zahnförmigen Aufsätze der Schalen, die inneren Stacheln, der Byssusfaden, auch müssen ja statt des einen Schließmuskels der Larve für das ausgewachsene Thier deren zwei entstehen. Jn nicht richtiger Würdigung dieser Thatsache sprach man daher früher davon, daß unsere Najaden in einer dem definitiven Körperbau sehr ähnlichen Gestalt geboren würden, während ich durch meine Untersuchungen zu dem entgegengesetzten Resultate kam. Für eine tiefer eingehende Betrachtung ist aber hervorzuheben, daß die Najaden, ganz ähnlich wie die Lungenschnecken das so charakteristische Organ der Larven der Seeschnecken und, fügen wir gleich hier hinzu, auch der Seemuscheln, das Segel nämlich nicht besitzen*). Dort, bei den Landschnecken, ist die Ent-
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Entwicklungs- und Larvenzustand der Malermuschel. Sehr vergrößert.
wicklung durch Ueberspringung des Segelstadiums, vereinfacht, hier, bei den Najaden ist dieser die seebewohnenden Gattungen kennzeichnende Entwicklungszustand auch geschwunden, dagegen aber haben sich an dieser Abzweigung des Molluskenbaums die oben besprochenen Sonderheiten ein- gefunden. Jch möchte mir erlauben, noch eine Erwägung wenigstens andeutend hinzuwerfen. Ganz allgemein hält man die mit einem Schließmuskel versehenen Muscheln, die Monomyarier für die niedrigen; sie herrschen auch in den früheren Erdperioden gegen jetzt vor; desgleichen ist das Anheftungsorgan, hier der Byssusfaden, wo er schon im Embryo und in der Larve auftritt, gar häufig ein Zeichen des hohen geognostischen Alters und des minderen systematischen Ranges. Sollten diese Verhältnisse der Larven der Najaden Reminiscenzen an die Urzeit der Muschel- thiere sein?
*) Wenn wirklich, wie Leuckart angiebt, Anodonta intermedia ein Segel hat, so erinnert dieß nur an den von Fr. Müller entdeckten höheren Krebs (S. 664) mit der Entwicklung der niederen.
Muſcheln. Dimyarier. Najaden.
zahnförmigen Aufſätze der Schalen, die inneren Stacheln, der Byſſusfaden, auch müſſen ja ſtatt des einen Schließmuskels der Larve für das ausgewachſene Thier deren zwei entſtehen. Jn nicht richtiger Würdigung dieſer Thatſache ſprach man daher früher davon, daß unſere Najaden in einer dem definitiven Körperbau ſehr ähnlichen Geſtalt geboren würden, während ich durch meine Unterſuchungen zu dem entgegengeſetzten Reſultate kam. Für eine tiefer eingehende Betrachtung iſt aber hervorzuheben, daß die Najaden, ganz ähnlich wie die Lungenſchnecken das ſo charakteriſtiſche Organ der Larven der Seeſchnecken und, fügen wir gleich hier hinzu, auch der Seemuſcheln, das Segel nämlich nicht beſitzen*). Dort, bei den Landſchnecken, iſt die Ent-
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Entwicklungs- und Larvenzuſtand der Malermuſchel. Sehr vergrößert.
wicklung durch Ueberſpringung des Segelſtadiums, vereinfacht, hier, bei den Najaden iſt dieſer die ſeebewohnenden Gattungen kennzeichnende Entwicklungszuſtand auch geſchwunden, dagegen aber haben ſich an dieſer Abzweigung des Molluskenbaums die oben beſprochenen Sonderheiten ein- gefunden. Jch möchte mir erlauben, noch eine Erwägung wenigſtens andeutend hinzuwerfen. Ganz allgemein hält man die mit einem Schließmuskel verſehenen Muſcheln, die Monomyarier für die niedrigen; ſie herrſchen auch in den früheren Erdperioden gegen jetzt vor; desgleichen iſt das Anheftungsorgan, hier der Byſſusfaden, wo er ſchon im Embryo und in der Larve auftritt, gar häufig ein Zeichen des hohen geognoſtiſchen Alters und des minderen ſyſtematiſchen Ranges. Sollten dieſe Verhältniſſe der Larven der Najaden Reminiscenzen an die Urzeit der Muſchel- thiere ſein?
*) Wenn wirklich, wie Leuckart angiebt, Anodonta intermedia ein Segel hat, ſo erinnert dieß nur an den von Fr. Müller entdeckten höheren Krebs (S. 664) mit der Entwicklung der niederen.
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Muſcheln. Dimyarier. Najaden.
zahnförmigen Aufſätze der Schalen, die inneren Stacheln, der Byſſusfaden, auch müſſen ja ſtatt
des einen Schließmuskels der Larve für das ausgewachſene Thier deren zwei entſtehen. Jn nicht
richtiger Würdigung dieſer Thatſache ſprach man daher früher davon, daß unſere Najaden
in einer dem definitiven Körperbau ſehr ähnlichen Geſtalt geboren würden, während ich durch
meine Unterſuchungen zu dem entgegengeſetzten Reſultate kam. Für eine tiefer eingehende
Betrachtung iſt aber hervorzuheben, daß die Najaden, ganz ähnlich wie die Lungenſchnecken das
ſo charakteriſtiſche Organ der Larven der Seeſchnecken und, fügen wir gleich hier hinzu, auch
der Seemuſcheln, das Segel nämlich nicht beſitzen *). Dort, bei den Landſchnecken, iſt die Ent-
[Abbildung Entwicklungs- und Larvenzuſtand der Malermuſchel. Sehr vergrößert.]
wicklung durch Ueberſpringung des Segelſtadiums, vereinfacht, hier, bei den Najaden iſt dieſer
die ſeebewohnenden Gattungen kennzeichnende Entwicklungszuſtand auch geſchwunden, dagegen aber
haben ſich an dieſer Abzweigung des Molluskenbaums die oben beſprochenen Sonderheiten ein-
gefunden. Jch möchte mir erlauben, noch eine Erwägung wenigſtens andeutend hinzuwerfen.
Ganz allgemein hält man die mit einem Schließmuskel verſehenen Muſcheln, die Monomyarier
für die niedrigen; ſie herrſchen auch in den früheren Erdperioden gegen jetzt vor; desgleichen iſt das
Anheftungsorgan, hier der Byſſusfaden, wo er ſchon im Embryo und in der Larve auftritt, gar
häufig ein Zeichen des hohen geognoſtiſchen Alters und des minderen ſyſtematiſchen Ranges.
Sollten dieſe Verhältniſſe der Larven der Najaden Reminiscenzen an die Urzeit der Muſchel-
thiere ſein?
*) Wenn wirklich, wie Leuckart angiebt, Anodonta intermedia ein Segel hat, ſo erinnert dieß nur
an den von Fr. Müller entdeckten höheren Krebs (S. 664) mit der Entwicklung der niederen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 904. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/952>, abgerufen am 23.11.2024.
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