chen los, womit mich der böse Alte unter die verschraubte Kunstfigur festgeschnürt hat, ich habe solches Leibschneiden, ich hab' mich überlaufen, ich hab' mich übergessen, es ist mir zum Sterben, geschwind, geschwind hilf dem Mäuschen von Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunstfigur, ich bin die unglückliche Mäuse-Prinzessin Sissi von Mandelbiß, der dein Vater einmal das Leben gerettet hat." Da sah ich gleich nach und fand wirklich das schönste weiße Mäuschen von Natur mit einem Drath zwischen kleine Räder befestigt, die an den Füßchen der Puppe angebracht waren, ich machte die arme Prinzessin los, die mir freudig dankte und sagte: "schlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte Gras laufen, um mich zu waschen und zu erfrischen, gleich komme ich wieder zu dir" -- und husch war sie fort."
So weit hatte Gackeleia erzählt, da sah Gockel nach den beiden Mäusen, die sich in ein Stück Kuchen eingefres¬ sen hatten und ruhig darin schliefen, und sprach: "Es ist doch eine kuriose Theater-Prinzessin, die Sissi von Mandel¬ biß; wo die überall herum kömmt, die kann auch mehr als Brod essen! Aber erzähle weiter, wie ist sie nur mit der Kunstfigur zusammengekommen?"
Da fuhr Gackeleia fort: "Als Sissi wieder kam, schlupfte sie mir dicht ans Ohr, versteckte sich warm in meine Haarlo¬ cken und erzählte mir alles ganz ausführlich, und ich war so neugierig, daß ich sie nie unterbrach. Sie sagte: "dein Vater Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Spe¬ ckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder nach Haus befördert; der Mord der Gallina durch dieselbe Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alek¬ tryos ward uns durch Musterreiter unsers Volkes erzählet, wir wollten Gallina und Alektryo ein Mausoleum auf dem Mauskirchhof setzen lassen, und da ich mit Prinz Speckelfleck wegen unserer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm
chen los, womit mich der boͤſe Alte unter die verſchraubte Kunſtfigur feſtgeſchnuͤrt hat, ich habe ſolches Leibſchneiden, ich hab' mich uͤberlaufen, ich hab' mich uͤbergeſſen, es iſt mir zum Sterben, geſchwind, geſchwind hilf dem Maͤuschen von Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunſtfigur, ich bin die ungluͤckliche Maͤuſe-Prinzeſſin Siſſi von Mandelbiß, der dein Vater einmal das Leben gerettet hat.“ Da ſah ich gleich nach und fand wirklich das ſchoͤnſte weiße Maͤuschen von Natur mit einem Drath zwiſchen kleine Raͤder befeſtigt, die an den Fuͤßchen der Puppe angebracht waren, ich machte die arme Prinzeſſin los, die mir freudig dankte und ſagte: „ſchlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte Gras laufen, um mich zu waſchen und zu erfriſchen, gleich komme ich wieder zu dir“ — und huſch war ſie fort.“
So weit hatte Gackeleia erzaͤhlt, da ſah Gockel nach den beiden Maͤuſen, die ſich in ein Stuͤck Kuchen eingefreſ¬ ſen hatten und ruhig darin ſchliefen, und ſprach: „Es iſt doch eine kurioſe Theater-Prinzeſſin, die Siſſi von Mandel¬ biß; wo die uͤberall herum koͤmmt, die kann auch mehr als Brod eſſen! Aber erzaͤhle weiter, wie iſt ſie nur mit der Kunſtfigur zuſammengekommen?“
Da fuhr Gackeleia fort: „Als Siſſi wieder kam, ſchlupfte ſie mir dicht ans Ohr, verſteckte ſich warm in meine Haarlo¬ cken und erzaͤhlte mir alles ganz ausfuͤhrlich, und ich war ſo neugierig, daß ich ſie nie unterbrach. Sie ſagte: „dein Vater Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Spe¬ ckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder nach Haus befoͤrdert; der Mord der Gallina durch dieſelbe Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alek¬ tryos ward uns durch Muſterreiter unſers Volkes erzaͤhlet, wir wollten Gallina und Alektryo ein Mauſoleum auf dem Mauskirchhof ſetzen laſſen, und da ich mit Prinz Speckelfleck wegen unſerer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0192"n="146"/>
chen los, womit mich der boͤſe Alte unter die verſchraubte<lb/>
Kunſtfigur feſtgeſchnuͤrt hat, ich habe ſolches Leibſchneiden,<lb/>
ich hab' mich uͤberlaufen, ich hab' mich uͤbergeſſen, es iſt mir<lb/>
zum Sterben, geſchwind, geſchwind hilf dem Maͤuschen von<lb/>
Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunſtfigur, ich bin<lb/>
die ungluͤckliche Maͤuſe-Prinzeſſin Siſſi von Mandelbiß, der<lb/>
dein Vater einmal das Leben gerettet hat.“ Da ſah ich<lb/>
gleich nach und fand wirklich das ſchoͤnſte weiße Maͤuschen<lb/>
von Natur mit einem Drath zwiſchen kleine Raͤder befeſtigt,<lb/>
die an den Fuͤßchen der Puppe angebracht waren, ich machte<lb/>
die arme Prinzeſſin los, die mir freudig dankte und ſagte:<lb/>„ſchlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß<lb/>
mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte<lb/>
Gras laufen, um mich zu waſchen und zu erfriſchen, gleich<lb/>
komme ich wieder zu dir“— und huſch war ſie fort.“</p><lb/><p>So weit hatte Gackeleia erzaͤhlt, da ſah Gockel nach<lb/>
den beiden Maͤuſen, die ſich in ein Stuͤck Kuchen eingefreſ¬<lb/>ſen hatten und ruhig darin ſchliefen, und ſprach: „Es iſt<lb/>
doch eine kurioſe Theater-Prinzeſſin, die Siſſi von Mandel¬<lb/>
biß; wo die uͤberall herum koͤmmt, die kann auch mehr als<lb/>
Brod eſſen! Aber erzaͤhle weiter, wie iſt ſie nur mit der<lb/>
Kunſtfigur zuſammengekommen?“</p><lb/><p>Da fuhr Gackeleia fort: „Als Siſſi wieder kam, ſchlupfte<lb/>ſie mir dicht ans Ohr, verſteckte ſich warm in meine Haarlo¬<lb/>
cken und erzaͤhlte mir alles ganz ausfuͤhrlich, und ich war ſo<lb/>
neugierig, daß ich ſie nie unterbrach. Sie ſagte: „dein Vater<lb/>
Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Spe¬<lb/>
ckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder<lb/>
nach Haus befoͤrdert; der Mord der Gallina durch dieſelbe<lb/>
Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alek¬<lb/>
tryos ward uns durch Muſterreiter unſers Volkes erzaͤhlet,<lb/>
wir wollten Gallina und Alektryo ein Mauſoleum auf dem<lb/>
Mauskirchhof ſetzen laſſen, und da ich mit Prinz Speckelfleck<lb/>
wegen unſerer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm<lb/></p></div></body></text></TEI>
[146/0192]
chen los, womit mich der boͤſe Alte unter die verſchraubte
Kunſtfigur feſtgeſchnuͤrt hat, ich habe ſolches Leibſchneiden,
ich hab' mich uͤberlaufen, ich hab' mich uͤbergeſſen, es iſt mir
zum Sterben, geſchwind, geſchwind hilf dem Maͤuschen von
Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunſtfigur, ich bin
die ungluͤckliche Maͤuſe-Prinzeſſin Siſſi von Mandelbiß, der
dein Vater einmal das Leben gerettet hat.“ Da ſah ich
gleich nach und fand wirklich das ſchoͤnſte weiße Maͤuschen
von Natur mit einem Drath zwiſchen kleine Raͤder befeſtigt,
die an den Fuͤßchen der Puppe angebracht waren, ich machte
die arme Prinzeſſin los, die mir freudig dankte und ſagte:
„ſchlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß
mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte
Gras laufen, um mich zu waſchen und zu erfriſchen, gleich
komme ich wieder zu dir“ — und huſch war ſie fort.“
So weit hatte Gackeleia erzaͤhlt, da ſah Gockel nach
den beiden Maͤuſen, die ſich in ein Stuͤck Kuchen eingefreſ¬
ſen hatten und ruhig darin ſchliefen, und ſprach: „Es iſt
doch eine kurioſe Theater-Prinzeſſin, die Siſſi von Mandel¬
biß; wo die uͤberall herum koͤmmt, die kann auch mehr als
Brod eſſen! Aber erzaͤhle weiter, wie iſt ſie nur mit der
Kunſtfigur zuſammengekommen?“
Da fuhr Gackeleia fort: „Als Siſſi wieder kam, ſchlupfte
ſie mir dicht ans Ohr, verſteckte ſich warm in meine Haarlo¬
cken und erzaͤhlte mir alles ganz ausfuͤhrlich, und ich war ſo
neugierig, daß ich ſie nie unterbrach. Sie ſagte: „dein Vater
Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Spe¬
ckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder
nach Haus befoͤrdert; der Mord der Gallina durch dieſelbe
Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alek¬
tryos ward uns durch Muſterreiter unſers Volkes erzaͤhlet,
wir wollten Gallina und Alektryo ein Mauſoleum auf dem
Mauskirchhof ſetzen laſſen, und da ich mit Prinz Speckelfleck
wegen unſerer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/192>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.