Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der vor der Thüre hielt, und fuhr mit uns in das Städtchen hinein. Er hieß mich zu seiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Essen; und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder. Und als ich Dem die letzten Worte meiner Base erzählte, fing er bitterlich an zu weinen und schrie: Ach, Gott! wenn sie mein Weib geworden, wäre es nicht so weit mit mir gekommen. Dann begehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das versprach ihm der Bürgermeister und lobte ihn wegen seiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor seinem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da sagte der Jäger Jürge: Ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß sie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen sein möge, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten Stunde. -- Da bat mich der Bürgermeister, und so graulich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden Menschen nicht abschlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich versprechen, und er sank weinend auf das Stroh. Der Bürgermeister ging dann mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen mußte, ehe er sich ins Gefängniß begab. Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeisters Haus schlafen, und am andern Morgen ging ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers der vor der Thüre hielt, und fuhr mit uns in das Städtchen hinein. Er hieß mich zu seiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Essen; und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder. Und als ich Dem die letzten Worte meiner Base erzählte, fing er bitterlich an zu weinen und schrie: Ach, Gott! wenn sie mein Weib geworden, wäre es nicht so weit mit mir gekommen. Dann begehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das versprach ihm der Bürgermeister und lobte ihn wegen seiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor seinem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da sagte der Jäger Jürge: Ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß sie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen sein möge, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten Stunde. — Da bat mich der Bürgermeister, und so graulich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden Menschen nicht abschlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich versprechen, und er sank weinend auf das Stroh. Der Bürgermeister ging dann mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen mußte, ehe er sich ins Gefängniß begab. Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeisters Haus schlafen, und am andern Morgen ging ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044"/> der vor der Thüre hielt, und fuhr mit uns in das Städtchen hinein.</p><lb/> <p>Er hieß mich zu seiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Essen; und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder. Und als ich Dem die letzten Worte meiner Base erzählte, fing er bitterlich an zu weinen und schrie: Ach, Gott! wenn sie mein Weib geworden, wäre es nicht so weit mit mir gekommen. Dann begehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das versprach ihm der Bürgermeister und lobte ihn wegen seiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor seinem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da sagte der Jäger Jürge: Ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß sie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen sein möge, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten Stunde. — Da bat mich der Bürgermeister, und so graulich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden Menschen nicht abschlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich versprechen, und er sank weinend auf das Stroh. Der Bürgermeister ging dann mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen mußte, ehe er sich ins Gefängniß begab.</p><lb/> <p>Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeisters Haus schlafen, und am andern Morgen ging ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
der vor der Thüre hielt, und fuhr mit uns in das Städtchen hinein.
Er hieß mich zu seiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Essen; und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder. Und als ich Dem die letzten Worte meiner Base erzählte, fing er bitterlich an zu weinen und schrie: Ach, Gott! wenn sie mein Weib geworden, wäre es nicht so weit mit mir gekommen. Dann begehrte er, man solle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das versprach ihm der Bürgermeister und lobte ihn wegen seiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor seinem Tode noch einen Wunsch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da sagte der Jäger Jürge: Ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß sie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer seligen Base bei meinem Rechte zugegen sein möge, das wird mir das Herz stärken in meiner letzten Stunde. — Da bat mich der Bürgermeister, und so graulich es mir war, so konnte ich es dem armen elenden Menschen nicht abschlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich versprechen, und er sank weinend auf das Stroh. Der Bürgermeister ging dann mit mir zu seinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen mußte, ehe er sich ins Gefängniß begab.
Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeisters Haus schlafen, und am andern Morgen ging ich den schweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/44>, abgerufen am 06.07.2024. |