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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

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besten Willen beseelt; sie hat die schönsten Vorsätze ge-
faßt. Doch wartet nur zehn Jahre und ihr werdet sie
kaum mehr wieder erkennen. Ihr religiöser Eifer ist
geschwunden; das Gebet bereitet ihr keine Freude mehr;
sie macht sich kein Gewissen mehr daraus, am Sonn-
tage aus den leichtfertigsten Gründen die heilige Messe
zu versäumen; ja die Unglückliche ist vielleicht so weit
gekommen, daß sie über religiöse Ceremonien und Ge-
bräuche, über Gebet und Frömmigkeit höhnt und spottet.
Woher nun diese Veränderung? Der junge Mann,
dem sie vor Jahren in seliger Hoffnung am Altare
ihre zitternde Hand zum Lebensbunde gereicht, war
innerlich der christlichen Religion entfremdet. Er hatte
das seiner Braut sorgfältig zu verbergen verstanden;
doch bald nach der Eheschließung macht er kein Ge-
heimniß mehr daraus. Es war für die junge Frau,
als sie dies zum erstenmale erfuhr, ein großer Schmerz;
sie besaß sogar den Muth, ihm liebevolle Vorstellung
darüber zu machen. Ein verächtliches Lächeln und eine
spöttische Bemerkung war die Antwort, und als sie
nach einiger Zeit bei passender Gelegenheit wiederum
eine schüchterne Mahnung an ihn wagte, wurde sie kurz
und scharf abgewiesen. Seitdem hat sie nie mehr einen
ähnlichen Versuch gemacht; sie wollte ihrem Manne nicht
mehr lästig fallen. Ihr Schmerz über seine Irreligio-
sität nahm nach und nach ab; ihr eigener Eifer wurde
mit jedem Monate schwächer; aus falscher Liebe zum
Manne unterließ sie bald diese, bald jene religiöse
Uebung und schließlich denkt und lebt sie wie er.

besten Willen beseelt; sie hat die schönsten Vorsätze ge-
faßt. Doch wartet nur zehn Jahre und ihr werdet sie
kaum mehr wieder erkennen. Ihr religiöser Eifer ist
geschwunden; das Gebet bereitet ihr keine Freude mehr;
sie macht sich kein Gewissen mehr daraus, am Sonn-
tage aus den leichtfertigsten Gründen die heilige Messe
zu versäumen; ja die Unglückliche ist vielleicht so weit
gekommen, daß sie über religiöse Ceremonien und Ge-
bräuche, über Gebet und Frömmigkeit höhnt und spottet.
Woher nun diese Veränderung? Der junge Mann,
dem sie vor Jahren in seliger Hoffnung am Altare
ihre zitternde Hand zum Lebensbunde gereicht, war
innerlich der christlichen Religion entfremdet. Er hatte
das seiner Braut sorgfältig zu verbergen verstanden;
doch bald nach der Eheschließung macht er kein Ge-
heimniß mehr daraus. Es war für die junge Frau,
als sie dies zum erstenmale erfuhr, ein großer Schmerz;
sie besaß sogar den Muth, ihm liebevolle Vorstellung
darüber zu machen. Ein verächtliches Lächeln und eine
spöttische Bemerkung war die Antwort, und als sie
nach einiger Zeit bei passender Gelegenheit wiederum
eine schüchterne Mahnung an ihn wagte, wurde sie kurz
und scharf abgewiesen. Seitdem hat sie nie mehr einen
ähnlichen Versuch gemacht; sie wollte ihrem Manne nicht
mehr lästig fallen. Ihr Schmerz über seine Irreligio-
sität nahm nach und nach ab; ihr eigener Eifer wurde
mit jedem Monate schwächer; aus falscher Liebe zum
Manne unterließ sie bald diese, bald jene religiöse
Uebung und schließlich denkt und lebt sie wie er.

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[17/0029] besten Willen beseelt; sie hat die schönsten Vorsätze ge- faßt. Doch wartet nur zehn Jahre und ihr werdet sie kaum mehr wieder erkennen. Ihr religiöser Eifer ist geschwunden; das Gebet bereitet ihr keine Freude mehr; sie macht sich kein Gewissen mehr daraus, am Sonn- tage aus den leichtfertigsten Gründen die heilige Messe zu versäumen; ja die Unglückliche ist vielleicht so weit gekommen, daß sie über religiöse Ceremonien und Ge- bräuche, über Gebet und Frömmigkeit höhnt und spottet. Woher nun diese Veränderung? Der junge Mann, dem sie vor Jahren in seliger Hoffnung am Altare ihre zitternde Hand zum Lebensbunde gereicht, war innerlich der christlichen Religion entfremdet. Er hatte das seiner Braut sorgfältig zu verbergen verstanden; doch bald nach der Eheschließung macht er kein Ge- heimniß mehr daraus. Es war für die junge Frau, als sie dies zum erstenmale erfuhr, ein großer Schmerz; sie besaß sogar den Muth, ihm liebevolle Vorstellung darüber zu machen. Ein verächtliches Lächeln und eine spöttische Bemerkung war die Antwort, und als sie nach einiger Zeit bei passender Gelegenheit wiederum eine schüchterne Mahnung an ihn wagte, wurde sie kurz und scharf abgewiesen. Seitdem hat sie nie mehr einen ähnlichen Versuch gemacht; sie wollte ihrem Manne nicht mehr lästig fallen. Ihr Schmerz über seine Irreligio- sität nahm nach und nach ab; ihr eigener Eifer wurde mit jedem Monate schwächer; aus falscher Liebe zum Manne unterließ sie bald diese, bald jene religiöse Uebung und schließlich denkt und lebt sie wie er.

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Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/29>, abgerufen am 24.11.2024.