Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Zeichen, daß ich zu ihm kommen soll, und darauf freu' ich mich herzlich. Vier Söhne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen, -- Gott helfe ihm und erbarme sich seiner! -- und morgen verläßt mich eine andere gute Seele, aber was sag' ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei? Es ist Zwölfe vorüber, erwiderte ich, verwundert über ihre Rede. Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat, sagte die Alte und ward still, indem sie die Hände faltete. Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen. Da sie aber ganz stille blieb und der Thaler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr: Mutter, steckt den Thaler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren. Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Noth! erwiderte sie. Den ersten Thaler nehm' ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der soll ihn genießen. Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen, und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele -- ach Gott, auf seine Seele! -- Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht möglich, der liebe Herr läßt ihn gewiß nicht verderben. Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und fleißigste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor Allem ganz erstaunlich. Sein Lieutenant hat auch immer gesprochen: Zeichen, daß ich zu ihm kommen soll, und darauf freu' ich mich herzlich. Vier Söhne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen, — Gott helfe ihm und erbarme sich seiner! — und morgen verläßt mich eine andere gute Seele, aber was sag' ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei? Es ist Zwölfe vorüber, erwiderte ich, verwundert über ihre Rede. Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat, sagte die Alte und ward still, indem sie die Hände faltete. Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen. Da sie aber ganz stille blieb und der Thaler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr: Mutter, steckt den Thaler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren. Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Noth! erwiderte sie. Den ersten Thaler nehm' ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der soll ihn genießen. Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen, und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele — ach Gott, auf seine Seele! — Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht möglich, der liebe Herr läßt ihn gewiß nicht verderben. Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und fleißigste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor Allem ganz erstaunlich. Sein Lieutenant hat auch immer gesprochen: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> Zeichen, daß ich zu ihm kommen soll, und darauf freu' ich mich herzlich. Vier Söhne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen, — Gott helfe ihm und erbarme sich seiner! — und morgen verläßt mich eine andere gute Seele, aber was sag' ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei?</p><lb/> <p>Es ist Zwölfe vorüber, erwiderte ich, verwundert über ihre Rede.</p><lb/> <p>Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat, sagte die Alte und ward still, indem sie die Hände faltete. Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen. Da sie aber ganz stille blieb und der Thaler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr: Mutter, steckt den Thaler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren.</p><lb/> <p>Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Noth! erwiderte sie. Den ersten Thaler nehm' ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der soll ihn genießen. Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen, und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele — ach Gott, auf seine Seele! — Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht möglich, der liebe Herr läßt ihn gewiß nicht verderben. Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und fleißigste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor Allem ganz erstaunlich. Sein Lieutenant hat auch immer gesprochen:<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Zeichen, daß ich zu ihm kommen soll, und darauf freu' ich mich herzlich. Vier Söhne und eine Tochter sind mir gestorben, vorgestern hat mein Enkel seinen Abschied genommen, — Gott helfe ihm und erbarme sich seiner! — und morgen verläßt mich eine andere gute Seele, aber was sag' ich morgen, ist es nicht schon Mitternacht vorbei?
Es ist Zwölfe vorüber, erwiderte ich, verwundert über ihre Rede.
Gott gebe ihr Trost und Ruhe die vier Stündlein, die sie noch hat, sagte die Alte und ward still, indem sie die Hände faltete. Ich konnte nicht sprechen, so erschütterten mich ihre Worte und ihr ganzes Wesen. Da sie aber ganz stille blieb und der Thaler des Offiziers noch in ihrer Schürze lag, sagte ich zu ihr: Mutter, steckt den Thaler zu Euch, Ihr könntet ihn verlieren.
Den wollen wir nicht weglegen, den wollen wir meiner Befreundeten schenken in ihrer letzten Noth! erwiderte sie. Den ersten Thaler nehm' ich morgen wieder mit nach Haus, der gehört meinem Enkel, der soll ihn genießen. Ja seht, es ist immer ein herrlicher Junge gewesen, und hielt etwas auf seinen Leib und auf seine Seele — ach Gott, auf seine Seele! — Ich habe gebetet den ganzen Weg, es ist nicht möglich, der liebe Herr läßt ihn gewiß nicht verderben. Unter allen Burschen war er immer der reinlichste und fleißigste in der Schule, aber auf die Ehre war er vor Allem ganz erstaunlich. Sein Lieutenant hat auch immer gesprochen:
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Zitationshilfe: | Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/17>, abgerufen am 28.07.2024. |