Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.Nachtigall, ich seh dich laufen, An dem Bächlein thust du saufen, Tunkst hinein dein Schnäbelein, Meinst es sey der beste Wein! Nachtigall, wohl ist gut wohnen In der Linde grünen Kronen, Bei dir, lieb Frau Nachtigall, Küß' dich Gott viel tausendmal!" Das gefiel nun Gockel und Hinkel gar wohl, denn es Nachtigall, ich ſeh dich laufen, An dem Baͤchlein thuſt du ſaufen, Tunkſt hinein dein Schnaͤbelein, Meinſt es ſey der beſte Wein! Nachtigall, wohl iſt gut wohnen In der Linde gruͤnen Kronen, Bei dir, lieb Frau Nachtigall, Kuͤß' dich Gott viel tauſendmal!“ Das gefiel nun Gockel und Hinkel gar wohl, denn es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0113" n="79"/> <l>Nachtigall, ich ſeh dich laufen,</l><lb/> <l>An dem Baͤchlein thuſt du ſaufen,</l><lb/> <l>Tunkſt hinein dein Schnaͤbelein,</l><lb/> <l>Meinſt es ſey der beſte Wein!</l><lb/> <l>Nachtigall, wohl iſt gut wohnen</l><lb/> <l>In der Linde gruͤnen Kronen,</l><lb/> <l>Bei dir, lieb Frau Nachtigall,</l><lb/> <l>Kuͤß' dich Gott viel tauſendmal!“</l><lb/> </lg> <p>Das gefiel nun Gockel und Hinkel gar wohl, denn es<lb/> war ihr Lieblingslied und ihre Mutter hatte es ihr an der<lb/> Wiege geſungen. — Gockel war ſo froh, uͤber Alles, was er<lb/> ſo erfinderiſch herbeigewuͤnſcht hatte, daß er wuͤnſchte, Frau<lb/> Hinkel moͤge gleich Alles betrachten, was auf ihrem Waſch¬<lb/> tiſch weiter liege. Sie ſagte aber: „nein, ich muß warten<lb/> bis der Tag anbricht, es iſt Alles ſo herrlich und fein, ich<lb/> zittre ſo vor Freude, ich habe eine ſolche Wallung im Blut.<lb/> Wir ſahen nun dort in den Hof, hier in den bluͤhenden<lb/> Garten, voll Duft und Springbrunnen und Nachtigallen,<lb/> jetzt laß uns an jener Seite hinaus ſchauen, was dort zu<lb/> ſehen iſt.“ — Nun liefen ſie an ein drittes Fenſter; „o je,<lb/> welche Freude!“ rief Frau Hinkel aus, „wir ſind in Gelnhau¬<lb/> ſen, da oben liegt das Schloß des Koͤnigs, und da druͤben, o<lb/> zum Entzuͤcken! da ſehe ich in einer Reihe alle die Baͤcker-<lb/> und Fleiſcherladen; es iſt noch ganz ſtille in der Stadt;<lb/> horch, der Nachtwaͤchter ruft in einer entfernten Straße,<lb/> drei Uhr iſt es; ach, was wird er ſich wundern, wenn er<lb/> hieher auf den Markt koͤmmt und auf einmal unſern praͤch¬<lb/> tigen Palaſt ſieht! Und der Koͤnig, was wird der Koͤnig die<lb/> Augen aufreiſſen und alle die Hofherrn und Hofdamen, die<lb/> uns ſo ſpoͤttiſch anſahen, da wir in Ungnade fielen, was<lb/> werden ſie gedemuͤthiget ſeyn durch unſern Glanz! O Go¬<lb/> ckel, liebſter Gockel, was biſt du fuͤr ein herzallerliebſter,<lb/> beßter Gockel mit deinem Ring Salomonis!“ und da fielen<lb/> ſie ſich wieder um den Hals und fuhren vor Freude gleich¬<lb/> ſam Schlitten auf dem ſpiegelglatten Boden.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [79/0113]
Nachtigall, ich ſeh dich laufen,
An dem Baͤchlein thuſt du ſaufen,
Tunkſt hinein dein Schnaͤbelein,
Meinſt es ſey der beſte Wein!
Nachtigall, wohl iſt gut wohnen
In der Linde gruͤnen Kronen,
Bei dir, lieb Frau Nachtigall,
Kuͤß' dich Gott viel tauſendmal!“
Das gefiel nun Gockel und Hinkel gar wohl, denn es
war ihr Lieblingslied und ihre Mutter hatte es ihr an der
Wiege geſungen. — Gockel war ſo froh, uͤber Alles, was er
ſo erfinderiſch herbeigewuͤnſcht hatte, daß er wuͤnſchte, Frau
Hinkel moͤge gleich Alles betrachten, was auf ihrem Waſch¬
tiſch weiter liege. Sie ſagte aber: „nein, ich muß warten
bis der Tag anbricht, es iſt Alles ſo herrlich und fein, ich
zittre ſo vor Freude, ich habe eine ſolche Wallung im Blut.
Wir ſahen nun dort in den Hof, hier in den bluͤhenden
Garten, voll Duft und Springbrunnen und Nachtigallen,
jetzt laß uns an jener Seite hinaus ſchauen, was dort zu
ſehen iſt.“ — Nun liefen ſie an ein drittes Fenſter; „o je,
welche Freude!“ rief Frau Hinkel aus, „wir ſind in Gelnhau¬
ſen, da oben liegt das Schloß des Koͤnigs, und da druͤben, o
zum Entzuͤcken! da ſehe ich in einer Reihe alle die Baͤcker-
und Fleiſcherladen; es iſt noch ganz ſtille in der Stadt;
horch, der Nachtwaͤchter ruft in einer entfernten Straße,
drei Uhr iſt es; ach, was wird er ſich wundern, wenn er
hieher auf den Markt koͤmmt und auf einmal unſern praͤch¬
tigen Palaſt ſieht! Und der Koͤnig, was wird der Koͤnig die
Augen aufreiſſen und alle die Hofherrn und Hofdamen, die
uns ſo ſpoͤttiſch anſahen, da wir in Ungnade fielen, was
werden ſie gedemuͤthiget ſeyn durch unſern Glanz! O Go¬
ckel, liebſter Gockel, was biſt du fuͤr ein herzallerliebſter,
beßter Gockel mit deinem Ring Salomonis!“ und da fielen
ſie ſich wieder um den Hals und fuhren vor Freude gleich¬
ſam Schlitten auf dem ſpiegelglatten Boden.
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