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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebäude
der etwas sehr unregelmäßigen Stadt wurden durch größere
und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei
andern Pflanzen umher verschönert. Auch bemerkte ich viele
Höhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorraths¬
kammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feld¬
mäuse bewohnt wurden.

Das Schönste aber von allem war Folgendes: herr¬
lich und kunstreich schaute von einer Höhe eine große gothi¬
sche Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf seine
Heerde herab; ihr Schiff bestand aus einem großen alten
Koffer, worüber ein zerrissener Flaschenkorb stand, die beiden
Thürme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeschädel, welche
das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den
meisten solchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn
das eine Gebiß war eine Treuse, das andre eine Stange.
Die Thurmspitzen selbst waren mit tausend kleinen Knochen¬
splittern verziert und verspitzt; um die Kirche her breitete sich
der Kirchhof aus, Grab an Grab schön geordnet, und mit¬
ten
darauf ein Beinhaus von lauter Mäusegerippen und
Beinchen, weiß wie Elfenbein, in schönster Ordnung zusam¬
mengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk,
das zu den sieben Wundern der Welt gezählt wird, es be¬
stand aus einem Trinkhumpen der gekrönt von einem Reu¬
terhelm in einer Trommel stand. Man nannte es das
Mausoleum, denn hier ist der erste König dieses Volkes
Namens Mausolus I. begraben, und seine Gattin Artemi¬
sia I. hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht ge¬
nug bewundern, und der Mond schien so hell in die kleine
wimmelnde Welt, daß es eine Lust war hinein zu schauen.

Während dem hatten die Mäuschen mein Bettchen und
neben mir eines für die Kunstfigur von dem weichsten Moose
zwischen Blumen fertig gemacht. Die meisten giengen ihrer
Wege, einige konnten aber gar nicht fertig werden, mir gute

Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebaͤude
der etwas ſehr unregelmaͤßigen Stadt wurden durch groͤßere
und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei
andern Pflanzen umher verſchoͤnert. Auch bemerkte ich viele
Hoͤhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorraths¬
kammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feld¬
maͤuſe bewohnt wurden.

Das Schoͤnſte aber von allem war Folgendes: herr¬
lich und kunſtreich ſchaute von einer Hoͤhe eine große gothi¬
ſche Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf ſeine
Heerde herab; ihr Schiff beſtand aus einem großen alten
Koffer, woruͤber ein zerriſſener Flaſchenkorb ſtand, die beiden
Thuͤrme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeſchaͤdel, welche
das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den
meiſten ſolchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn
das eine Gebiß war eine Treuſe, das andre eine Stange.
Die Thurmſpitzen ſelbſt waren mit tauſend kleinen Knochen¬
ſplittern verziert und verſpitzt; um die Kirche her breitete ſich
der Kirchhof aus, Grab an Grab ſchoͤn geordnet, und mit¬
ten
darauf ein Beinhaus von lauter Maͤuſegerippen und
Beinchen, weiß wie Elfenbein, in ſchoͤnſter Ordnung zuſam¬
mengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk,
das zu den ſieben Wundern der Welt gezaͤhlt wird, es be¬
ſtand aus einem Trinkhumpen der gekroͤnt von einem Reu¬
terhelm in einer Trommel ſtand. Man nannte es das
Mauſoleum, denn hier iſt der erſte Koͤnig dieſes Volkes
Namens Mauſolus I. begraben, und ſeine Gattin Artemi¬
ſia I. hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht ge¬
nug bewundern, und der Mond ſchien ſo hell in die kleine
wimmelnde Welt, daß es eine Luſt war hinein zu ſchauen.

Waͤhrend dem hatten die Maͤuschen mein Bettchen und
neben mir eines fuͤr die Kunſtfigur von dem weichſten Mooſe
zwiſchen Blumen fertig gemacht. Die meiſten giengen ihrer
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[151/0197] Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebaͤude der etwas ſehr unregelmaͤßigen Stadt wurden durch groͤßere und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei andern Pflanzen umher verſchoͤnert. Auch bemerkte ich viele Hoͤhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorraths¬ kammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feld¬ maͤuſe bewohnt wurden. Das Schoͤnſte aber von allem war Folgendes: herr¬ lich und kunſtreich ſchaute von einer Hoͤhe eine große gothi¬ ſche Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf ſeine Heerde herab; ihr Schiff beſtand aus einem großen alten Koffer, woruͤber ein zerriſſener Flaſchenkorb ſtand, die beiden Thuͤrme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeſchaͤdel, welche das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den meiſten ſolchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn das eine Gebiß war eine Treuſe, das andre eine Stange. Die Thurmſpitzen ſelbſt waren mit tauſend kleinen Knochen¬ ſplittern verziert und verſpitzt; um die Kirche her breitete ſich der Kirchhof aus, Grab an Grab ſchoͤn geordnet, und mit¬ ten darauf ein Beinhaus von lauter Maͤuſegerippen und Beinchen, weiß wie Elfenbein, in ſchoͤnſter Ordnung zuſam¬ mengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk, das zu den ſieben Wundern der Welt gezaͤhlt wird, es be¬ ſtand aus einem Trinkhumpen der gekroͤnt von einem Reu¬ terhelm in einer Trommel ſtand. Man nannte es das Mauſoleum, denn hier iſt der erſte Koͤnig dieſes Volkes Namens Mauſolus I. begraben, und ſeine Gattin Artemi¬ ſia I. hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht ge¬ nug bewundern, und der Mond ſchien ſo hell in die kleine wimmelnde Welt, daß es eine Luſt war hinein zu ſchauen. Waͤhrend dem hatten die Maͤuschen mein Bettchen und neben mir eines fuͤr die Kunſtfigur von dem weichſten Mooſe zwiſchen Blumen fertig gemacht. Die meiſten giengen ihrer Wege, einige konnten aber gar nicht fertig werden, mir gute

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/197>, abgerufen am 22.11.2024.