Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Dann wendete sich Gackeleia gegen die Puppe und er¬ "Hör' -- nicht Puppe, sondern nur Allerschönste Kunstfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und du Mäuschen von Natur! Hör', was sittlich und dezent Nach dem Tischzuchtreglement, Alles, Alles sag ich dir. Meine Meist'rin sprach zu mir: "Alle Prinzen und Prinzessen, Alle Grafen und Comtessen, Alle Junker, alle Fräulchen Wischen sich so Mund als Mäulchen, Dupse-Däumchen, Fingerlein An der Serviette rein. O Comtesse, nie vergesse, Wie ein Kind von deinem Adel Mit Delikatesse esse -- Gackeleia ohne Tadel! Schluck' nicht große Brocken ein, Spuck' hübsch aus die Pflaumenstein'; Alles esse mit Manier, Ohne Trägheit, ohne Gier, Doch mit angeborner Zier; Prüfe, ordne jeden Bissen Recht mit zartestem Gewissen, Ja mit feinem Skrupel schier. Schiebe mit der Gabelspitze Zierlich Alles, was nichts nütze, Nicht an Reinheit ebenbürtig, Nicht an Feinheit speisewürdig, Daß du's über's Herzchen bringst Und in's Mägelchen verschlingst, Zähe Adern, harte Flechsen, Harte Fasern von Gewächsen, Dann wendete ſich Gackeleia gegen die Puppe und er¬ „Hoͤr' — nicht Puppe, ſondern nur Allerſchoͤnſte Kunſtfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und du Maͤuschen von Natur! Hoͤr', was ſittlich und dezent Nach dem Tiſchzuchtreglement, Alles, Alles ſag ich dir. Meine Meiſt'rin ſprach zu mir: „Alle Prinzen und Prinzeſſen, Alle Grafen und Comteſſen, Alle Junker, alle Fraͤulchen Wiſchen ſich ſo Mund als Maͤulchen, Dupſe-Daͤumchen, Fingerlein An der Serviette rein. O Comteſſe, nie vergeſſe, Wie ein Kind von deinem Adel Mit Delikateſſe eſſe — Gackeleia ohne Tadel! Schluck' nicht große Brocken ein, Spuck' huͤbſch aus die Pflaumenſtein'; Alles eſſe mit Manier, Ohne Traͤgheit, ohne Gier, Doch mit angeborner Zier; Pruͤfe, ordne jeden Biſſen Recht mit zarteſtem Gewiſſen, Ja mit feinem Skrupel ſchier. Schiebe mit der Gabelſpitze Zierlich Alles, was nichts nuͤtze, Nicht an Reinheit ebenbuͤrtig, Nicht an Feinheit ſpeiſewuͤrdig, Daß du's uͤber's Herzchen bringſt Und in's Maͤgelchen verſchlingſt, Zaͤhe Adern, harte Flechſen, Harte Faſern von Gewaͤchſen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0150" n="112"/> <p>Dann wendete ſich Gackeleia gegen die Puppe und er¬<lb/> zaͤhlte ihr, was ihr vom anſtaͤndigen Betragen bei Tiſch ge¬<lb/> lehrt worden war:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Hoͤr' — nicht Puppe, ſondern nur</l><lb/> <l>Allerſchoͤnſte Kunſtfigur</l><lb/> <l>Nach der Uhr und nach der Schnur</l><lb/> <l>Und du Maͤuschen von Natur!</l><lb/> <l>Hoͤr', was ſittlich und dezent</l><lb/> <l>Nach dem Tiſchzuchtreglement,</l><lb/> <l>Alles, Alles ſag ich dir.</l><lb/> <l>Meine Meiſt'rin ſprach zu mir:</l><lb/> <l>„Alle Prinzen und Prinzeſſen,</l><lb/> <l>Alle Grafen und Comteſſen,</l><lb/> <l>Alle Junker, alle Fraͤulchen</l><lb/> <l>Wiſchen ſich ſo Mund als Maͤulchen,</l><lb/> <l>Dupſe-Daͤumchen, Fingerlein</l><lb/> <l>An der Serviette rein.</l><lb/> <l>O Comteſſe, nie vergeſſe,</l><lb/> <l>Wie ein Kind von deinem Adel</l><lb/> <l>Mit Delikateſſe eſſe —</l><lb/> <l>Gackeleia ohne Tadel!</l><lb/> <l>Schluck' nicht große Brocken ein,</l><lb/> <l>Spuck' huͤbſch aus die Pflaumenſtein';</l><lb/> <l>Alles eſſe mit Manier,</l><lb/> <l>Ohne Traͤgheit, ohne Gier,</l><lb/> <l>Doch mit angeborner Zier;</l><lb/> <l>Pruͤfe, ordne jeden Biſſen</l><lb/> <l>Recht mit zarteſtem Gewiſſen,</l><lb/> <l>Ja mit feinem Skrupel ſchier.</l><lb/> <l>Schiebe mit der Gabelſpitze</l><lb/> <l>Zierlich Alles, was nichts nuͤtze,</l><lb/> <l>Nicht an Reinheit ebenbuͤrtig,</l><lb/> <l>Nicht an Feinheit ſpeiſewuͤrdig,</l><lb/> <l>Daß du's uͤber's Herzchen bringſt</l><lb/> <l>Und in's Maͤgelchen verſchlingſt,</l><lb/> <l>Zaͤhe Adern, harte Flechſen,</l><lb/> <l>Harte Faſern von Gewaͤchſen,</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [112/0150]
Dann wendete ſich Gackeleia gegen die Puppe und er¬
zaͤhlte ihr, was ihr vom anſtaͤndigen Betragen bei Tiſch ge¬
lehrt worden war:
„Hoͤr' — nicht Puppe, ſondern nur
Allerſchoͤnſte Kunſtfigur
Nach der Uhr und nach der Schnur
Und du Maͤuschen von Natur!
Hoͤr', was ſittlich und dezent
Nach dem Tiſchzuchtreglement,
Alles, Alles ſag ich dir.
Meine Meiſt'rin ſprach zu mir:
„Alle Prinzen und Prinzeſſen,
Alle Grafen und Comteſſen,
Alle Junker, alle Fraͤulchen
Wiſchen ſich ſo Mund als Maͤulchen,
Dupſe-Daͤumchen, Fingerlein
An der Serviette rein.
O Comteſſe, nie vergeſſe,
Wie ein Kind von deinem Adel
Mit Delikateſſe eſſe —
Gackeleia ohne Tadel!
Schluck' nicht große Brocken ein,
Spuck' huͤbſch aus die Pflaumenſtein';
Alles eſſe mit Manier,
Ohne Traͤgheit, ohne Gier,
Doch mit angeborner Zier;
Pruͤfe, ordne jeden Biſſen
Recht mit zarteſtem Gewiſſen,
Ja mit feinem Skrupel ſchier.
Schiebe mit der Gabelſpitze
Zierlich Alles, was nichts nuͤtze,
Nicht an Reinheit ebenbuͤrtig,
Nicht an Feinheit ſpeiſewuͤrdig,
Daß du's uͤber's Herzchen bringſt
Und in's Maͤgelchen verſchlingſt,
Zaͤhe Adern, harte Flechſen,
Harte Faſern von Gewaͤchſen,
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