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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Muscheln. Dimyarier. Mießmuscheln.
legt es zuerst die eben erwähnte Spinnplatte an die Byssusdrüse, und beim Zurückziehen wird
der Klebestoff zu einem Faden ausgezogen, welcher in die offene Furche des Fingers zu liegen
kommt. Vermittelst der Spinnplatte wird dann das Vorderende des noch weichen Fadens in Form
eines kleinen Scheibchens an irgend einen Körper angedrückt. Die Gesammtheit aller dieser Fäden
[Abbildung] Eßbare Mießmuschel (Mytilus edulis). Nat. Größe.
bilden den Bart (e) oder Byssus. Wer Gelegen-
heit gehabt, Mießmuscheln von ihrem Wohnort
abzureißen, wird über die Festigkeit der Bart-
fäden erstannt sein. Die stärkste Strömung und
Brandung hat ihnen nichts an. Ein sehr be-
zeichnender Beleg dafür ist der Gebrauch, den
man in Bidefort in Devonshire von der Mieß-
muschel macht. Bei dieser Stadt geht eine 24
Bogen lange Brücke über den Towridge-Fluß
bei seiner Einmündung in den Taw. An ihr
ist die Strömung der Gezeiten so reißend, daß
kein Mörtel daran dauert. Die Gemeinde unter-
hält daher Boote, um Mießmuscheln herbeizu-
holen, und läßt aus der Hand die Fugen zwischen
den Bausteinen damit ausfüllen. Die Muschel
sichert sich alsbald dagegen, von den Gezeiten
fortgetrieben zu werden, indem sie sich durch
starke Fäden an das Steinwerk anheftet, und eine
Verordnung erklärt es für ein Verbrechen, welches
Landesverweisung nach sich führen kann, wenn
Jemand anders als im Beisein und mit Zu-
stimmung der Gemeinde-Bevollmächtigten diese
Muscheln abnimmt. Die Fäden des Bartes dienen der Mießmuschel aber nicht bloß, um sich zu
befestigen, sondern auch, um sich von ihnen, wie an kleinen Seilen, fortzuziehen. Hat die
Muschel irgendwo Platz genommen und ist sie nicht etwa schon durch ihre Nachbarinnen eingeengt
und theilweise übersponnen, so zieht sie sich, wenn ihr der Ort nicht mehr zusagt, so nahe als
möglich an die Vefestigungsstelle des Byssus heran. Hierauf schickt sie einige neue Fäden nach
der Richtung hin, wohin sie sich begeben will, und wenn diese haften, schiebt sie den Fuß zwischen
die alten Fäden und reißt mit einem schnellen Rucke einen nach dem andern ab. Sie hängt nun
an den eben erst gesponnenen Fäden, und reißt auch diese ab, nachdem sie für abermalige
Befestigung in der angenommenen Richtung gesorgt hat. Wie aus der obigen Mittheilung schon
hervorgeht, siedelt sich Mytilus edulis dort, wo starke Ebbe und Fluth ist, in der Uferregion an,
welche zeitweise bloßgelegt wird. An vielen Stellen der zerrissenen norwegischen Küste kann man ein
schwarzes, 1 bis 2 Fuß breites Band zur Ebbezeit über dem Wasserspiegel sehen, die unzählbaren
Mießmuscheln, über, zum Theil schon auf welchen der weißliche Gürtel der Balanen folgt, deren
Spitzen das Herausspringen aus dem Boote bei unruhiger See gar sehr erleichtern. Wo aber die
Gezeiten keinen großen Niveauunterschied haben und auch aus anderen lokalen Ursachen siedeln
sich die Mießmuscheln etwas tiefer an, so daß sie immer vom Wasser bedeckt bleiben.

Die Mießmuschel gedeiht am besten in der Nordsee und in den nordeuropäischen Meeren.
Sie gehört zu den nicht zahlreichen Muscheln und überhaupt Seethieren, welche aus den Meeren
mit normalem Salzgehalt, wie aus der Nordsee, in die mehr oder weniger gesüßten, ihres
Salzgehaltes beraubten Meere und Binnenmeere, wie die Ostsee eindringen. Auch im kaspischen
Meere kommt sie mit einigen anderen verkümmerten Muscheln vor, ohne im Stande gewesen
zu sein, bei der so langsam erfolgten Versüßung dieses Wassers sich vollständig und kräftig zu

Muſcheln. Dimyarier. Mießmuſcheln.
legt es zuerſt die eben erwähnte Spinnplatte an die Byſſusdrüſe, und beim Zurückziehen wird
der Klebeſtoff zu einem Faden ausgezogen, welcher in die offene Furche des Fingers zu liegen
kommt. Vermittelſt der Spinnplatte wird dann das Vorderende des noch weichen Fadens in Form
eines kleinen Scheibchens an irgend einen Körper angedrückt. Die Geſammtheit aller dieſer Fäden
[Abbildung] Eßbare Mießmuſchel (Mytilus edulis). Nat. Größe.
bilden den Bart (e) oder Byſſus. Wer Gelegen-
heit gehabt, Mießmuſcheln von ihrem Wohnort
abzureißen, wird über die Feſtigkeit der Bart-
fäden erſtannt ſein. Die ſtärkſte Strömung und
Brandung hat ihnen nichts an. Ein ſehr be-
zeichnender Beleg dafür iſt der Gebrauch, den
man in Bidefort in Devonſhire von der Mieß-
muſchel macht. Bei dieſer Stadt geht eine 24
Bogen lange Brücke über den Towridge-Fluß
bei ſeiner Einmündung in den Taw. An ihr
iſt die Strömung der Gezeiten ſo reißend, daß
kein Mörtel daran dauert. Die Gemeinde unter-
hält daher Boote, um Mießmuſcheln herbeizu-
holen, und läßt aus der Hand die Fugen zwiſchen
den Bauſteinen damit ausfüllen. Die Muſchel
ſichert ſich alsbald dagegen, von den Gezeiten
fortgetrieben zu werden, indem ſie ſich durch
ſtarke Fäden an das Steinwerk anheftet, und eine
Verordnung erklärt es für ein Verbrechen, welches
Landesverweiſung nach ſich führen kann, wenn
Jemand anders als im Beiſein und mit Zu-
ſtimmung der Gemeinde-Bevollmächtigten dieſe
Muſcheln abnimmt. Die Fäden des Bartes dienen der Mießmuſchel aber nicht bloß, um ſich zu
befeſtigen, ſondern auch, um ſich von ihnen, wie an kleinen Seilen, fortzuziehen. Hat die
Muſchel irgendwo Platz genommen und iſt ſie nicht etwa ſchon durch ihre Nachbarinnen eingeengt
und theilweiſe überſponnen, ſo zieht ſie ſich, wenn ihr der Ort nicht mehr zuſagt, ſo nahe als
möglich an die Vefeſtigungsſtelle des Byſſus heran. Hierauf ſchickt ſie einige neue Fäden nach
der Richtung hin, wohin ſie ſich begeben will, und wenn dieſe haften, ſchiebt ſie den Fuß zwiſchen
die alten Fäden und reißt mit einem ſchnellen Rucke einen nach dem andern ab. Sie hängt nun
an den eben erſt geſponnenen Fäden, und reißt auch dieſe ab, nachdem ſie für abermalige
Befeſtigung in der angenommenen Richtung geſorgt hat. Wie aus der obigen Mittheilung ſchon
hervorgeht, ſiedelt ſich Mytilus edulis dort, wo ſtarke Ebbe und Fluth iſt, in der Uferregion an,
welche zeitweiſe bloßgelegt wird. An vielen Stellen der zerriſſenen norwegiſchen Küſte kann man ein
ſchwarzes, 1 bis 2 Fuß breites Band zur Ebbezeit über dem Waſſerſpiegel ſehen, die unzählbaren
Mießmuſcheln, über, zum Theil ſchon auf welchen der weißliche Gürtel der Balanen folgt, deren
Spitzen das Herausſpringen aus dem Boote bei unruhiger See gar ſehr erleichtern. Wo aber die
Gezeiten keinen großen Niveauunterſchied haben und auch aus anderen lokalen Urſachen ſiedeln
ſich die Mießmuſcheln etwas tiefer an, ſo daß ſie immer vom Waſſer bedeckt bleiben.

Die Mießmuſchel gedeiht am beſten in der Nordſee und in den nordeuropäiſchen Meeren.
Sie gehört zu den nicht zahlreichen Muſcheln und überhaupt Seethieren, welche aus den Meeren
mit normalem Salzgehalt, wie aus der Nordſee, in die mehr oder weniger geſüßten, ihres
Salzgehaltes beraubten Meere und Binnenmeere, wie die Oſtſee eindringen. Auch im kaspiſchen
Meere kommt ſie mit einigen anderen verkümmerten Muſcheln vor, ohne im Stande geweſen
zu ſein, bei der ſo langſam erfolgten Verſüßung dieſes Waſſers ſich vollſtändig und kräftig zu

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[914/0962] Muſcheln. Dimyarier. Mießmuſcheln. legt es zuerſt die eben erwähnte Spinnplatte an die Byſſusdrüſe, und beim Zurückziehen wird der Klebeſtoff zu einem Faden ausgezogen, welcher in die offene Furche des Fingers zu liegen kommt. Vermittelſt der Spinnplatte wird dann das Vorderende des noch weichen Fadens in Form eines kleinen Scheibchens an irgend einen Körper angedrückt. Die Geſammtheit aller dieſer Fäden [Abbildung Eßbare Mießmuſchel (Mytilus edulis). Nat. Größe.] bilden den Bart (e) oder Byſſus. Wer Gelegen- heit gehabt, Mießmuſcheln von ihrem Wohnort abzureißen, wird über die Feſtigkeit der Bart- fäden erſtannt ſein. Die ſtärkſte Strömung und Brandung hat ihnen nichts an. Ein ſehr be- zeichnender Beleg dafür iſt der Gebrauch, den man in Bidefort in Devonſhire von der Mieß- muſchel macht. Bei dieſer Stadt geht eine 24 Bogen lange Brücke über den Towridge-Fluß bei ſeiner Einmündung in den Taw. An ihr iſt die Strömung der Gezeiten ſo reißend, daß kein Mörtel daran dauert. Die Gemeinde unter- hält daher Boote, um Mießmuſcheln herbeizu- holen, und läßt aus der Hand die Fugen zwiſchen den Bauſteinen damit ausfüllen. Die Muſchel ſichert ſich alsbald dagegen, von den Gezeiten fortgetrieben zu werden, indem ſie ſich durch ſtarke Fäden an das Steinwerk anheftet, und eine Verordnung erklärt es für ein Verbrechen, welches Landesverweiſung nach ſich führen kann, wenn Jemand anders als im Beiſein und mit Zu- ſtimmung der Gemeinde-Bevollmächtigten dieſe Muſcheln abnimmt. Die Fäden des Bartes dienen der Mießmuſchel aber nicht bloß, um ſich zu befeſtigen, ſondern auch, um ſich von ihnen, wie an kleinen Seilen, fortzuziehen. Hat die Muſchel irgendwo Platz genommen und iſt ſie nicht etwa ſchon durch ihre Nachbarinnen eingeengt und theilweiſe überſponnen, ſo zieht ſie ſich, wenn ihr der Ort nicht mehr zuſagt, ſo nahe als möglich an die Vefeſtigungsſtelle des Byſſus heran. Hierauf ſchickt ſie einige neue Fäden nach der Richtung hin, wohin ſie ſich begeben will, und wenn dieſe haften, ſchiebt ſie den Fuß zwiſchen die alten Fäden und reißt mit einem ſchnellen Rucke einen nach dem andern ab. Sie hängt nun an den eben erſt geſponnenen Fäden, und reißt auch dieſe ab, nachdem ſie für abermalige Befeſtigung in der angenommenen Richtung geſorgt hat. Wie aus der obigen Mittheilung ſchon hervorgeht, ſiedelt ſich Mytilus edulis dort, wo ſtarke Ebbe und Fluth iſt, in der Uferregion an, welche zeitweiſe bloßgelegt wird. An vielen Stellen der zerriſſenen norwegiſchen Küſte kann man ein ſchwarzes, 1 bis 2 Fuß breites Band zur Ebbezeit über dem Waſſerſpiegel ſehen, die unzählbaren Mießmuſcheln, über, zum Theil ſchon auf welchen der weißliche Gürtel der Balanen folgt, deren Spitzen das Herausſpringen aus dem Boote bei unruhiger See gar ſehr erleichtern. Wo aber die Gezeiten keinen großen Niveauunterſchied haben und auch aus anderen lokalen Urſachen ſiedeln ſich die Mießmuſcheln etwas tiefer an, ſo daß ſie immer vom Waſſer bedeckt bleiben. Die Mießmuſchel gedeiht am beſten in der Nordſee und in den nordeuropäiſchen Meeren. Sie gehört zu den nicht zahlreichen Muſcheln und überhaupt Seethieren, welche aus den Meeren mit normalem Salzgehalt, wie aus der Nordſee, in die mehr oder weniger geſüßten, ihres Salzgehaltes beraubten Meere und Binnenmeere, wie die Oſtſee eindringen. Auch im kaspiſchen Meere kommt ſie mit einigen anderen verkümmerten Muſcheln vor, ohne im Stande geweſen zu ſein, bei der ſo langſam erfolgten Verſüßung dieſes Waſſers ſich vollſtändig und kräftig zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 914. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/962>, abgerufen am 23.11.2024.