Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

Bild:
<< vorherige Seite

Richter, der im Innern des Menschen seinen Sitz auf-
geschlagen, ein Richter, der sich vor keiner irdischen
Macht fürchtet, der sich nicht durch dm Glanz des Goldes
bestechen und durch Lüge und Schmeichelei täuschen läßt,
ein Richter mit göttlichem Ansehen hat sich gegen sie
erhoben und mit strafender Macht ihnen ihre Verbrechen
vorgehalten. Sie, die großen und gefürchteten Gewalt-
haber dieser Erde, fühlen sich unaussprechlich klein und
schwach vor diesem Richter; sie zittern vor ihm als
arme Sünder. Dieser Richter ist das Gewissen.

Das Gewissen ist nicht erschaffen durch menschliche
Willkür, nicht durch Vorurtheile der Erziehung; es ist
nicht das Werk der Menschen. Denn was die Menschen
schaffen, dauert nur wenige Tage und Jahre, das
Gewissen dagegen ist immer und überall. Mögen die
Weltansichten wechseln, mögen alte Gewohnheiten vor
neuen zurücktreten, mögen große politische und sociale
Veränderungen bei den Völkern stattfinden, der Richter
im Innern bleibt, das Gewissen weicht nicht von seinem
Throne. Mag man unter europäischer oder asiatischer
oder gar keiner Gesetzgebung leben, überall findet sich
jener unsichtbare Gesetzgeber und furchtlose Richter, der
gewisse Handlungen als gut und gerecht, andere dagegen
als bös und ungerecht, der Mord und Diebstahl
als Unthaten bezeichnet, die strenge Strafen verdienen.
Nein, das Gewissen kommt nicht vom Menschen selbst;
es ist im Menschen ohne des Menschen Thun; es ist
im Menschen gegen den Menschen. Und doch sinkt er
alsbald auf die Stufe unvernünftiger Thiere, wenn er

Richter, der im Innern des Menschen seinen Sitz auf-
geschlagen, ein Richter, der sich vor keiner irdischen
Macht fürchtet, der sich nicht durch dm Glanz des Goldes
bestechen und durch Lüge und Schmeichelei täuschen läßt,
ein Richter mit göttlichem Ansehen hat sich gegen sie
erhoben und mit strafender Macht ihnen ihre Verbrechen
vorgehalten. Sie, die großen und gefürchteten Gewalt-
haber dieser Erde, fühlen sich unaussprechlich klein und
schwach vor diesem Richter; sie zittern vor ihm als
arme Sünder. Dieser Richter ist das Gewissen.

Das Gewissen ist nicht erschaffen durch menschliche
Willkür, nicht durch Vorurtheile der Erziehung; es ist
nicht das Werk der Menschen. Denn was die Menschen
schaffen, dauert nur wenige Tage und Jahre, das
Gewissen dagegen ist immer und überall. Mögen die
Weltansichten wechseln, mögen alte Gewohnheiten vor
neuen zurücktreten, mögen große politische und sociale
Veränderungen bei den Völkern stattfinden, der Richter
im Innern bleibt, das Gewissen weicht nicht von seinem
Throne. Mag man unter europäischer oder asiatischer
oder gar keiner Gesetzgebung leben, überall findet sich
jener unsichtbare Gesetzgeber und furchtlose Richter, der
gewisse Handlungen als gut und gerecht, andere dagegen
als bös und ungerecht, der Mord und Diebstahl
als Unthaten bezeichnet, die strenge Strafen verdienen.
Nein, das Gewissen kommt nicht vom Menschen selbst;
es ist im Menschen ohne des Menschen Thun; es ist
im Menschen gegen den Menschen. Und doch sinkt er
alsbald auf die Stufe unvernünftiger Thiere, wenn er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0050" xml:id="B836_001_1901_pb0038_0001" n="38"/>
Richter, der im Innern des Menschen seinen Sitz auf-<lb/>
geschlagen, ein Richter, der sich vor keiner irdischen<lb/>
Macht fürchtet, der sich nicht durch dm Glanz des Goldes<lb/>
bestechen und durch Lüge und Schmeichelei täuschen läßt,<lb/>
ein Richter mit göttlichem Ansehen hat sich gegen sie<lb/>
erhoben und mit strafender Macht ihnen ihre Verbrechen<lb/>
vorgehalten. Sie, die großen und gefürchteten Gewalt-<lb/>
haber dieser Erde, fühlen sich unaussprechlich klein und<lb/>
schwach vor diesem Richter; sie zittern vor ihm als<lb/>
arme Sünder. Dieser Richter ist das Gewissen.</p>
          <p>Das Gewissen ist nicht erschaffen durch menschliche<lb/>
Willkür, nicht durch Vorurtheile der Erziehung; es ist<lb/>
nicht das Werk der Menschen. Denn was die Menschen<lb/>
schaffen, dauert nur wenige Tage und Jahre, das<lb/>
Gewissen dagegen ist immer und überall. Mögen die<lb/>
Weltansichten wechseln, mögen alte Gewohnheiten vor<lb/>
neuen zurücktreten, mögen große politische und sociale<lb/>
Veränderungen bei den Völkern stattfinden, der Richter<lb/>
im Innern bleibt, das Gewissen weicht nicht von seinem<lb/>
Throne. Mag man unter europäischer oder asiatischer<lb/>
oder gar keiner Gesetzgebung leben, überall findet sich<lb/>
jener unsichtbare Gesetzgeber und furchtlose Richter, der<lb/>
gewisse Handlungen als gut und gerecht, andere dagegen<lb/>
als bös und ungerecht, der Mord und Diebstahl<lb/>
als Unthaten bezeichnet, die strenge Strafen verdienen.<lb/>
Nein, das Gewissen kommt nicht vom Menschen selbst;<lb/>
es ist im Menschen ohne des Menschen Thun; es ist<lb/>
im Menschen gegen den Menschen. Und doch sinkt er<lb/>
alsbald auf die Stufe unvernünftiger Thiere, wenn er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0050] Richter, der im Innern des Menschen seinen Sitz auf- geschlagen, ein Richter, der sich vor keiner irdischen Macht fürchtet, der sich nicht durch dm Glanz des Goldes bestechen und durch Lüge und Schmeichelei täuschen läßt, ein Richter mit göttlichem Ansehen hat sich gegen sie erhoben und mit strafender Macht ihnen ihre Verbrechen vorgehalten. Sie, die großen und gefürchteten Gewalt- haber dieser Erde, fühlen sich unaussprechlich klein und schwach vor diesem Richter; sie zittern vor ihm als arme Sünder. Dieser Richter ist das Gewissen. Das Gewissen ist nicht erschaffen durch menschliche Willkür, nicht durch Vorurtheile der Erziehung; es ist nicht das Werk der Menschen. Denn was die Menschen schaffen, dauert nur wenige Tage und Jahre, das Gewissen dagegen ist immer und überall. Mögen die Weltansichten wechseln, mögen alte Gewohnheiten vor neuen zurücktreten, mögen große politische und sociale Veränderungen bei den Völkern stattfinden, der Richter im Innern bleibt, das Gewissen weicht nicht von seinem Throne. Mag man unter europäischer oder asiatischer oder gar keiner Gesetzgebung leben, überall findet sich jener unsichtbare Gesetzgeber und furchtlose Richter, der gewisse Handlungen als gut und gerecht, andere dagegen als bös und ungerecht, der Mord und Diebstahl als Unthaten bezeichnet, die strenge Strafen verdienen. Nein, das Gewissen kommt nicht vom Menschen selbst; es ist im Menschen ohne des Menschen Thun; es ist im Menschen gegen den Menschen. Und doch sinkt er alsbald auf die Stufe unvernünftiger Thiere, wenn er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/50
Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/50>, abgerufen am 24.11.2024.