Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

Bild:
<< vorherige Seite

sind sie die Urheber der Religion gewesen? Die
Priester sollen die Religion erfunden haben! Ist das
nicht eine lächerliche Behauptung? Hat denn der Zimmer-
mann das Holz, das er verarbeitet, selbst erfunden oder
geschaffen? Unmöglich. Die Arbeit des Zimmermannes
setzt nothwendig die Existenz des Holzes voraus. Ohne
Holz, das vorher existirt, kann man nicht an einen
Zimmermann denken. Haben etwa die Eisenbahn-
beamten die Eisenbahn erfunden? Ist das nicht eine
lächerliche Frage? Konnte es denn Eisenbahnbeamte
geben, ehe die Eisenbahn da war? So ist es auch in
unserem Falle. Das Amt des Priesters setzt noth-
wendig den Glauben an das Dasein Gottes voraus;
es kann unmöglich einen Priester geben ohne Religion,
die vor ihm existirt; denn er ist einfach nur Diener
der Religion. Aber dann sind die Staatsmänner und
Gesetzgeber die Urheber der Religion gewesen! Doch
welche Staatsmänner waren es? wie heißen ihre
Namen? wo und wann haben sie gelebt? durch welchen
glücklichen Zufall verfielen sie alle auf diese Idee?
Wie war es ihnen möglich, eine Lehre, welche die
Leidenschaften zügelt und schwere Pflichten auflegt, den
Menschen annehmbar zu machen? Wie kam es, daß
sie nicht bloß die Unwissenden, sondern auch die weisesten
und selbstständigsten Männer täuschen konnten? Auf all'
diese Fragen hat man keine Antwort. Wohl erzählt die
Geschichte bis hinauf zu Tubalkain die Anfänge der wich-
tigeren Künste und Gewerbe; aber von einer ursprüng-
lichen Religionserfindung hat sie noch keine Silbe berichtet.

sind sie die Urheber der Religion gewesen? Die
Priester sollen die Religion erfunden haben! Ist das
nicht eine lächerliche Behauptung? Hat denn der Zimmer-
mann das Holz, das er verarbeitet, selbst erfunden oder
geschaffen? Unmöglich. Die Arbeit des Zimmermannes
setzt nothwendig die Existenz des Holzes voraus. Ohne
Holz, das vorher existirt, kann man nicht an einen
Zimmermann denken. Haben etwa die Eisenbahn-
beamten die Eisenbahn erfunden? Ist das nicht eine
lächerliche Frage? Konnte es denn Eisenbahnbeamte
geben, ehe die Eisenbahn da war? So ist es auch in
unserem Falle. Das Amt des Priesters setzt noth-
wendig den Glauben an das Dasein Gottes voraus;
es kann unmöglich einen Priester geben ohne Religion,
die vor ihm existirt; denn er ist einfach nur Diener
der Religion. Aber dann sind die Staatsmänner und
Gesetzgeber die Urheber der Religion gewesen! Doch
welche Staatsmänner waren es? wie heißen ihre
Namen? wo und wann haben sie gelebt? durch welchen
glücklichen Zufall verfielen sie alle auf diese Idee?
Wie war es ihnen möglich, eine Lehre, welche die
Leidenschaften zügelt und schwere Pflichten auflegt, den
Menschen annehmbar zu machen? Wie kam es, daß
sie nicht bloß die Unwissenden, sondern auch die weisesten
und selbstständigsten Männer täuschen konnten? Auf all'
diese Fragen hat man keine Antwort. Wohl erzählt die
Geschichte bis hinauf zu Tubalkain die Anfänge der wich-
tigeren Künste und Gewerbe; aber von einer ursprüng-
lichen Religionserfindung hat sie noch keine Silbe berichtet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0054" xml:id="B836_001_1901_pb0042_0001" n="42"/>
sind sie die Urheber der Religion gewesen? Die<lb/>
Priester sollen die Religion erfunden haben! Ist das<lb/>
nicht eine lächerliche Behauptung? Hat denn der Zimmer-<lb/>
mann das Holz, das er verarbeitet, selbst erfunden oder<lb/>
geschaffen? Unmöglich. Die Arbeit des Zimmermannes<lb/>
setzt nothwendig die Existenz des Holzes voraus. Ohne<lb/>
Holz, das vorher existirt, kann man nicht an einen<lb/>
Zimmermann denken. Haben etwa die Eisenbahn-<lb/>
beamten die Eisenbahn erfunden? Ist das nicht eine<lb/>
lächerliche Frage? Konnte es denn Eisenbahnbeamte<lb/>
geben, ehe die Eisenbahn da war? So ist es auch in<lb/>
unserem Falle. Das Amt des Priesters setzt noth-<lb/>
wendig den Glauben an das Dasein Gottes voraus;<lb/>
es kann unmöglich einen Priester geben ohne Religion,<lb/>
die vor ihm existirt; denn er ist einfach nur Diener<lb/>
der Religion. Aber dann sind die Staatsmänner und<lb/>
Gesetzgeber die Urheber der Religion gewesen! Doch<lb/>
welche Staatsmänner waren es? wie heißen ihre<lb/>
Namen? wo und wann haben sie gelebt? durch welchen<lb/>
glücklichen Zufall verfielen sie alle auf diese Idee?<lb/>
Wie war es ihnen möglich, eine Lehre, welche die<lb/>
Leidenschaften zügelt und schwere Pflichten auflegt, den<lb/>
Menschen annehmbar zu machen? Wie kam es, daß<lb/>
sie nicht bloß die Unwissenden, sondern auch die weisesten<lb/>
und selbstständigsten Männer täuschen konnten? Auf all'<lb/>
diese Fragen hat man keine Antwort. Wohl erzählt die<lb/>
Geschichte bis hinauf zu Tubalkain die Anfänge der wich-<lb/>
tigeren Künste und Gewerbe; aber von einer ursprüng-<lb/>
lichen Religionserfindung hat sie noch keine Silbe berichtet.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0054] sind sie die Urheber der Religion gewesen? Die Priester sollen die Religion erfunden haben! Ist das nicht eine lächerliche Behauptung? Hat denn der Zimmer- mann das Holz, das er verarbeitet, selbst erfunden oder geschaffen? Unmöglich. Die Arbeit des Zimmermannes setzt nothwendig die Existenz des Holzes voraus. Ohne Holz, das vorher existirt, kann man nicht an einen Zimmermann denken. Haben etwa die Eisenbahn- beamten die Eisenbahn erfunden? Ist das nicht eine lächerliche Frage? Konnte es denn Eisenbahnbeamte geben, ehe die Eisenbahn da war? So ist es auch in unserem Falle. Das Amt des Priesters setzt noth- wendig den Glauben an das Dasein Gottes voraus; es kann unmöglich einen Priester geben ohne Religion, die vor ihm existirt; denn er ist einfach nur Diener der Religion. Aber dann sind die Staatsmänner und Gesetzgeber die Urheber der Religion gewesen! Doch welche Staatsmänner waren es? wie heißen ihre Namen? wo und wann haben sie gelebt? durch welchen glücklichen Zufall verfielen sie alle auf diese Idee? Wie war es ihnen möglich, eine Lehre, welche die Leidenschaften zügelt und schwere Pflichten auflegt, den Menschen annehmbar zu machen? Wie kam es, daß sie nicht bloß die Unwissenden, sondern auch die weisesten und selbstständigsten Männer täuschen konnten? Auf all' diese Fragen hat man keine Antwort. Wohl erzählt die Geschichte bis hinauf zu Tubalkain die Anfänge der wich- tigeren Künste und Gewerbe; aber von einer ursprüng- lichen Religionserfindung hat sie noch keine Silbe berichtet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/54
Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/54>, abgerufen am 24.11.2024.