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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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"Der alte Schelm", rief da Frau Hinkel aus und riß nun
auch ein starkes Birkenreis ab, "der alte Schelm ist schuld,
daß ich auch wieder eine so häßliche lange Nase habe."
Und Gockel sagte: "Schau, Frau Hinkel, jetzt merkst du auch,
was wir ihm zu danken haben, du die Nase und ich den
Bart. O unglückselige Kunstfigur, was sind wir für ab¬
scheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzähle weiter
Gackeleia, was wollte er für die Puppe"? Da erwiederte
Gackeleia mit großer Angst:

"Für die schöne Kunstfigur
Wollt' in deinen Ring er nur
Einmal ein klein bischen blicken,
Seinen Kummer zu erquicken."

"O du abgefeimter Gaudieb", rief Gockel aus, "o du un¬
seliges, leichtsinniges, spielsüchtiges Kind! -- und da zogst du
mir den Ring im Schlafe ab, und gabst dem Schelmen den
Ring, sprich, sprich, hast du das gethan? sprich gleich, oder
ich werfe dich auf der Stelle vom Felsen hinab." Da rief
Gackeleia wieder in großer Angst:

"Vater Gockel ach verzeih',
Mutter Hinkel steh' mir bei;
Ja als Vater Gockel schlief,
Mit dem Ring ich zu ihm lief,
Doch er sah nicht lang hinein,
Gab zurück den Edelstein,
Den ich schnell zurückgebracht,
Eh' der Vater aufgewacht.
Ach ich will's nicht wieder thun,
Einmal ist das Unglück nun
Durch mich böses Kind geschehn.
Werdet ihr die Puppe sehn --
Nein nicht Puppe, es ist nur
Eine schöne Kunstfigur,
Ganz natürlich nach dem Leben --
Ach ihr müßt mir dann vergeben."

„Der alte Schelm“, rief da Frau Hinkel aus und riß nun
auch ein ſtarkes Birkenreis ab, „der alte Schelm iſt ſchuld,
daß ich auch wieder eine ſo haͤßliche lange Naſe habe.“
Und Gockel ſagte: „Schau, Frau Hinkel, jetzt merkſt du auch,
was wir ihm zu danken haben, du die Naſe und ich den
Bart. O ungluͤckſelige Kunſtfigur, was ſind wir fuͤr ab¬
ſcheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzaͤhle weiter
Gackeleia, was wollte er fuͤr die Puppe“? Da erwiederte
Gackeleia mit großer Angſt:

„Fuͤr die ſchoͤne Kunſtfigur
Wollt' in deinen Ring er nur
Einmal ein klein bischen blicken,
Seinen Kummer zu erquicken.“

„O du abgefeimter Gaudieb“, rief Gockel aus, „o du un¬
ſeliges, leichtſinniges, ſpielſuͤchtiges Kind! — und da zogſt du
mir den Ring im Schlafe ab, und gabſt dem Schelmen den
Ring, ſprich, ſprich, haſt du das gethan? ſprich gleich, oder
ich werfe dich auf der Stelle vom Felſen hinab.“ Da rief
Gackeleia wieder in großer Angſt:

„Vater Gockel ach verzeih',
Mutter Hinkel ſteh' mir bei;
Ja als Vater Gockel ſchlief,
Mit dem Ring ich zu ihm lief,
Doch er ſah nicht lang hinein,
Gab zuruͤck den Edelſtein,
Den ich ſchnell zuruͤckgebracht,
Eh' der Vater aufgewacht.
Ach ich will's nicht wieder thun,
Einmal iſt das Ungluͤck nun
Durch mich boͤſes Kind geſchehn.
Werdet ihr die Puppe ſehn —
Nein nicht Puppe, es iſt nur
Eine ſchoͤne Kunſtfigur,
Ganz natuͤrlich nach dem Leben —
Ach ihr muͤßt mir dann vergeben.“
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[132/0174] „Der alte Schelm“, rief da Frau Hinkel aus und riß nun auch ein ſtarkes Birkenreis ab, „der alte Schelm iſt ſchuld, daß ich auch wieder eine ſo haͤßliche lange Naſe habe.“ Und Gockel ſagte: „Schau, Frau Hinkel, jetzt merkſt du auch, was wir ihm zu danken haben, du die Naſe und ich den Bart. O ungluͤckſelige Kunſtfigur, was ſind wir fuͤr ab¬ ſcheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzaͤhle weiter Gackeleia, was wollte er fuͤr die Puppe“? Da erwiederte Gackeleia mit großer Angſt: „Fuͤr die ſchoͤne Kunſtfigur Wollt' in deinen Ring er nur Einmal ein klein bischen blicken, Seinen Kummer zu erquicken.“ „O du abgefeimter Gaudieb“, rief Gockel aus, „o du un¬ ſeliges, leichtſinniges, ſpielſuͤchtiges Kind! — und da zogſt du mir den Ring im Schlafe ab, und gabſt dem Schelmen den Ring, ſprich, ſprich, haſt du das gethan? ſprich gleich, oder ich werfe dich auf der Stelle vom Felſen hinab.“ Da rief Gackeleia wieder in großer Angſt: „Vater Gockel ach verzeih', Mutter Hinkel ſteh' mir bei; Ja als Vater Gockel ſchlief, Mit dem Ring ich zu ihm lief, Doch er ſah nicht lang hinein, Gab zuruͤck den Edelſtein, Den ich ſchnell zuruͤckgebracht, Eh' der Vater aufgewacht. Ach ich will's nicht wieder thun, Einmal iſt das Ungluͤck nun Durch mich boͤſes Kind geſchehn. Werdet ihr die Puppe ſehn — Nein nicht Puppe, es iſt nur Eine ſchoͤne Kunſtfigur, Ganz natuͤrlich nach dem Leben — Ach ihr muͤßt mir dann vergeben.“

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/174>, abgerufen am 23.11.2024.