Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.neben meiner Mutter vergönne. Das Kränzlein, durch welches ich mich erschossen, soll die Großmutter der schönen Annerl schicken und sie von mir grüßen. Ach! sie thut mir leid durch Mark und Bein, aber sie soll doch den Sohn eines Diebes nicht heirathen, denn sie hat immer viel auf Ehre gehalten. Liebe, schöne Annerl! mögest du nicht so sehr erschrecken über mich, gieb dich zufrieden und wenn du mir jemals ein wenig gut warst, so rede nicht schlecht von mir. Ich kann ja nichts für meine Schande; Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war schon Unteroffizier und hatte den besten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiß noch einmal Offizier geworden, und Annerl, dich hätte ich doch nicht verlassen und hätte keine Vornehmere gefreit -- aber der Sohn eines Diebes, der seinen Vater aus Ehre selbst fangen und richten lassen muß, kann seine Schande nicht überleben. Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin dir immer treu gewesen, so Gott mir gnädig sei! Ich gebe dir nun deine Freiheit wieder, aber thue mir die Ehre, und heirathe nie Einen, der schlechter wäre, als ich. Und wenn du kannst, so bitte für mich, daß ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte. Und wenn du hier in unserm Orte sterben solltest, so lasse dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da sind wir Alle beisammen. Ich habe fünfzig Thaler in meinem Felleisen, die sollen auf Interessen gelegt werden für dein erstes Kind. Meine silberne Uhr neben meiner Mutter vergönne. Das Kränzlein, durch welches ich mich erschossen, soll die Großmutter der schönen Annerl schicken und sie von mir grüßen. Ach! sie thut mir leid durch Mark und Bein, aber sie soll doch den Sohn eines Diebes nicht heirathen, denn sie hat immer viel auf Ehre gehalten. Liebe, schöne Annerl! mögest du nicht so sehr erschrecken über mich, gieb dich zufrieden und wenn du mir jemals ein wenig gut warst, so rede nicht schlecht von mir. Ich kann ja nichts für meine Schande; Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war schon Unteroffizier und hatte den besten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiß noch einmal Offizier geworden, und Annerl, dich hätte ich doch nicht verlassen und hätte keine Vornehmere gefreit — aber der Sohn eines Diebes, der seinen Vater aus Ehre selbst fangen und richten lassen muß, kann seine Schande nicht überleben. Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin dir immer treu gewesen, so Gott mir gnädig sei! Ich gebe dir nun deine Freiheit wieder, aber thue mir die Ehre, und heirathe nie Einen, der schlechter wäre, als ich. Und wenn du kannst, so bitte für mich, daß ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte. Und wenn du hier in unserm Orte sterben solltest, so lasse dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da sind wir Alle beisammen. Ich habe fünfzig Thaler in meinem Felleisen, die sollen auf Interessen gelegt werden für dein erstes Kind. Meine silberne Uhr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038"/> neben meiner Mutter vergönne. Das Kränzlein, durch welches ich mich erschossen, soll die Großmutter der schönen Annerl schicken und sie von mir grüßen. Ach! sie thut mir leid durch Mark und Bein, aber sie soll doch den Sohn eines Diebes nicht heirathen, denn sie hat immer viel auf Ehre gehalten. Liebe, schöne Annerl! mögest du nicht so sehr erschrecken über mich, gieb dich zufrieden und wenn du mir jemals ein wenig gut warst, so rede nicht schlecht von mir. Ich kann ja nichts für meine Schande; Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war schon Unteroffizier und hatte den besten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiß noch einmal Offizier geworden, und Annerl, dich hätte ich doch nicht verlassen und hätte keine Vornehmere gefreit — aber der Sohn eines Diebes, der seinen Vater aus Ehre selbst fangen und richten lassen muß, kann seine Schande nicht überleben. Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin dir immer treu gewesen, so Gott mir gnädig sei! Ich gebe dir nun deine Freiheit wieder, aber thue mir die Ehre, und heirathe nie Einen, der schlechter wäre, als ich. Und wenn du kannst, so bitte für mich, daß ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte. Und wenn du hier in unserm Orte sterben solltest, so lasse dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da sind wir Alle beisammen. Ich habe fünfzig Thaler in meinem Felleisen, die sollen auf Interessen gelegt werden für dein erstes Kind. Meine silberne Uhr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
neben meiner Mutter vergönne. Das Kränzlein, durch welches ich mich erschossen, soll die Großmutter der schönen Annerl schicken und sie von mir grüßen. Ach! sie thut mir leid durch Mark und Bein, aber sie soll doch den Sohn eines Diebes nicht heirathen, denn sie hat immer viel auf Ehre gehalten. Liebe, schöne Annerl! mögest du nicht so sehr erschrecken über mich, gieb dich zufrieden und wenn du mir jemals ein wenig gut warst, so rede nicht schlecht von mir. Ich kann ja nichts für meine Schande; Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, in Ehren zu bleiben mein Leben lang, ich war schon Unteroffizier und hatte den besten Ruf bei der Schwadron, ich wäre gewiß noch einmal Offizier geworden, und Annerl, dich hätte ich doch nicht verlassen und hätte keine Vornehmere gefreit — aber der Sohn eines Diebes, der seinen Vater aus Ehre selbst fangen und richten lassen muß, kann seine Schande nicht überleben. Annerl, liebes Annerl, nimm doch ja das Kränzlein, ich bin dir immer treu gewesen, so Gott mir gnädig sei! Ich gebe dir nun deine Freiheit wieder, aber thue mir die Ehre, und heirathe nie Einen, der schlechter wäre, als ich. Und wenn du kannst, so bitte für mich, daß ich ein ehrliches Grab neben meiner Mutter erhalte. Und wenn du hier in unserm Orte sterben solltest, so lasse dich auch bei uns begraben; die gute Großmutter wird auch zu uns kommen, da sind wir Alle beisammen. Ich habe fünfzig Thaler in meinem Felleisen, die sollen auf Interessen gelegt werden für dein erstes Kind. Meine silberne Uhr
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/38>, abgerufen am 28.07.2024. |