Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

das Sandmännchen kam und wollte mir Sand hinein streuen,
und das wäre nicht gut gewesen, aber ich raffte mich noch
einmahl auf und wusch mich ein bischen am Bach, weil ich
so viel Staub und Schmutz im Gesicht und an Händen und
Füßen hatte, denn ich habe nie vergessen, was die Mutter
mich gelehrt, man soll nie ungewaschen und ungebetet zu
Tische gehen, aufstehen und schlafen gehen. -- Ich setzte
mich also ins weiche Moos, und war so müd, so müd und
wußte nicht, sollte ich mich rechts, sollte ich mich links legen,
und sagte alle meine Kindergebetchen durch einander her:

"Guten Abend, gute Nacht,
Von Sternen bedacht,
Vom Mond angelacht,
Von Engeln bewacht,
Von Blumen umbaut,
Von Rosen beschaut,
Von Lilien bethaut,
Den Veilchen vertraut;
Schlupf' unter die Deck'
Dich reck' und dich streck',
Schlaf fromm und schlaf' still,
Wenns Herrgottchen will,
Früh Morgen ohn' Sorgen
Das Schwälbchen dich weck'!"

Unter diesen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite,
zuckte noch einige Male und schlief ein.

Da träumte mir, ich sehe Clandestinchen die schöne
Kunstfigur aus der Höhle kommen, sie verzehrte das Zucker¬
brod, sie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu
meinem Bettchen und sagte: "Herzkind, Gackeleia, schlaf
nur süß fort, denn nur im Schlaf kannst du mich verstehen;
sag, süß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen?
o nimm dein Püppchen in den Arm an dein lieb Herzchen,
meine Füßchen sind ganz wund vom vielen Laufen, auch ist
mir gar nicht wohl, ich muß mich verkältet haben, ach

das Sandmaͤnnchen kam und wollte mir Sand hinein ſtreuen,
und das waͤre nicht gut geweſen, aber ich raffte mich noch
einmahl auf und wuſch mich ein bischen am Bach, weil ich
ſo viel Staub und Schmutz im Geſicht und an Haͤnden und
Fuͤßen hatte, denn ich habe nie vergeſſen, was die Mutter
mich gelehrt, man ſoll nie ungewaſchen und ungebetet zu
Tiſche gehen, aufſtehen und ſchlafen gehen. — Ich ſetzte
mich alſo ins weiche Moos, und war ſo muͤd, ſo muͤd und
wußte nicht, ſollte ich mich rechts, ſollte ich mich links legen,
und ſagte alle meine Kindergebetchen durch einander her:

„Guten Abend, gute Nacht,
Von Sternen bedacht,
Vom Mond angelacht,
Von Engeln bewacht,
Von Blumen umbaut,
Von Roſen beſchaut,
Von Lilien bethaut,
Den Veilchen vertraut;
Schlupf' unter die Deck'
Dich reck' und dich ſtreck',
Schlaf fromm und ſchlaf' ſtill,
Wenns Herrgottchen will,
Fruͤh Morgen ohn' Sorgen
Das Schwaͤlbchen dich weck'!“

Unter dieſen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite,
zuckte noch einige Male und ſchlief ein.

Da traͤumte mir, ich ſehe Clandeſtinchen die ſchoͤne
Kunſtfigur aus der Hoͤhle kommen, ſie verzehrte das Zucker¬
brod, ſie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu
meinem Bettchen und ſagte: „Herzkind, Gackeleia, ſchlaf
nur ſuͤß fort, denn nur im Schlaf kannſt du mich verſtehen;
ſag, ſuͤß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen?
o nimm dein Puͤppchen in den Arm an dein lieb Herzchen,
meine Fuͤßchen ſind ganz wund vom vielen Laufen, auch iſt
mir gar nicht wohl, ich muß mich verkaͤltet haben, ach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="144"/>
das Sandma&#x0364;nnchen kam und wollte mir Sand hinein &#x017F;treuen,<lb/>
und das wa&#x0364;re nicht gut gewe&#x017F;en, aber ich raffte mich noch<lb/>
einmahl auf und wu&#x017F;ch mich ein bischen am Bach, weil ich<lb/>
&#x017F;o viel Staub und Schmutz im Ge&#x017F;icht und an Ha&#x0364;nden und<lb/>
Fu&#x0364;ßen hatte, denn ich habe nie verge&#x017F;&#x017F;en, was die Mutter<lb/>
mich gelehrt, man &#x017F;oll nie ungewa&#x017F;chen und ungebetet zu<lb/>
Ti&#x017F;che gehen, auf&#x017F;tehen und &#x017F;chlafen gehen. &#x2014; Ich &#x017F;etzte<lb/>
mich al&#x017F;o ins weiche Moos, und war &#x017F;o mu&#x0364;d, &#x017F;o mu&#x0364;d und<lb/>
wußte nicht, &#x017F;ollte ich mich rechts, &#x017F;ollte ich mich links legen,<lb/>
und &#x017F;agte alle meine Kindergebetchen durch einander her:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Guten Abend, gute Nacht,</l><lb/>
          <l>Von Sternen bedacht,</l><lb/>
          <l>Vom Mond angelacht,</l><lb/>
          <l>Von Engeln bewacht,</l><lb/>
          <l>Von Blumen umbaut,</l><lb/>
          <l>Von Ro&#x017F;en be&#x017F;chaut,</l><lb/>
          <l>Von Lilien bethaut,</l><lb/>
          <l>Den Veilchen vertraut;</l><lb/>
          <l>Schlupf' unter die Deck'</l><lb/>
          <l>Dich reck' und dich &#x017F;treck',</l><lb/>
          <l>Schlaf fromm und &#x017F;chlaf' &#x017F;till,</l><lb/>
          <l>Wenns Herrgottchen will,</l><lb/>
          <l>Fru&#x0364;h Morgen ohn' Sorgen</l><lb/>
          <l>Das Schwa&#x0364;lbchen dich weck'!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Unter die&#x017F;en Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite,<lb/>
zuckte noch einige Male und &#x017F;chlief ein.</p><lb/>
        <p>Da tra&#x0364;umte mir, ich &#x017F;ehe Clande&#x017F;tinchen die &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Kun&#x017F;tfigur aus der Ho&#x0364;hle kommen, &#x017F;ie verzehrte das Zucker¬<lb/>
brod, &#x017F;ie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu<lb/>
meinem Bettchen und &#x017F;agte: &#x201E;Herzkind, Gackeleia, &#x017F;chlaf<lb/>
nur &#x017F;u&#x0364;ß fort, denn nur im Schlaf kann&#x017F;t du mich ver&#x017F;tehen;<lb/>
&#x017F;ag, &#x017F;u&#x0364;ß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen?<lb/>
o nimm dein Pu&#x0364;ppchen in den Arm an dein lieb Herzchen,<lb/>
meine Fu&#x0364;ßchen &#x017F;ind ganz wund vom vielen Laufen, auch i&#x017F;t<lb/>
mir gar nicht wohl, ich muß mich verka&#x0364;ltet haben, ach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0190] das Sandmaͤnnchen kam und wollte mir Sand hinein ſtreuen, und das waͤre nicht gut geweſen, aber ich raffte mich noch einmahl auf und wuſch mich ein bischen am Bach, weil ich ſo viel Staub und Schmutz im Geſicht und an Haͤnden und Fuͤßen hatte, denn ich habe nie vergeſſen, was die Mutter mich gelehrt, man ſoll nie ungewaſchen und ungebetet zu Tiſche gehen, aufſtehen und ſchlafen gehen. — Ich ſetzte mich alſo ins weiche Moos, und war ſo muͤd, ſo muͤd und wußte nicht, ſollte ich mich rechts, ſollte ich mich links legen, und ſagte alle meine Kindergebetchen durch einander her: „Guten Abend, gute Nacht, Von Sternen bedacht, Vom Mond angelacht, Von Engeln bewacht, Von Blumen umbaut, Von Roſen beſchaut, Von Lilien bethaut, Den Veilchen vertraut; Schlupf' unter die Deck' Dich reck' und dich ſtreck', Schlaf fromm und ſchlaf' ſtill, Wenns Herrgottchen will, Fruͤh Morgen ohn' Sorgen Das Schwaͤlbchen dich weck'!“ Unter dieſen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite, zuckte noch einige Male und ſchlief ein. Da traͤumte mir, ich ſehe Clandeſtinchen die ſchoͤne Kunſtfigur aus der Hoͤhle kommen, ſie verzehrte das Zucker¬ brod, ſie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu meinem Bettchen und ſagte: „Herzkind, Gackeleia, ſchlaf nur ſuͤß fort, denn nur im Schlaf kannſt du mich verſtehen; ſag, ſuͤß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen? o nimm dein Puͤppchen in den Arm an dein lieb Herzchen, meine Fuͤßchen ſind ganz wund vom vielen Laufen, auch iſt mir gar nicht wohl, ich muß mich verkaͤltet haben, ach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/190
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/190>, abgerufen am 23.11.2024.