geben wollte, riß ſie ſich die Epaulets
vor der Fronte der Philiſter ſelbſt von den Schultern und warf ſie
mir und ſo mit mich ſich vor die Fuͤße, nahm achſelzuckend all das
Meine auf die leichte Achſel und kehrte mir den Ruͤcken, ohne gute
Nacht, noch Abſchied zu geben oder zu nehmen. — Wer den Scha¬
den hat, darf fuͤr den Spott nicht ſorgen. — Da war es ganz um mein
Reich geſchehen, und meine Trauer zappelte an Widerhacken. So iſt die
Erfindung der Achſelbaͤnder von Vadutz entſtanden. — Als ich und meine
Betruͤbniß ſo herangewachſen, daß die Frau Rath uns nicht mehr Du,
ſondern Er nannte, ſagte ſie einſtens: „wenn ich Ihn anſehe, geht
mir es ſchier, wie jenem alten General, der ſah einmal einen hoͤchſt
kummervollen Menſchen in den Schloßhof hereinſchleichen und als
deſſen elendes Ausſehen ſein ſtarkes Herz ruͤhrte, zeigte er einem Be¬
dienten den Armen und ſprach; „pruͤgle er mir den Menſchen dort
vom Hofe hinweg, denn der Kerl erbarmt mich.“ — Steht es denn
ſo gar ſchlecht mit ſeinen Laͤndereien, Er ſieht ja drein, als ſey der
Scepter von Juda gewichen und der Herrſcher von ſeinen Lenden. —
Komme Er heute Abend mit mir, es ſoll Ihm das ſchoͤnſte Spektakel
gezeigt werden, das je in Vadutz aufs Tapet gekommen iſt.“ — Ich
gieng mit und ich ſah etwas ganz Allerliebſtes, nehmlich, ein kleiner
Harlekin kroch aus einem Ei und machte die zierlichſten Spruͤnge.
„Nicht wahr,“ ſprach ſie, „das thut ſeinen Effekt?“ — Ich
bejahte es, und ſchrieb nachher ein paar tauſend ernſthafter Verſe
uͤber dieſe Begebenheit, die du auch kennſt. — „Nu,“ ſagte ſie,
„iſt Ihm das nicht eine ſaubere Beſcherung?“ — „Allerdings,“
erwiederte ich, „aber ſie iſt mir nicht beſchert, mir gebuͤhrt
ein Steckenpferd, keine Puppe.“ — Da ſprach die Frau Rath: „er¬
ſtens iſt es auch keine Puppe, ſondern nur eine ſchoͤne Kunſtfigur,
und wenn Er dann ſo gewiß meint, daß ſie Ihm nicht gebuͤhre, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="XII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Herzliche Zueignung.</hi><lb/></fw>&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er nicht auf die &#x017F;chimmernden Ho&#x0364;hen unter den Glet&#x017F;chern, denn<lb/>
die Lavinen werden &#x017F;ie ver&#x017F;chu&#x0364;tten, nicht auf die wandelbaren Herzen<lb/>
der Men&#x017F;chen unter den Kla&#x0364;t&#x017F;chern, denn die Launen werden &#x017F;ie ver¬<lb/>
wu&#x0364;&#x017F;ten, nein, baue &#x017F;ie auf die geflu&#x0364;gelten Schultern der Phanta&#x017F;ie.&#x201C; &#x2014;<lb/>
So war mir nun von meiner Herr&#x017F;chaft in Vadutz nichts geblieben,<lb/>
als die Reichskleinodien auf den Schultern der Fanta&#x017F;ie, die mir wie<lb/>
Links und Rechts, bald Friede und Freude gaben, als &#x017F;ey ich glu&#x0364;ck¬<lb/>
lich wie Salomo, bald &#x017F;o viel Kummer und Hunger, daß ich den<lb/>
Ugolino beneidete. &#x2014; Endlich aber degradirte &#x017F;ich die Phanta&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t;<lb/>
weil ich ihr den Ab&#x017F;chied nicht geben wollte, riß &#x017F;ie &#x017F;ich die Epaulets<lb/>
vor der Fronte der Phili&#x017F;ter &#x017F;elb&#x017F;t von den Schultern und warf &#x017F;ie<lb/>
mir und &#x017F;o mit mich &#x017F;ich vor die Fu&#x0364;ße, nahm ach&#x017F;elzuckend all das<lb/>
Meine auf die leichte Ach&#x017F;el und kehrte mir den Ru&#x0364;cken, ohne gute<lb/>
Nacht, noch Ab&#x017F;chied zu geben oder zu nehmen. &#x2014; Wer den Scha¬<lb/>
den hat, darf fu&#x0364;r den Spott nicht &#x017F;orgen. &#x2014; Da war es ganz um mein<lb/>
Reich ge&#x017F;chehen, und meine Trauer zappelte an Widerhacken. So i&#x017F;t die<lb/>
Erfindung der Ach&#x017F;elba&#x0364;nder von Vadutz ent&#x017F;tanden. &#x2014; Als ich und meine<lb/>
Betru&#x0364;bniß &#x017F;o herangewach&#x017F;en, daß die Frau Rath uns nicht mehr Du,<lb/>
&#x017F;ondern Er nannte, &#x017F;agte &#x017F;ie ein&#x017F;tens: &#x201E;wenn ich Ihn an&#x017F;ehe, geht<lb/>
mir es &#x017F;chier, wie jenem alten General, der &#x017F;ah einmal einen ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
kummervollen Men&#x017F;chen in den Schloßhof herein&#x017F;chleichen und als<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en elendes Aus&#x017F;ehen &#x017F;ein &#x017F;tarkes Herz ru&#x0364;hrte, zeigte er einem Be¬<lb/>
dienten den Armen und &#x017F;prach; &#x201E;pru&#x0364;gle er mir den Men&#x017F;chen dort<lb/>
vom Hofe hinweg, denn der Kerl erbarmt mich.&#x201C; &#x2014; Steht es denn<lb/>
&#x017F;o gar &#x017F;chlecht mit &#x017F;einen La&#x0364;ndereien, Er &#x017F;ieht ja drein, als &#x017F;ey der<lb/>
Scepter von Juda gewichen und der Herr&#x017F;cher von &#x017F;einen Lenden. &#x2014;<lb/>
Komme Er heute Abend mit mir, es &#x017F;oll Ihm das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Spektakel<lb/>
gezeigt werden, das je in Vadutz aufs Tapet gekommen i&#x017F;t.&#x201C; &#x2014; Ich<lb/>
gieng mit und ich &#x017F;ah etwas ganz Allerlieb&#x017F;tes, nehmlich, ein kleiner<lb/>
Harlekin kroch aus einem Ei und machte die zierlich&#x017F;ten Spru&#x0364;nge.<lb/>
&#x201E;Nicht wahr,&#x201C; &#x017F;prach &#x017F;ie, &#x201E;das thut &#x017F;einen Effekt?&#x201C; &#x2014; Ich<lb/>
bejahte es, und &#x017F;chrieb nachher ein paar tau&#x017F;end ern&#x017F;thafter Ver&#x017F;e<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;e Begebenheit, die du auch kenn&#x017F;t. &#x2014; &#x201E;Nu,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie,<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t Ihm das nicht eine &#x017F;aubere Be&#x017F;cherung?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Allerdings,&#x201C;<lb/>
erwiederte ich, &#x201E;aber &#x017F;ie i&#x017F;t mir nicht be&#x017F;chert, mir gebu&#x0364;hrt<lb/>
ein Steckenpferd, keine Puppe.&#x201C; &#x2014; Da &#x017F;prach die Frau Rath: &#x201E;er¬<lb/>
&#x017F;tens i&#x017F;t es auch keine Puppe, &#x017F;ondern nur eine &#x017F;cho&#x0364;ne Kun&#x017F;tfigur,<lb/>
und wenn Er dann &#x017F;o gewiß meint, daß &#x017F;ie Ihm nicht gebu&#x0364;hre, &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XII/0020] Herzliche Zueignung. ſchloͤſſer nicht auf die ſchimmernden Hoͤhen unter den Gletſchern, denn die Lavinen werden ſie verſchuͤtten, nicht auf die wandelbaren Herzen der Menſchen unter den Klaͤtſchern, denn die Launen werden ſie ver¬ wuͤſten, nein, baue ſie auf die gefluͤgelten Schultern der Phantaſie.“ — So war mir nun von meiner Herrſchaft in Vadutz nichts geblieben, als die Reichskleinodien auf den Schultern der Fantaſie, die mir wie Links und Rechts, bald Friede und Freude gaben, als ſey ich gluͤck¬ lich wie Salomo, bald ſo viel Kummer und Hunger, daß ich den Ugolino beneidete. — Endlich aber degradirte ſich die Phantaſie ſelbſt; weil ich ihr den Abſchied nicht geben wollte, riß ſie ſich die Epaulets vor der Fronte der Philiſter ſelbſt von den Schultern und warf ſie mir und ſo mit mich ſich vor die Fuͤße, nahm achſelzuckend all das Meine auf die leichte Achſel und kehrte mir den Ruͤcken, ohne gute Nacht, noch Abſchied zu geben oder zu nehmen. — Wer den Scha¬ den hat, darf fuͤr den Spott nicht ſorgen. — Da war es ganz um mein Reich geſchehen, und meine Trauer zappelte an Widerhacken. So iſt die Erfindung der Achſelbaͤnder von Vadutz entſtanden. — Als ich und meine Betruͤbniß ſo herangewachſen, daß die Frau Rath uns nicht mehr Du, ſondern Er nannte, ſagte ſie einſtens: „wenn ich Ihn anſehe, geht mir es ſchier, wie jenem alten General, der ſah einmal einen hoͤchſt kummervollen Menſchen in den Schloßhof hereinſchleichen und als deſſen elendes Ausſehen ſein ſtarkes Herz ruͤhrte, zeigte er einem Be¬ dienten den Armen und ſprach; „pruͤgle er mir den Menſchen dort vom Hofe hinweg, denn der Kerl erbarmt mich.“ — Steht es denn ſo gar ſchlecht mit ſeinen Laͤndereien, Er ſieht ja drein, als ſey der Scepter von Juda gewichen und der Herrſcher von ſeinen Lenden. — Komme Er heute Abend mit mir, es ſoll Ihm das ſchoͤnſte Spektakel gezeigt werden, das je in Vadutz aufs Tapet gekommen iſt.“ — Ich gieng mit und ich ſah etwas ganz Allerliebſtes, nehmlich, ein kleiner Harlekin kroch aus einem Ei und machte die zierlichſten Spruͤnge. „Nicht wahr,“ ſprach ſie, „das thut ſeinen Effekt?“ — Ich bejahte es, und ſchrieb nachher ein paar tauſend ernſthafter Verſe uͤber dieſe Begebenheit, die du auch kennſt. — „Nu,“ ſagte ſie, „iſt Ihm das nicht eine ſaubere Beſcherung?“ — „Allerdings,“ erwiederte ich, „aber ſie iſt mir nicht beſchert, mir gebuͤhrt ein Steckenpferd, keine Puppe.“ — Da ſprach die Frau Rath: „er¬ ſtens iſt es auch keine Puppe, ſondern nur eine ſchoͤne Kunſtfigur, und wenn Er dann ſo gewiß meint, daß ſie Ihm nicht gebuͤhre, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/20
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/20>, abgerufen am 11.12.2024.