bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunstreise zu verbinden und uns mit den schönsten Mausoleen in Kirchen und auf Kirchhöfen bekannt zu machen. Prinz Spe¬ ckelfleck meinte, wir müßten incognito wie gemeine Mäuse nur in geringen Häusern einkehren; -- ich folgte, aber nie thue ichs wieder, denn was man da erwischen kann, ist nichts werth, und am Ende wird man noch selbst erwischt. -- So waren wir in Friedberg neben drei alten schmutzigen Män¬ nern mit langen Bärten im Stroh eingekehrt. Pfiffi schlupfte zur Thüre hinaus, mir etwas zu essen zu suchen, und ich war so unbesonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner Nähe nach zu gehen, ach schon nagte ich ein bischen -- klapp that es einen Schlag, die Falle schloß sich zu, und ich war gefangen. Meine Verzweiflung kannst du dir denken. -- Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh erweckt; sie liefen mit der Falle ans Fenster, der Tag brach schon an. "Da haben wir, was wir brauchen", sagte der eine, "eine schöne, große weiße Maus hat sich gefangen; die befestige ich mit einem Drathgürtel unter die Kunstfigur, die wir in Nürnberg gekauft haben; das Räderwerk ist zu schwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die Maus als Vorspann dienen, damit sie von der Stelle kömmt. Geschwind zünde ein Licht an, sagte er zu dem Andern, ich will mich gleich an die Arbeit machen." Da schlug der An¬ dere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath an die kleine Puppe befestigt, die er aus seinem Schnapp¬ sack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und setzte sie an den Boden, und ich lief von dem Saum des seidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angst umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen Ecken anstieß, ergriff er mich mit der Puppe und sagte mit einem widerlichen Zorn zu mir: "ich muß andre Saiten mit dir aufspannen, höre Madame weiße Maus, wenn du mir so toll herum rennst, lasse ich dich hungern, daß du schwarz
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bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunſtreiſe zu verbinden und uns mit den ſchoͤnſten Mauſoleen in Kirchen und auf Kirchhoͤfen bekannt zu machen. Prinz Spe¬ ckelfleck meinte, wir muͤßten incognito wie gemeine Maͤuſe nur in geringen Haͤuſern einkehren; — ich folgte, aber nie thue ichs wieder, denn was man da erwiſchen kann, iſt nichts werth, und am Ende wird man noch ſelbſt erwiſcht. — So waren wir in Friedberg neben drei alten ſchmutzigen Maͤn¬ nern mit langen Baͤrten im Stroh eingekehrt. Pfiffi ſchlupfte zur Thuͤre hinaus, mir etwas zu eſſen zu ſuchen, und ich war ſo unbeſonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner Naͤhe nach zu gehen, ach ſchon nagte ich ein bischen — klapp that es einen Schlag, die Falle ſchloß ſich zu, und ich war gefangen. Meine Verzweiflung kannſt du dir denken. — Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh erweckt; ſie liefen mit der Falle ans Fenſter, der Tag brach ſchon an. „Da haben wir, was wir brauchen“, ſagte der eine, „eine ſchoͤne, große weiße Maus hat ſich gefangen; die befeſtige ich mit einem Drathguͤrtel unter die Kunſtfigur, die wir in Nuͤrnberg gekauft haben; das Raͤderwerk iſt zu ſchwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die Maus als Vorſpann dienen, damit ſie von der Stelle koͤmmt. Geſchwind zuͤnde ein Licht an, ſagte er zu dem Andern, ich will mich gleich an die Arbeit machen.“ Da ſchlug der An¬ dere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath an die kleine Puppe befeſtigt, die er aus ſeinem Schnapp¬ ſack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und ſetzte ſie an den Boden, und ich lief von dem Saum des ſeidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angſt umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen Ecken anſtieß, ergriff er mich mit der Puppe und ſagte mit einem widerlichen Zorn zu mir: „ich muß andre Saiten mit dir aufſpannen, hoͤre Madame weiße Maus, wenn du mir ſo toll herum rennſt, laſſe ich dich hungern, daß du ſchwarz
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bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunſtreiſe
zu verbinden und uns mit den ſchoͤnſten Mauſoleen in
Kirchen und auf Kirchhoͤfen bekannt zu machen. Prinz Spe¬
ckelfleck meinte, wir muͤßten incognito wie gemeine Maͤuſe
nur in geringen Haͤuſern einkehren; — ich folgte, aber nie
thue ichs wieder, denn was man da erwiſchen kann, iſt nichts
werth, und am Ende wird man noch ſelbſt erwiſcht. — So
waren wir in Friedberg neben drei alten ſchmutzigen Maͤn¬
nern mit langen Baͤrten im Stroh eingekehrt. Pfiffi ſchlupfte
zur Thuͤre hinaus, mir etwas zu eſſen zu ſuchen, und ich war
ſo unbeſonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner
Naͤhe nach zu gehen, ach ſchon nagte ich ein bischen — klapp
that es einen Schlag, die Falle ſchloß ſich zu, und ich war
gefangen. Meine Verzweiflung kannſt du dir denken. —
Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh
erweckt; ſie liefen mit der Falle ans Fenſter, der Tag
brach ſchon an. „Da haben wir, was wir brauchen“, ſagte
der eine, „eine ſchoͤne, große weiße Maus hat ſich gefangen;
die befeſtige ich mit einem Drathguͤrtel unter die Kunſtfigur,
die wir in Nuͤrnberg gekauft haben; das Raͤderwerk iſt zu
ſchwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die
Maus als Vorſpann dienen, damit ſie von der Stelle koͤmmt.
Geſchwind zuͤnde ein Licht an, ſagte er zu dem Andern, ich
will mich gleich an die Arbeit machen.“ Da ſchlug der An¬
dere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath
an die kleine Puppe befeſtigt, die er aus ſeinem Schnapp¬
ſack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und
ſetzte ſie an den Boden, und ich lief von dem Saum des
ſeidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angſt
umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen
Ecken anſtieß, ergriff er mich mit der Puppe und ſagte mit
einem widerlichen Zorn zu mir: „ich muß andre Saiten mit
dir aufſpannen, hoͤre Madame weiße Maus, wenn du mir
ſo toll herum rennſt, laſſe ich dich hungern, daß du ſchwarz
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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