Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.Muscheln. Monomyarier. Fußes, welche eintritt, sobald die jungen Thiere sich festgesetzt haben. Damit steht im Zusammen-hange, daß auch der oben an den Fuß sich auschließende Körpertheil, den man den Rumpf nennen könnte, nicht so, wie gewöhnlich zur Entwicklung gelangt. Dieß betrifft vornehmlich die Fort- pflanzungsdrüse. Ostrea gehört mit Cyclas und allen Peeten-Arten (mit Ausnahme des Pecten varius unserer Küsten) zu den wenigen hermaphroditischen Muscheln. Der im Thierreich sonst so [Abbildung]
Auster, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelschale. stark ausgeprägte Gegensatzder Geschlechter und der tief innerlichen physiologischen Geschlechtsthätigkeit ist bei ihr, wie bei manchen Schnecken, in dem Maße unentwickelt, daß die die Drüse zusammensetzenden, Eier- und Samenfädchen- erzeugenden Blindsäckchen ganz durch einander liegen und sogar ein und dasselbe Drüsensäckchen halb männ- lich und halb weiblich sein kann. Es scheint jedoch, daß bei manchen Jndividuen das eine oder das andere Geschlecht bis zu einer fast gänzlichen Unterdrückung des andern vorwalten kann, ein Fingerzeig, wie in der Natur die Trennung der Geschlech- ter nicht geschaffen wurde, sondern der natürlichen Züch- tung und Varietätenbildung überlassen blieb. Die Zahl der von einer Auster jährlich producirten Eier ist eine enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigsten Berechnungen begnügen. Leeuwenhoeck meinte, daß eine alte Auster 10 Millionen Junge enthalte, ein anderer Gewährsmann, der berühmte Neapolitaner Poli veranschlagt sie nur auf 1,200,000, eine Nachkommenschaft, hin- reichend, um ausgewachsen 12,000 Fässer zu füllen. Die Entwicklung, über deren Einzelheiten wir auffallender Weise noch keine genaueren Nachweise besitzen, geschieht innerhalb der Mantel- höhle des alten Thieres, welche die Jungen erst dann verlassen, wenn ihre Schale soweit aus- gebildet ist, daß sie sogleich sich ankitten können. Schon nach einigen Monaten sollen sie wieder fortpflanzungsfähig sein, aber erst nach einigen Jahren erreichen sie die nach ihren Staudorten und der Race sehr verschiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehl greifen, wenn man alle an den europäischen Küsten lebenden Austern als eine einzige Art ansieht, mögen sie nun auf Felsen oder auf lockeren Bänken angesiedelt sein, groß oder klein, dickschalig oder dünnschalig, mehr oder weniger blätterig. Die Anatomie der Thiere weist keine einzige, irgendwie berücksichtigungs- werthe Verschiedenheit nach und die angedeuteten Abweichungen sind vollständig aus den verschiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Ein- flüssen abzuleiten. Muſcheln. Monomyarier. Fußes, welche eintritt, ſobald die jungen Thiere ſich feſtgeſetzt haben. Damit ſteht im Zuſammen-hange, daß auch der oben an den Fuß ſich auſchließende Körpertheil, den man den Rumpf nennen könnte, nicht ſo, wie gewöhnlich zur Entwicklung gelangt. Dieß betrifft vornehmlich die Fort- pflanzungsdrüſe. Ostrea gehört mit Cyclas und allen Peeten-Arten (mit Ausnahme des Pecten varius unſerer Küſten) zu den wenigen hermaphroditiſchen Muſcheln. Der im Thierreich ſonſt ſo [Abbildung]
Auſter, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelſchale. ſtark ausgeprägte Gegenſatzder Geſchlechter und der tief innerlichen phyſiologiſchen Geſchlechtsthätigkeit iſt bei ihr, wie bei manchen Schnecken, in dem Maße unentwickelt, daß die die Drüſe zuſammenſetzenden, Eier- und Samenfädchen- erzeugenden Blindſäckchen ganz durch einander liegen und ſogar ein und daſſelbe Drüſenſäckchen halb männ- lich und halb weiblich ſein kann. Es ſcheint jedoch, daß bei manchen Jndividuen das eine oder das andere Geſchlecht bis zu einer faſt gänzlichen Unterdrückung des andern vorwalten kann, ein Fingerzeig, wie in der Natur die Trennung der Geſchlech- ter nicht geſchaffen wurde, ſondern der natürlichen Züch- tung und Varietätenbildung überlaſſen blieb. Die Zahl der von einer Auſter jährlich producirten Eier iſt eine enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigſten Berechnungen begnügen. Leeuwenhoeck meinte, daß eine alte Auſter 10 Millionen Junge enthalte, ein anderer Gewährsmann, der berühmte Neapolitaner Poli veranſchlagt ſie nur auf 1,200,000, eine Nachkommenſchaft, hin- reichend, um ausgewachſen 12,000 Fäſſer zu füllen. Die Entwicklung, über deren Einzelheiten wir auffallender Weiſe noch keine genaueren Nachweiſe beſitzen, geſchieht innerhalb der Mantel- höhle des alten Thieres, welche die Jungen erſt dann verlaſſen, wenn ihre Schale ſoweit aus- gebildet iſt, daß ſie ſogleich ſich ankitten können. Schon nach einigen Monaten ſollen ſie wieder fortpflanzungsfähig ſein, aber erſt nach einigen Jahren erreichen ſie die nach ihren Staudorten und der Race ſehr verſchiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehl greifen, wenn man alle an den europäiſchen Küſten lebenden Auſtern als eine einzige Art anſieht, mögen ſie nun auf Felſen oder auf lockeren Bänken angeſiedelt ſein, groß oder klein, dickſchalig oder dünnſchalig, mehr oder weniger blätterig. Die Anatomie der Thiere weiſt keine einzige, irgendwie berückſichtigungs- werthe Verſchiedenheit nach und die angedeuteten Abweichungen ſind vollſtändig aus den verſchiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Ein- flüſſen abzuleiten. <TEI> <text> <body> <floatingText> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0996" n="948"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Muſcheln. Monomyarier.</hi></fw><lb/> Fußes, welche eintritt, ſobald die jungen Thiere ſich feſtgeſetzt haben. Damit ſteht im Zuſammen-<lb/> hange, daß auch der oben an den Fuß ſich auſchließende Körpertheil, den man den Rumpf nennen<lb/> könnte, nicht ſo, wie gewöhnlich zur Entwicklung gelangt. Dieß betrifft vornehmlich die Fort-<lb/> pflanzungsdrüſe. <hi rendition="#aq">Ostrea</hi> gehört mit <hi rendition="#aq">Cyclas</hi> und allen <hi rendition="#aq">Peeten-</hi>Arten (mit Ausnahme des <hi rendition="#aq">Pecten<lb/> varius</hi> unſerer Küſten) zu den wenigen hermaphroditiſchen Muſcheln. Der im Thierreich ſonſt ſo<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Auſter,</hi> geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelſchale.</hi></head></figure><lb/> ſtark ausgeprägte Gegenſatz<lb/> der Geſchlechter und der tief<lb/> innerlichen phyſiologiſchen<lb/> Geſchlechtsthätigkeit iſt bei<lb/> ihr, wie bei manchen<lb/> Schnecken, in dem Maße<lb/> unentwickelt, daß die die<lb/> Drüſe zuſammenſetzenden,<lb/> Eier- und Samenfädchen-<lb/> erzeugenden Blindſäckchen<lb/> ganz durch einander liegen<lb/> und ſogar ein und daſſelbe<lb/> Drüſenſäckchen halb männ-<lb/> lich und halb weiblich ſein<lb/> kann. Es ſcheint jedoch,<lb/> daß bei manchen Jndividuen<lb/> das eine oder das andere<lb/> Geſchlecht bis zu einer faſt<lb/> gänzlichen Unterdrückung des<lb/> andern vorwalten kann, ein<lb/> Fingerzeig, wie in der Natur<lb/> die Trennung der Geſchlech-<lb/> ter nicht geſchaffen wurde,<lb/> ſondern der natürlichen Züch-<lb/> tung und Varietätenbildung<lb/> überlaſſen blieb. Die Zahl<lb/> der von einer Auſter jährlich<lb/> producirten Eier iſt eine<lb/> enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigſten Berechnungen begnügen. <hi rendition="#g">Leeuwenhoeck</hi><lb/> meinte, daß eine alte Auſter 10 Millionen Junge enthalte, ein anderer Gewährsmann, der<lb/> berühmte Neapolitaner Poli veranſchlagt ſie nur auf 1,200,000, eine Nachkommenſchaft, hin-<lb/> reichend, um ausgewachſen 12,000 Fäſſer zu füllen. Die Entwicklung, über deren Einzelheiten<lb/> wir auffallender Weiſe noch keine genaueren Nachweiſe beſitzen, geſchieht innerhalb der Mantel-<lb/> höhle des alten Thieres, welche die Jungen erſt dann verlaſſen, wenn ihre Schale ſoweit aus-<lb/> gebildet iſt, daß ſie ſogleich ſich ankitten können. Schon nach einigen Monaten ſollen ſie wieder<lb/> fortpflanzungsfähig ſein, aber erſt nach einigen Jahren erreichen ſie die nach ihren Staudorten<lb/> und der Race ſehr verſchiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehl greifen, wenn man alle<lb/> an den europäiſchen Küſten lebenden Auſtern als eine einzige Art anſieht, mögen ſie nun auf Felſen<lb/> oder auf lockeren Bänken angeſiedelt ſein, groß oder klein, dickſchalig oder dünnſchalig, mehr oder<lb/> weniger blätterig. Die Anatomie der Thiere weiſt keine einzige, irgendwie berückſichtigungs-<lb/> werthe Verſchiedenheit nach und die angedeuteten Abweichungen ſind vollſtändig aus den<lb/> verſchiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Ein-<lb/> flüſſen abzuleiten.</p><lb/> </div> </div> </body> </floatingText> </body> </text> </TEI> [948/0996]
Muſcheln. Monomyarier.
Fußes, welche eintritt, ſobald die jungen Thiere ſich feſtgeſetzt haben. Damit ſteht im Zuſammen-
hange, daß auch der oben an den Fuß ſich auſchließende Körpertheil, den man den Rumpf nennen
könnte, nicht ſo, wie gewöhnlich zur Entwicklung gelangt. Dieß betrifft vornehmlich die Fort-
pflanzungsdrüſe. Ostrea gehört mit Cyclas und allen Peeten-Arten (mit Ausnahme des Pecten
varius unſerer Küſten) zu den wenigen hermaphroditiſchen Muſcheln. Der im Thierreich ſonſt ſo
[Abbildung Auſter, geöffnet durch Hinwegnahme der Deckelſchale.]
ſtark ausgeprägte Gegenſatz
der Geſchlechter und der tief
innerlichen phyſiologiſchen
Geſchlechtsthätigkeit iſt bei
ihr, wie bei manchen
Schnecken, in dem Maße
unentwickelt, daß die die
Drüſe zuſammenſetzenden,
Eier- und Samenfädchen-
erzeugenden Blindſäckchen
ganz durch einander liegen
und ſogar ein und daſſelbe
Drüſenſäckchen halb männ-
lich und halb weiblich ſein
kann. Es ſcheint jedoch,
daß bei manchen Jndividuen
das eine oder das andere
Geſchlecht bis zu einer faſt
gänzlichen Unterdrückung des
andern vorwalten kann, ein
Fingerzeig, wie in der Natur
die Trennung der Geſchlech-
ter nicht geſchaffen wurde,
ſondern der natürlichen Züch-
tung und Varietätenbildung
überlaſſen blieb. Die Zahl
der von einer Auſter jährlich
producirten Eier iſt eine
enorme, wenn wir uns auch nur mit einer der niedrigſten Berechnungen begnügen. Leeuwenhoeck
meinte, daß eine alte Auſter 10 Millionen Junge enthalte, ein anderer Gewährsmann, der
berühmte Neapolitaner Poli veranſchlagt ſie nur auf 1,200,000, eine Nachkommenſchaft, hin-
reichend, um ausgewachſen 12,000 Fäſſer zu füllen. Die Entwicklung, über deren Einzelheiten
wir auffallender Weiſe noch keine genaueren Nachweiſe beſitzen, geſchieht innerhalb der Mantel-
höhle des alten Thieres, welche die Jungen erſt dann verlaſſen, wenn ihre Schale ſoweit aus-
gebildet iſt, daß ſie ſogleich ſich ankitten können. Schon nach einigen Monaten ſollen ſie wieder
fortpflanzungsfähig ſein, aber erſt nach einigen Jahren erreichen ſie die nach ihren Staudorten
und der Race ſehr verſchiedene volle Größe. Man wird nämlich nicht fehl greifen, wenn man alle
an den europäiſchen Küſten lebenden Auſtern als eine einzige Art anſieht, mögen ſie nun auf Felſen
oder auf lockeren Bänken angeſiedelt ſein, groß oder klein, dickſchalig oder dünnſchalig, mehr oder
weniger blätterig. Die Anatomie der Thiere weiſt keine einzige, irgendwie berückſichtigungs-
werthe Verſchiedenheit nach und die angedeuteten Abweichungen ſind vollſtändig aus den
verſchiedenen Graden des Kalk- und Salzgehaltes der Meere, überhaupt aus den lokalen Ein-
flüſſen abzuleiten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |