die das ganze Seelenleben beherrscht und unerschütterlich gleichmüßig bleibt. Besonders vom Manne erwartet man einen edlen und festen Charakter. Mag er noch so herrliche Talente, noch so schöne Kenntnisse besitzen, ist er aber ein grundsatz- und charakterloser Mann, so wird er nie seine Stellung ganz ausfüllen, so wird statt Segen nur zu leicht Fluch und Verderben von seinem Leben und Wirken ausgehen. Der Mann darf wahr- haftig nicht gleich sein dem Schilfrohr oder dem nied- rigen Weidenbusche, den der Wind behandelt, wie er will, und der sich tief, möglichst tief beugt, wenn nur ein kleiner Sturm über ihn hinfährt; er soll vielmehr der starken, kräftigen Eiche ähnlich sein, die eine Zierde unserer deutschen Wälder ist. Die Eiche ist kein nied- riges Gestrüpp; sie erhebt frei und frank ihre Krone in die Höhe, gegen Himmel und zur Sonne empor. So soll auch der Mann mit seinem Denken und Wollen nicht im Staube kriechen, sondern frei und frank, ohne alle Scheu und Furcht mit seinem ganzen Leben in die Höhe, nach Gott und dem Himmel emporstreben. Die Eiche steht stark und unerschütterlich fest da. Stürme und Unwetter ziehen Tage lang über sie dahin, toben wild um ihre herrliche Krone, schütteln und rütteln zornig an ihren Blättern und Zweigen, doch der mäch- tige Stamm der Eiche steht ruhig und unbeweglich da wie an einem stillen und schönen Sommermorgen; er läßt sich nicht beugen und entwurzeln, nur tiefer in den Boden senkt er in allen Stürmen seine Wurzeln. So soll auch der christliche Mann dastehen; er soll fest
die das ganze Seelenleben beherrscht und unerschütterlich gleichmüßig bleibt. Besonders vom Manne erwartet man einen edlen und festen Charakter. Mag er noch so herrliche Talente, noch so schöne Kenntnisse besitzen, ist er aber ein grundsatz- und charakterloser Mann, so wird er nie seine Stellung ganz ausfüllen, so wird statt Segen nur zu leicht Fluch und Verderben von seinem Leben und Wirken ausgehen. Der Mann darf wahr- haftig nicht gleich sein dem Schilfrohr oder dem nied- rigen Weidenbusche, den der Wind behandelt, wie er will, und der sich tief, möglichst tief beugt, wenn nur ein kleiner Sturm über ihn hinfährt; er soll vielmehr der starken, kräftigen Eiche ähnlich sein, die eine Zierde unserer deutschen Wälder ist. Die Eiche ist kein nied- riges Gestrüpp; sie erhebt frei und frank ihre Krone in die Höhe, gegen Himmel und zur Sonne empor. So soll auch der Mann mit seinem Denken und Wollen nicht im Staube kriechen, sondern frei und frank, ohne alle Scheu und Furcht mit seinem ganzen Leben in die Höhe, nach Gott und dem Himmel emporstreben. Die Eiche steht stark und unerschütterlich fest da. Stürme und Unwetter ziehen Tage lang über sie dahin, toben wild um ihre herrliche Krone, schütteln und rütteln zornig an ihren Blättern und Zweigen, doch der mäch- tige Stamm der Eiche steht ruhig und unbeweglich da wie an einem stillen und schönen Sommermorgen; er läßt sich nicht beugen und entwurzeln, nur tiefer in den Boden senkt er in allen Stürmen seine Wurzeln. So soll auch der christliche Mann dastehen; er soll fest
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die das ganze Seelenleben beherrscht und unerschütterlich
gleichmüßig bleibt. Besonders vom Manne erwartet
man einen edlen und festen Charakter. Mag er noch
so herrliche Talente, noch so schöne Kenntnisse besitzen,
ist er aber ein grundsatz- und charakterloser Mann, so
wird er nie seine Stellung ganz ausfüllen, so wird statt
Segen nur zu leicht Fluch und Verderben von seinem
Leben und Wirken ausgehen. Der Mann darf wahr-
haftig nicht gleich sein dem Schilfrohr oder dem nied-
rigen Weidenbusche, den der Wind behandelt, wie er will,
und der sich tief, möglichst tief beugt, wenn nur ein
kleiner Sturm über ihn hinfährt; er soll vielmehr der
starken, kräftigen Eiche ähnlich sein, die eine Zierde
unserer deutschen Wälder ist. Die Eiche ist kein nied-
riges Gestrüpp; sie erhebt frei und frank ihre Krone in
die Höhe, gegen Himmel und zur Sonne empor. So
soll auch der Mann mit seinem Denken und Wollen
nicht im Staube kriechen, sondern frei und frank, ohne
alle Scheu und Furcht mit seinem ganzen Leben in die
Höhe, nach Gott und dem Himmel emporstreben. Die
Eiche steht stark und unerschütterlich fest da. Stürme
und Unwetter ziehen Tage lang über sie dahin, toben
wild um ihre herrliche Krone, schütteln und rütteln
zornig an ihren Blättern und Zweigen, doch der mäch-
tige Stamm der Eiche steht ruhig und unbeweglich da
wie an einem stillen und schönen Sommermorgen; er
läßt sich nicht beugen und entwurzeln, nur tiefer in den
Boden senkt er in allen Stürmen seine Wurzeln. So
soll auch der christliche Mann dastehen; er soll fest
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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/18>, abgerufen am 24.11.2024.
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