Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.genommen. Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: Ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Zähnen nach Hause zöge. Da ließen sie ihn heimreiten mit seinem Pferde, denn alle seine Offiziere trauten ihm. Er kriegte auf drei Monate Urlaub, und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen. Er eilte, so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu thun, welches er besser pflegte als jemals, weil es ihm war anvertraut worden. An einem Tage trieb es ihn ganz entsetzlich, nach Hause zu eilen. Es war der Tag vor dem Sterbetage seiner Mutter, und es war ihm immer, als laufe sie vor seinem Pferde her und riefe: Kasper, thue mir eine Ehre an! Ach, ich saß an diesem Tag auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre! Ich hatte Blümelein Vergißnichtmein in einen Kranz gebunden und an das eingesunkene Kreuz gehängt, und maß mir den Platz umher aus, und dachte: Hier will ich liegen, und da soll Kasper liegen, wenn ihm Gott sein Grab in der Heimath schenkt, daß wir fein beisammen sind, wenn's heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt zum jüngsten Gerichte gehn! Aber Kasper kam nicht, ich wußte auch nicht, daß er so nahe war und wohl hätte kommen können. Es trieb ihn auch gar sehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an diesen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von schönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab seiner genommen. Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: Ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Zähnen nach Hause zöge. Da ließen sie ihn heimreiten mit seinem Pferde, denn alle seine Offiziere trauten ihm. Er kriegte auf drei Monate Urlaub, und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen. Er eilte, so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu thun, welches er besser pflegte als jemals, weil es ihm war anvertraut worden. An einem Tage trieb es ihn ganz entsetzlich, nach Hause zu eilen. Es war der Tag vor dem Sterbetage seiner Mutter, und es war ihm immer, als laufe sie vor seinem Pferde her und riefe: Kasper, thue mir eine Ehre an! Ach, ich saß an diesem Tag auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre! Ich hatte Blümelein Vergißnichtmein in einen Kranz gebunden und an das eingesunkene Kreuz gehängt, und maß mir den Platz umher aus, und dachte: Hier will ich liegen, und da soll Kasper liegen, wenn ihm Gott sein Grab in der Heimath schenkt, daß wir fein beisammen sind, wenn's heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt zum jüngsten Gerichte gehn! Aber Kasper kam nicht, ich wußte auch nicht, daß er so nahe war und wohl hätte kommen können. Es trieb ihn auch gar sehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an diesen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von schönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab seiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0026"/> genommen. Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: Ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Zähnen nach Hause zöge. Da ließen sie ihn heimreiten mit seinem Pferde, denn alle seine Offiziere trauten ihm. Er kriegte auf drei Monate Urlaub, und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen. Er eilte, so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu thun, welches er besser pflegte als jemals, weil es ihm war anvertraut worden. An einem Tage trieb es ihn ganz entsetzlich, nach Hause zu eilen. Es war der Tag vor dem Sterbetage seiner Mutter, und es war ihm immer, als laufe sie vor seinem Pferde her und riefe: Kasper, thue mir eine Ehre an! Ach, ich saß an diesem Tag auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre! Ich hatte Blümelein Vergißnichtmein in einen Kranz gebunden und an das eingesunkene Kreuz gehängt, und maß mir den Platz umher aus, und dachte: Hier will ich liegen, und da soll Kasper liegen, wenn ihm Gott sein Grab in der Heimath schenkt, daß wir fein beisammen sind, wenn's heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt zum jüngsten Gerichte gehn! Aber Kasper kam nicht, ich wußte auch nicht, daß er so nahe war und wohl hätte kommen können. Es trieb ihn auch gar sehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an diesen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von schönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab seiner<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
genommen. Da verlor er seine Ruhe und kriegte das Heimweh und sagte zu seinem Rittmeister, der ihn um sein Leid fragte: Ach, Herr Rittmeister, es ist, als ob es mich mit den Zähnen nach Hause zöge. Da ließen sie ihn heimreiten mit seinem Pferde, denn alle seine Offiziere trauten ihm. Er kriegte auf drei Monate Urlaub, und sollte mit der Remonte wieder zurückkommen. Er eilte, so sehr er konnte, ohne seinem Pferde wehe zu thun, welches er besser pflegte als jemals, weil es ihm war anvertraut worden. An einem Tage trieb es ihn ganz entsetzlich, nach Hause zu eilen. Es war der Tag vor dem Sterbetage seiner Mutter, und es war ihm immer, als laufe sie vor seinem Pferde her und riefe: Kasper, thue mir eine Ehre an! Ach, ich saß an diesem Tag auf ihrem Grabe ganz allein, und dachte auch, wenn Kasper doch bei mir wäre! Ich hatte Blümelein Vergißnichtmein in einen Kranz gebunden und an das eingesunkene Kreuz gehängt, und maß mir den Platz umher aus, und dachte: Hier will ich liegen, und da soll Kasper liegen, wenn ihm Gott sein Grab in der Heimath schenkt, daß wir fein beisammen sind, wenn's heißt: Ihr Todten, ihr Todten sollt auferstehn, ihr sollt zum jüngsten Gerichte gehn! Aber Kasper kam nicht, ich wußte auch nicht, daß er so nahe war und wohl hätte kommen können. Es trieb ihn auch gar sehr zu eilen, denn er hatte wohl oft an diesen Tag in Frankreich gedacht, und hatte einen kleinen Kranz von schönen Goldblumen von daher mitgebracht, um das Grab seiner
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/26>, abgerufen am 02.03.2025. |