Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

chen, weiß wie der gefallne Schnee, Mähnen und Schweif
mit Purpurbändern durchflochten, mit tief rothem Sammet
gezäumt, Gebiß und Bügel von Gold und Rubin; ach Hin¬
kel! und der Sattel! -- der Sattel ist ihm von Natur auf
den Rücken gewachsen! nun denke!"

"Lieber Gockel," sagte Frau Hinkel, "es ist nicht mög¬
lich, es ist zu viel, ich kanns nicht glauben; aber ich möchte
trinken, kannst du mir nicht ein Glas Wasser herbeidrehen?" --
"Geh nur links an deinen Waschtisch," erwiederte Gockel,
"und halte den Krystall-Pokal zum Fenster hinaus." "O Go¬
ckel, gehe mit," sagte Hinkel, sich an seinen Arm hängend,
"ich weiß nicht Bescheid hier, es ist mir ganz bang vor
lauter Schönheit, ich fürchte, ich möchte über das siebente
Wunder der Welt stolpern und in das achte hineinstürzen."

Da führte Gockel sie zu ihrem Waschtisch an ein zwei¬
tes Fenster, dessen Vorhang der volle Mond mit angenehmem
Licht durchstrahlte. O da gieng Verwundern erst recht an;
neben einem Schirm von goldnen Stäben, an welchem weiße
Rosensträucher hinaufrankten, die alle ihre Rosen nach In¬
nen senkten, stand das Waschtischchen; aber welch ein Wasch¬
tischchen, ein Waschtischchen, das sich nicht nur gewaschen
hatte, sondern sich auch in alle Ewigkeit fortwusch. -- In
den mit tiefrothem Sammet belegten Marmorboden war ein
eirundes tiefes Becken von Krystall versenkt, der Rand
oben war von Muscheln, Korallen und lebendigen Blu¬
men umgeben, Reseda und Veilchen und Vergißmeinnicht;
diese Wanne war voll Rosenwasser; über diesem ragte wie
schwimmend ein mit Lotos-Blumen gesattelter Delphin von
Perlenmutter hervor, auf seinem Rücken saß ein feingeflü¬
geltes Kind von weißem Marmor, in der einen Hand hielt
es ein Sieb von Krystall voll der duftendsten Rosen, in
welches von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwey
Strahlen des frischesten, klaresten Wassers aus den Nüstern
des Delphins sprudelten und als Rosenwasser in das Be¬

chen, weiß wie der gefallne Schnee, Maͤhnen und Schweif
mit Purpurbaͤndern durchflochten, mit tief rothem Sammet
gezaͤumt, Gebiß und Buͤgel von Gold und Rubin; ach Hin¬
kel! und der Sattel! — der Sattel iſt ihm von Natur auf
den Ruͤcken gewachſen! nun denke!“

„Lieber Gockel,“ ſagte Frau Hinkel, „es iſt nicht moͤg¬
lich, es iſt zu viel, ich kanns nicht glauben; aber ich moͤchte
trinken, kannſt du mir nicht ein Glas Waſſer herbeidrehen?“ —
„Geh nur links an deinen Waſchtiſch,“ erwiederte Gockel,
„und halte den Kryſtall-Pokal zum Fenſter hinaus.“ „O Go¬
ckel, gehe mit,“ ſagte Hinkel, ſich an ſeinen Arm haͤngend,
„ich weiß nicht Beſcheid hier, es iſt mir ganz bang vor
lauter Schoͤnheit, ich fuͤrchte, ich moͤchte uͤber das ſiebente
Wunder der Welt ſtolpern und in das achte hineinſtuͤrzen.“

Da fuͤhrte Gockel ſie zu ihrem Waſchtiſch an ein zwei¬
tes Fenſter, deſſen Vorhang der volle Mond mit angenehmem
Licht durchſtrahlte. O da gieng Verwundern erſt recht an;
neben einem Schirm von goldnen Staͤben, an welchem weiße
Roſenſtraͤucher hinaufrankten, die alle ihre Roſen nach In¬
nen ſenkten, ſtand das Waſchtiſchchen; aber welch ein Waſch¬
tiſchchen, ein Waſchtiſchchen, das ſich nicht nur gewaſchen
hatte, ſondern ſich auch in alle Ewigkeit fortwuſch. — In
den mit tiefrothem Sammet belegten Marmorboden war ein
eirundes tiefes Becken von Kryſtall verſenkt, der Rand
oben war von Muſcheln, Korallen und lebendigen Blu¬
men umgeben, Reſeda und Veilchen und Vergißmeinnicht;
dieſe Wanne war voll Roſenwaſſer; uͤber dieſem ragte wie
ſchwimmend ein mit Lotos-Blumen geſattelter Delphin von
Perlenmutter hervor, auf ſeinem Ruͤcken ſaß ein feingefluͤ¬
geltes Kind von weißem Marmor, in der einen Hand hielt
es ein Sieb von Kryſtall voll der duftendſten Roſen, in
welches von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwey
Strahlen des friſcheſten, klareſten Waſſers aus den Nuͤſtern
des Delphins ſprudelten und als Roſenwaſſer in das Be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0106" n="76"/>
chen, weiß wie der gefallne Schnee, Ma&#x0364;hnen und Schweif<lb/>
mit Purpurba&#x0364;ndern durchflochten, mit tief rothem Sammet<lb/>
geza&#x0364;umt, Gebiß und Bu&#x0364;gel von Gold und Rubin; ach Hin¬<lb/>
kel! und der Sattel! &#x2014; der Sattel i&#x017F;t ihm von Natur auf<lb/>
den Ru&#x0364;cken gewach&#x017F;en! nun denke!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lieber Gockel,&#x201C; &#x017F;agte Frau Hinkel, &#x201E;es i&#x017F;t nicht mo&#x0364;<lb/>
lich, es i&#x017F;t zu viel, ich kanns nicht glauben; aber ich mo&#x0364;chte<lb/>
trinken, kann&#x017F;t du mir nicht ein Glas Wa&#x017F;&#x017F;er herbeidrehen?&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Geh nur links an deinen Wa&#x017F;chti&#x017F;ch,&#x201C; erwiederte Gockel,<lb/>
&#x201E;und halte den Kry&#x017F;tall-Pokal zum Fen&#x017F;ter hinaus.&#x201C; &#x201E;O Go¬<lb/>
ckel, gehe mit,&#x201C; &#x017F;agte Hinkel, &#x017F;ich an &#x017F;einen Arm ha&#x0364;ngend,<lb/>
&#x201E;ich weiß nicht Be&#x017F;cheid hier, es i&#x017F;t mir ganz bang vor<lb/>
lauter Scho&#x0364;nheit, ich fu&#x0364;rchte, ich mo&#x0364;chte u&#x0364;ber das &#x017F;iebente<lb/>
Wunder der Welt &#x017F;tolpern und in das achte hinein&#x017F;tu&#x0364;rzen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Da fu&#x0364;hrte Gockel &#x017F;ie zu ihrem Wa&#x017F;chti&#x017F;ch an ein zwei¬<lb/>
tes Fen&#x017F;ter, de&#x017F;&#x017F;en Vorhang der volle Mond mit angenehmem<lb/>
Licht durch&#x017F;trahlte. O da gieng Verwundern er&#x017F;t recht an;<lb/>
neben einem Schirm von goldnen Sta&#x0364;ben, an welchem weiße<lb/>
Ro&#x017F;en&#x017F;tra&#x0364;ucher hinaufrankten, die alle ihre Ro&#x017F;en nach In¬<lb/>
nen &#x017F;enkten, &#x017F;tand das Wa&#x017F;chti&#x017F;chchen; aber welch ein Wa&#x017F;ch¬<lb/>
ti&#x017F;chchen, ein Wa&#x017F;chti&#x017F;chchen, das &#x017F;ich nicht nur gewa&#x017F;chen<lb/>
hatte, &#x017F;ondern &#x017F;ich auch in alle Ewigkeit fortwu&#x017F;ch. &#x2014; In<lb/>
den mit tiefrothem Sammet belegten Marmorboden war ein<lb/>
eirundes tiefes Becken von Kry&#x017F;tall ver&#x017F;enkt, der Rand<lb/>
oben war von Mu&#x017F;cheln, Korallen und lebendigen Blu¬<lb/>
men umgeben, Re&#x017F;eda und Veilchen und Vergißmeinnicht;<lb/>
die&#x017F;e Wanne war voll Ro&#x017F;enwa&#x017F;&#x017F;er; u&#x0364;ber die&#x017F;em ragte wie<lb/>
&#x017F;chwimmend ein mit Lotos-Blumen ge&#x017F;attelter Delphin von<lb/>
Perlenmutter hervor, auf &#x017F;einem Ru&#x0364;cken &#x017F;aß ein feingeflu&#x0364;¬<lb/>
geltes Kind von weißem Marmor, in der einen Hand hielt<lb/>
es ein Sieb von Kry&#x017F;tall voll der duftend&#x017F;ten Ro&#x017F;en, in<lb/>
welches von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwey<lb/>
Strahlen des fri&#x017F;che&#x017F;ten, klare&#x017F;ten Wa&#x017F;&#x017F;ers aus den Nu&#x0364;&#x017F;tern<lb/>
des Delphins &#x017F;prudelten und als Ro&#x017F;enwa&#x017F;&#x017F;er in das Be¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0106] chen, weiß wie der gefallne Schnee, Maͤhnen und Schweif mit Purpurbaͤndern durchflochten, mit tief rothem Sammet gezaͤumt, Gebiß und Buͤgel von Gold und Rubin; ach Hin¬ kel! und der Sattel! — der Sattel iſt ihm von Natur auf den Ruͤcken gewachſen! nun denke!“ „Lieber Gockel,“ ſagte Frau Hinkel, „es iſt nicht moͤg¬ lich, es iſt zu viel, ich kanns nicht glauben; aber ich moͤchte trinken, kannſt du mir nicht ein Glas Waſſer herbeidrehen?“ — „Geh nur links an deinen Waſchtiſch,“ erwiederte Gockel, „und halte den Kryſtall-Pokal zum Fenſter hinaus.“ „O Go¬ ckel, gehe mit,“ ſagte Hinkel, ſich an ſeinen Arm haͤngend, „ich weiß nicht Beſcheid hier, es iſt mir ganz bang vor lauter Schoͤnheit, ich fuͤrchte, ich moͤchte uͤber das ſiebente Wunder der Welt ſtolpern und in das achte hineinſtuͤrzen.“ Da fuͤhrte Gockel ſie zu ihrem Waſchtiſch an ein zwei¬ tes Fenſter, deſſen Vorhang der volle Mond mit angenehmem Licht durchſtrahlte. O da gieng Verwundern erſt recht an; neben einem Schirm von goldnen Staͤben, an welchem weiße Roſenſtraͤucher hinaufrankten, die alle ihre Roſen nach In¬ nen ſenkten, ſtand das Waſchtiſchchen; aber welch ein Waſch¬ tiſchchen, ein Waſchtiſchchen, das ſich nicht nur gewaſchen hatte, ſondern ſich auch in alle Ewigkeit fortwuſch. — In den mit tiefrothem Sammet belegten Marmorboden war ein eirundes tiefes Becken von Kryſtall verſenkt, der Rand oben war von Muſcheln, Korallen und lebendigen Blu¬ men umgeben, Reſeda und Veilchen und Vergißmeinnicht; dieſe Wanne war voll Roſenwaſſer; uͤber dieſem ragte wie ſchwimmend ein mit Lotos-Blumen geſattelter Delphin von Perlenmutter hervor, auf ſeinem Ruͤcken ſaß ein feingefluͤ¬ geltes Kind von weißem Marmor, in der einen Hand hielt es ein Sieb von Kryſtall voll der duftendſten Roſen, in welches von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwey Strahlen des friſcheſten, klareſten Waſſers aus den Nuͤſtern des Delphins ſprudelten und als Roſenwaſſer in das Be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/106
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/106>, abgerufen am 22.11.2024.