Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Herzog sprach bei diesem Anblicke: Schönes unglückliches Annerl! Schändlicher Verführer, du kamst zu spät! -- Arme alte Mutter, du bist ihr allein treu geblieben bis in den Tod! -- Als er mich bei diesen Worten in seiner Nähe sah, sprach er zu mir: Sie sagten mir von einem letzten Willen des Corporals Kasper, haben Sie ihn bei sich? Da wendete ich mich zu der Alten und sagte: Arme Mutter, gebt mir die Brieftasche Kasper's; Seine Durchlaucht wollen seinen letzten Willen lesen. Die Alte, welche sich um Nichts bekümmerte, sagte mürrisch: Ist Er auch wieder da? Er hätte lieber ganz zu Hause bleiben können. Hat Er die Bittschrift? Jetzt ist es zu spät. Ich habe dem armen Kinde den Trost nicht geben können, daß sie zu Kasper in ein ehrliches Grab soll; ach. ich hab' es ihr vorgelogen, aber sie hat mir nicht geglaubt! Der Herzog unterbrach sie und sprach: Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter. Der Mensch hat sein Möglichstes gethan, der Sturz des Pferdes ist an Allem schuld. Aber sie soll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war. Es soll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte: "Gebt Gott allein die Ehre!" Der Kasper soll als Fähndrich begraben werden, seine Schwadron soll ihm dreimal ins Grab schießen, und des Verderbers Grossinger's Degen soll auf seinen Sarg gelegt werden. Nach diesen Worten ergriff er Grossinger's Degen, Der Herzog sprach bei diesem Anblicke: Schönes unglückliches Annerl! Schändlicher Verführer, du kamst zu spät! — Arme alte Mutter, du bist ihr allein treu geblieben bis in den Tod! — Als er mich bei diesen Worten in seiner Nähe sah, sprach er zu mir: Sie sagten mir von einem letzten Willen des Corporals Kasper, haben Sie ihn bei sich? Da wendete ich mich zu der Alten und sagte: Arme Mutter, gebt mir die Brieftasche Kasper's; Seine Durchlaucht wollen seinen letzten Willen lesen. Die Alte, welche sich um Nichts bekümmerte, sagte mürrisch: Ist Er auch wieder da? Er hätte lieber ganz zu Hause bleiben können. Hat Er die Bittschrift? Jetzt ist es zu spät. Ich habe dem armen Kinde den Trost nicht geben können, daß sie zu Kasper in ein ehrliches Grab soll; ach. ich hab' es ihr vorgelogen, aber sie hat mir nicht geglaubt! Der Herzog unterbrach sie und sprach: Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter. Der Mensch hat sein Möglichstes gethan, der Sturz des Pferdes ist an Allem schuld. Aber sie soll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war. Es soll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte: „Gebt Gott allein die Ehre!“ Der Kasper soll als Fähndrich begraben werden, seine Schwadron soll ihm dreimal ins Grab schießen, und des Verderbers Grossinger's Degen soll auf seinen Sarg gelegt werden. Nach diesen Worten ergriff er Grossinger's Degen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0056"/> <p>Der Herzog sprach bei diesem Anblicke: Schönes unglückliches Annerl! Schändlicher Verführer, du kamst zu spät! — Arme alte Mutter, du bist ihr allein treu geblieben bis in den Tod! — Als er mich bei diesen Worten in seiner Nähe sah, sprach er zu mir: Sie sagten mir von einem letzten Willen des Corporals Kasper, haben Sie ihn bei sich? Da wendete ich mich zu der Alten und sagte: Arme Mutter, gebt mir die Brieftasche Kasper's; Seine Durchlaucht wollen seinen letzten Willen lesen.</p><lb/> <p>Die Alte, welche sich um Nichts bekümmerte, sagte mürrisch: Ist Er auch wieder da? Er hätte lieber ganz zu Hause bleiben können. Hat Er die Bittschrift? Jetzt ist es zu spät. Ich habe dem armen Kinde den Trost nicht geben können, daß sie zu Kasper in ein ehrliches Grab soll; ach. ich hab' es ihr vorgelogen, aber sie hat mir nicht geglaubt!</p><lb/> <p>Der Herzog unterbrach sie und sprach: Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter. Der Mensch hat sein Möglichstes gethan, der Sturz des Pferdes ist an Allem schuld. Aber sie soll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war. Es soll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte: „Gebt Gott allein die Ehre!“ Der Kasper soll als Fähndrich begraben werden, seine Schwadron soll ihm dreimal ins Grab schießen, und des Verderbers Grossinger's Degen soll auf seinen Sarg gelegt werden.</p><lb/> <p>Nach diesen Worten ergriff er Grossinger's Degen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Der Herzog sprach bei diesem Anblicke: Schönes unglückliches Annerl! Schändlicher Verführer, du kamst zu spät! — Arme alte Mutter, du bist ihr allein treu geblieben bis in den Tod! — Als er mich bei diesen Worten in seiner Nähe sah, sprach er zu mir: Sie sagten mir von einem letzten Willen des Corporals Kasper, haben Sie ihn bei sich? Da wendete ich mich zu der Alten und sagte: Arme Mutter, gebt mir die Brieftasche Kasper's; Seine Durchlaucht wollen seinen letzten Willen lesen.
Die Alte, welche sich um Nichts bekümmerte, sagte mürrisch: Ist Er auch wieder da? Er hätte lieber ganz zu Hause bleiben können. Hat Er die Bittschrift? Jetzt ist es zu spät. Ich habe dem armen Kinde den Trost nicht geben können, daß sie zu Kasper in ein ehrliches Grab soll; ach. ich hab' es ihr vorgelogen, aber sie hat mir nicht geglaubt!
Der Herzog unterbrach sie und sprach: Ihr habt nicht gelogen, gute Mutter. Der Mensch hat sein Möglichstes gethan, der Sturz des Pferdes ist an Allem schuld. Aber sie soll ein ehrliches Grab haben bei ihrer Mutter und bei Kasper, der ein braver Kerl war. Es soll ihnen Beiden eine Leichenpredigt gehalten werden über die Worte: „Gebt Gott allein die Ehre!“ Der Kasper soll als Fähndrich begraben werden, seine Schwadron soll ihm dreimal ins Grab schießen, und des Verderbers Grossinger's Degen soll auf seinen Sarg gelegt werden.
Nach diesen Worten ergriff er Grossinger's Degen,
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/56>, abgerufen am 06.07.2024. |